Biographie
von Lisa Trzaska
Joel Bri’l Löwe beteiligte sich als ein zentraler Akteur der zweiten Generation der Berliner jüdischen Aufklärer an vielen einschlägigen Projekten der Haskala. Als Mitglied der Gesellschaft der hebräischen Literaturfreunde schrieb er für die Zeitschrift Hameassef, wurde später deren Mitherausgeber, äusserte sich in der Debatte um die frühe Beerdigung der Juden zu Wort, beteiligte sich am Biur, dem Kommentarwerk zur von Mendelssohn begonnenen Bibelübersetzung, und spielte schließlich als Oberlehrer und Direktionsmitglied der Königlichen Wilhelmsschule in Breslau auch eine bedeutende Rolle bei der Reformierung des jüdischen Bildungssystems. Löwes hebräische und deutsche Publikationen sind zahlreich.
Geboren wurde Joel Löwe im Jahr 1762 in Berlin als Sohn von Jehuda Löwe. Den Vater ehrte Löwe mit dem Acronym, unter dem er seine hebräischen Texte veröffentlichte: "Bri’l" setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben von “Ben Rav Jehuda Löwe”. Jehuda Löwe soll zeitweise ein wohlhabender Mann gewesen sein, verlor sein Vermögen aus Wechselgeschäften jedoch in der Krise von 1764. Danach verdiente er seinen und seiner Familie Unterhalt als Cheder-Lehrer. Die Brüder Joel und Elchanan Löwe, über deren Mutter nichts bekannt ist, sollen dank dem Unterricht des Vaters schon als Kinder mit ihrer tiefen Kenntnis des Talmud Aufmerksamkeit erregt haben.
Als Neunjähriger übersiedelte Joel Löwe in das Haus des Kaufmanns Aaron Joresch Meyer, zu dieser Zeit einer der reichsten Männer Berlins, und dessen Frau Rösel, einer geborenen Ephraim. In einem Rückblick auf Löwes Leben wird der Umzug damit erklärt, dass Aaron Meyer „einen armen lernbegierigen Knaben zu sich ins Haus zu nehmen wünschte, um durch deßen Beyspiel den Fleiß seiner eignen Kinder mehr anzufeuern“ ((ohne Verfasserangabe): Einige Nachrichten über den verstorbenen Professor Löwe, in: Litterarische Beilage zu den Schlesischen Provinzialblättern, Drittes Stück, Breslau, März 1802, S. 79 f.). Trotz seiner Jugend soll Löwe bereits Meyers Söhnen Hebräischunterricht gegeben haben und erhielt gemeinsam mit ihnen auch Unterricht im „Schreiben, Rechnen, Zeichnen, in den neuern Sprachen, in Mathematik, Geographie und andern wißenschaftlichen Zweigen, durch die besten Privatlehrer “ (Litterarische Beilage, S. 80.). Mit den neueren Sprachen sind hier Französisch und Englisch gemeint. Später absolvierte Löwe außerdem eine Kaufmannslehre im Handelsgeschäft seines Pflegevaters und lernte noch zusätzlich Italienisch.
Nach etwa drei Jahren wandte Löwe sich wieder vom ungeliebten Kaufmannsberuf ab. Er konnte dank der Vermittlung seiner Zieheltern eine Hauslehrerstelle bei David und Blümchen Friedländer antreten und sein erworbenes Wissen an deren Söhne weitergeben. Hier war Löwe nun ganz im Zentrum der Berliner Jüdischen Aufklärung angekommen. Etwa von 1780 bis 1790 lebte Löwe bei den Friedländers und verfasste in dieser Zeit viele seiner hebräischen Werke. Ab 1784 erschienen erste Artikel von Joel Bri‘l in der Zeitschrift Hameassef und er wurde Mitglied der Gesellschaft der hebräischen Literaturfreunde. Der Schwerpunkt von Löwes Beiträgen zum Meassef liegt einerseits auf Auslegungen biblischer Textpassagen, andererseits auf kurzen Formen wie hebräischen Fabeln und Sinngedichten. Löwe beteiligte sich aktiv am Projekt des Biur und erhielt von Moses Mendelssohn die Erlaubnis, dessen deutsche Psalmenübersetzung mit einem Kommentar zu versehen und in hebräischen Lettern herauszugeben (vgl. Freudenthal: Emancipationsbestrebungen, S. 332). Neben dieser in mehreren Bänden erschienenen kommentierten Ausgabe von Mendelssohns Psalmenübersetzung besorgte Löwe auch eine Übersetzung mit Kommentar des Buches Jona und kommentierte gemeinsam mit seinem engen Freund Aron Halle-Wolfsohn Mendelssohns Übersetzung des Hoheliedes. David Friedländers Übersetzung des Buches Kohelet erschien ebenfalls mit einem Kommentar von Löwe und gemeinsam mit Wolfsohn veröffentlichte er eine deutsche Ausgabe von Jeremias Klagegesängen. Weitere Freunde Löwes aus seiner Berliner Zeit sind Isaac Satanow, Isaac Euchel und Lazarus Bendavid.
Die letzte Station auf Joel Löwes Weg führte ihn erstmals fort aus Berlin. Ende der 1780er Jahre war im schlesischen Breslau eine Reform der Judengesetzgebung auf den Weg gebracht worden, die schließlich auch die Eröffnung einer jüdischen Schule unter staatlicher Aufsicht vorsah. Diese wurde unter dem Namen „Königliche Wilhelmsschule“ 1791 eröffnet. Joel Löwe wurde in das Direktorium der neuen Schule berufen, unter anderem weil Meyer Warburg ihn dem verantwortlichen preußischen Minister Graf von Hoym empfohlen haben soll (Freudenthal: Emancipationsbestrebungen, S. 333). Die Geschichte der Wilhelmsschule war in ihren Anfängen geprägt von Konflikten zwischen den jüdischen Aufklärern mit Unterstützung der preußischen Behörden auf der einen und religiösen Traditionalisten auf der anderen Seite. Ins Bild dieser Auseinandersetzungen gehört auch die Gründung einer neuen aufgeklärten Beerdigungsgesellschaft in Breslau, die unter Löwes Federführung zustande kam.
Neben seiner Arbeit an der Wilhelmsschule wandte Löwe sich in den Breslauer Jahren bibelwissenschaftlichen und sprachtheoretischen Schriften zu. In diese Zeit fällt seine Mitarbeit an Eichhorns „Allgemeiner Bibliothek der biblischen Litteratur“ und Campes „Beyträgen zur weitern Ausbildung der deutschen Sprache“. Die Zeitschrift Hameassef wurde nach einer Unterbrechung ab 1794 von Joel Löwe und Aron Wolfsohn in Breslau herausgegeben. Zwischen 1791 und 1800 veröffentlichte Löwe außerdem Aufsätze und Diskussionsbeiträge zu verschiedenen Themengebieten als Schulprogrammschriften der Königlichen Wilhelmsschule, mit denen zu den öffentlichen Prüfungen an der Schule eingeladen wurde. In Zusammenhang mit Löwes Lehrtätigkeit zu nennen sind auch sein Lehrbuch der hebräischen Sprache „Amude Halaschon“ (1794) und seine für den Schulgebrauch bestimmte wörtliche Pentateuchübersetzung, erschienen ab 1797 in mehreren Bänden. Mit seiner Ernennung zum Professor erhielt Löwe das Recht, in Breslau Vorlesungen über Logik, Kants Philosophie und hebräische Sprache zu halten (vgl. Freudenthal: Emancipationsbestrebungen S. 416 ff.).
In Breslau verheiratete Löwe sich mit Bella Sino, wozu ihm im Meassef gratuliert wird, und sein einziger Sohn kam auf die Welt. Am 11. Februar 1802 starb Joel Löwe an einer Lungenkrankheit (vgl. Litterarische Beilage, S. 83.). Eine der ausführlichsten Zusammenfassungen seines Lebens bietet der kurz nach seinem Tod ohne Verfasserangabe erschienene Nachruf in der Litterarischen Beilage zu den Schlesischen Provinzialblättern. Diese Zeitung wurde von Friedrich Albert Zimmermann herausgegeben, der Löwe persönlich kannte und möglicherweise als Verfasser des Nachrufs in Frage kommt. Ein Bildnis ist von Joel Löwe bisher nicht bekannt.
Literatur
• Freudenthal, Max: Die ersten Emanzipationsbestrebungen der Juden in Breslau, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums 37, 1893, S. 41-48, 92-100, 188-97, 238-47, 331-41, 409-29, 467-83, 522-36, 565-78.
• (ohne Verfasserangabe; eventuell von Friedrich Albert Zimmermann): Einige Nachrichten über den verstorbenen Professor Löwe, in: Litterarische Beilage zu den Schlesischen Provinzialblättern, Drittes Stück, Breslau, März 1802, S. 79-88.
Zitierhinweis:
Lisa Trzaska: Joel Brill. Biographie (Version I, 2021), in: haskala.net. Das online-Lexikon zur jüdischen Aufklärung / hg. von Christoph Schulte, URL<>, letzter Zugriff [Datum, Uhrzeit].