Einsatz eines Virtual-Reality-Klassenzimmers in der Lehrkräfteausbildung
PROF. DR. DIRK RICHTER, Professor für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung, Humanwissenschaftliche Fakultät
Ausgangslage
Eine der größten Herausforderungen für Lehrkräfte beim Unterrichten stellt das Klassenmanagement dar. Hierbei geht es um die Fähigkeit einer Lehrkraft, Unterrichtsstörungen vorzubeugen und angemessen auf Fehlverhalten zu reagieren. Diese Fähigkeiten lassen sich in realen Klassenzimmern nur schwer gezielt trainieren. Aus diesem Grund wurde an der Universität Potsdam ein Virtual-Reality-Klassenzimmer entwickelt, in dem angehende Lehrkräfte unter Anleitung und eingebettet in ein bildungswissenschaftliches Seminar ihre Fähigkeiten im Klassenmanagement trainieren können.
Ziele
Ziel des Seminars ist es, Studierenden im Lehramt Kompetenzen im Klassenmanagement zu vermitteln. Dabei geht es insbesondere darum, theoretische Ansätze in der Praxis umzusetzen. Das Seminar fokussiert somit explizit auf das Einüben von Fertigkeiten, die bei der Ausübung des Lehrerberufs von hoher Relevanz sind.
Lösung
Für die Erprobung von Techniken und Strategien des Klassenmanagements nutzt das Seminar verschiedene Lerngelegenheiten. Hierzu zählen neben dem Einsatz von Mikro-Teaching, Fallvignetten oder Unterrichtsvideos, insbesondere Übungen im virtuellen Klassenzimmer. Die Anwendungen im virtuellen Klassenzimmer werden in Kooperation zwischen dem Lehrstuhl für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung und dem Lehrstuhl für Komplexe Multimediale Anwendungsarchitekturen entwickelt. Die konkreten Übungen können entweder individuell oder in der Gruppe ausgeführt werden: In den Gruppenübungen erhalten Studierende kleinere Aufgaben, die sie als Lehrkraft im virtuellen Klassenzimmer übernehmen sollen (z.B. Zurechtweisen oder Loben von Schüler/innen). Die weiteren Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer verfolgen das virtuelle Unterrichtsgeschehen mit Hilfe eines Smartboards. Im Anschluss an die Übung reflektiert die Seminargruppe gemeinsam das Gesehene und diskutiert gemeinsam mögliche Handlungsoptionen. Neben den Gruppenübungen im Rahmen regulärer Seminarveranstaltungen werden auch individuelle Übungen durchgeführt. Hierbei erhält jede Seminarteilnehmerin und jeder Seminarteilnehmer jeweils ca. 15 Minuten Übungszeit im virtuellen Klassenzimmer. Während dieser Zeit bearbeiten sie verschiedene Aufgaben, wie etwa das Halten eines vorbereiteten Lehrervortrages oder das Monitoring der Schülerinnen und Schüler während einer Einzelarbeitsphase.
Vorteile digitaler Medien
Das virtuelle Klassenzimmer ermöglicht es Studierenden, die Rolle einer Lehrkraft in einem Klassenzimmer einzunehmen und eine Klasse von 30 Schülerinnen und Schülern unter kontrollierbaren Bedingungen zu unterrichten. Das Verhalten der einzelnen Schülerinnen und Schüler wird von einem Coach am PC gesteuert. Der Coach besitzt die Möglichkeit, verschiedene Aktionen der virtuellen Schülerinnen und Schüler anzustoßen. Hierzu zählen etwa die aktive Mitarbeit (z.B. Mitschriften im Unterricht), aber auch Störungen (z.B. durch Unterhaltungen oder Spielen mit dem Lineal). Innerhalb des virtuellen Klassenzimmers kann die Lehrkraft die Störungen wahrnehmen und nach ihrem eigenen Ermessen reagieren. Der Coach entscheidet dabei selbstständig, ob die Störung des Unterrichts beendet oder fortgesetzt wird. In der aktuellen Version des virtuellen Klassenzimmers können somit Fähigkeiten im Erkennen von und Reagieren auf Störungen trainiert und reflektiert werden. Erste Evaluationsergebnisse weisen auf die hohe Akzeptanz des virtuellen Klassenzimmers und den daraus resultierenden Lernzuwachs hin.
Ausblick
Das virtuelle Klassenzimmer wird auch im Wintersemester 2019/20 in jeweils zwei bildungswissenschaftlichen Seminaren zum Einsatz kommen. Parallel dazu wird in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Komplexe Multimediale Anwendungsarchitekturen die technische Weiterentwicklung vorangetrieben. Ziel ist es, die Adaptivität und Interaktivität im virtuellen Klassenzimmer zu erhöhen, um stärker individualisierte und authentische Lernerfahrungen zu ermöglichen. Das Projekt hat zudem bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Weitere Hochschulen wollen das virtuelle Klassenzimmer künftig im Rahmen ihrer Lehrerbildung einsetzen.