Voltaire-Preisträgerin 2021: Elisabeth Kaneza
Die Universität Potsdam verlieh am 13. Januar 2021 im Rahmen ihres Neujahrsempfangs zum fünften Mal den „Voltaire-Preis für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz“. Der von der Friede Springer Stiftung geförderte Preis wird seit 2017 an eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler vergeben, der oder die sich in besonderem Maße für die Freiheit von Forschung und Lehre sowie für das Recht auf freie Meinungsäußerung eingesetzt hat. Den Preis erhält die aus Ruanda stammende Politologin und Rechtswissenschaftlerin Elisabeth Kaneza.
Laudatio von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph Markschies, Präsident der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Eine Laudatio zu verfassen und vorzutragen, macht Vergnügen, denn es ist ein Vergnügen, preiswürdige Leistungen wahrzunehmen, sich darüber zu freuen und sie dann öffentlich auszuzeichnen. Hier und heute ist es aber ein ganz besonderes Vergnügen, eine solche Laudatio verfasst zu haben und vorzutragen, denn wir können uns nicht nur darüber freuen, dass sich eine Frau gegen mancherlei Widerstände, präziser: Diskriminierung und Verfolgung, durchgesetzt hat, ganz präzise: a Woman of Color (WOC) in der doch arg deutschen Wissenschaft hierzulande. Wir können uns vielmehr auf eine Preisträgerin freuen, von der wir alle etwas lernen können.
Von wem spreche ich? Von Frau Elisabeth Kaneza, die in diesem Jahr den „Voltaire-Preis für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz“ erhält. Mit diesem Preis, der dankenswerterweise von der Friede Springer Stiftung finanziert wird, zeichnet die Universität Potsdam seit 2017 in jedem Jahr eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler aus, der oder die sich für die Freiheit von Forschung und Lehre sowie für das Recht auf freie Meinungsäußerung einsetzt. Die diesjährige Preisträgerin Elisabeth Kaneza ist im Alter von sechs Jahren mit ihrer Familie aus der Hölle des Völkermords in Ruanda nach Deutschland geflohen und arbeitet gegenwärtig an einer im Grenzbereich zwischen Rechts- und Politikwissenschaft angesiedelten Promotion zum Thema „rassische Diskriminierung“. Wie es sich für jemanden gehört, der zu öffentlich-rechtlichen Themen forscht, definiert Frau Kaneza den Gegenstand ihrer Promotion sehr präzise: „Rasse drückt also nicht aus, dass es biologische ‚Menschenrassen‘ gibt, sondern, dass es Personen und Gruppen …, die aufgrund dieses Merkmals Ungleichbehandlung erfahren“, diskriminiert werden. Unter anderem deswegen votiert, nebenbei bemerkt, unsere diesjährige Preisträgerin auch gegen die gegenwärtig heftig diskutierte Streichung des Begriffs „Rasse“ im Grundgesetz, spricht selbstbewusst von „schwarzen Menschen“ und fordert ein diskriminierungsfreies „Schwarzes Leben“ (mit großem Anfangsbuchstaben) „in weiß dominierten Gesellschaften“. Es sei doch wohl selbstverständlich, bei der Frage, wie man heute mit dem Begriff „Rasse“ umgehen solle, Forscherinnen und Forscher of Color zu fragen. Und so gefragt, lautet ihr sehr klares Argument wörtlich: „Denn rechtlicher Schutz vor Diskriminierung setzt voraus, dass diese erfassbar ist. Ob sie rechtlich erfassbar ist, hängt wiederum davon ab, ob das Gesetz das zutreffende Diskriminierungsmerkmal anerkennt“.[1]
Natürlich könnte ich, wenn ich jetzt über das bisherige Leben und Wirken von Elisabeth Kaneza spreche, die Frage stellen, ob sie selbst nicht durch die Diskriminierung, die eine aus Ruanda stammende junge Frau in Deutschland erfährt, auf das Thema gebracht wurde, Diskriminierung zu untersuchen. Aber mit einer positiven Antwort wird ja sofort auch das tiefe Problem deutlich, wie Vieles nach dem Aufschlag der Mütter und Väter des Grundgesetzes beim Verfassungskonvent in Herrenchiemsee in den letzten siebzig Jahren versäumt wurde – versäumt wurde jedenfalls, die im Prinzip durch den Verfassungstext geordnete Verfassungswirklichkeit an die Grundrechtsnorm anzupassen. Offenbar brauchen wir nach wie vor für die nachhaltige Erinnerung an dieses schwere Versäumnis die Arbeit der von Diskriminierung und Rassismus Betroffenen. Besser wäre es, die Diskriminierungen, die Frau Kaneza erfahren hat – beispielsweise im Nordrhein-Westfälischen Schulsystem, präziser: in Aachen –, zum Anlass zu nehmen, die Realität der hehren Normen des Diskriminierungsverbots ganz konkret im Alltag unseres Berlin-Brandenburger Bildungssystems zu überprüfen. Frau Kaneza überprüft in ihrer Dissertation sowohl anhand von Interviews Alltagserfahrungen als auch die Rechtswirklichkeit beispielsweise der Polizeigesetze. Immerhin haben entsprechende Institutionen wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, politische Parteien und Stiftungen längst begonnen, die Expertise von Frau Kaneza zu nutzen – und besonders ist natürlich die Universität Potsdam zu nennen, die durch die diesjährige Voltaire-Preisträgerin dabei unterstützt wird, innerhalb der nächsten zwei Jahre im Rahmen eines Prozesses unter dem Motto „Vielfalt gestalten“ das Diversity Audit des Stifterverbandes zu erlangen. Eine Folge des Voltaire-Preises ist hoffentlich, dass noch mehr Menschen von dieser Expertise profitieren können. Ein erster Schritt dazu wäre beispielsweise, dem höchst informativen Twitter-Account von Elisabeth Kaneza zu folgen,[2] mindestens ein erster Schritt für die, die dieses Medium nutzen.
Mich jedenfalls beeindruckt, wie sehr seit Schülerzeiten Elisabeth Kaneza nicht über Diskriminierung nachdenkt und ihre Stimme dagegen erhebt, sondern sich verantwortlich zeigt für Bewusstseinsbildung und Verhaltensänderung anderer Menschen, die nicht durch ihre eigene Biographie sofort auf das Thema gestoßen werden und daher alltägliche Benachteiligungen gern übersehen. Gleichzeitig liegt ihr aber auch die Stärkung derer am Herzen, die nach wie vor Opfer von Diskriminierung sind – „Empowerment“ heißt das englisch, „Kräftigung“ hätten das meine Eltern genannt. Mit solchem Engagement hat Frau Kaneza früh begonnen: Sie wirkte nicht nur als Klassen – und Schulsprecherin, sondern engagierte sich während ihres Studiums in Maastricht und Berlin als Jugendleiterin in Bildungseinrichtungen und als Coach in interkulturellen und integrativen Projekten. Schon 2013 gründete sie die Kaneza Initiative, mit dem Ziel, gesellschaftlichen Wandel aktiv mitzugestalten und einen Beitrag für die Förderung der Menschenrechte und Vielfalt zu leisten. Drei Jahre später wurde aus der Initiative schließlich ein gemeinnütziger Verein: die Kaneza Foundation for Dialogue and Empowerment e.V. Kaum zufällig fördert dieser Verein beispielsweise sowohl Menschenrechtstraining für Frauen afrikanischer Herkunft, aber auch entsprechende Fortbildung für pädagogische Fachkräfte mit klassischer deutscher Bildungsbiographie und vor allem Empowerment wie Bildung für junge Menschen. Ich kenne wenige Promovendinnen oder Promovenden, die schon in so jungen Jahren eine solche Initiative nicht nur auf die Wege gebracht haben, sondern auch institutionalisiert haben.
Die Jury, die Elisabeth Kaneza für den Voltaire-Preis vorschlug, steht nicht allein auf weiter Flur: Elisabeth Kaneza wurde bereits mehrfach für ihr Engagement ausgezeichnet, unter anderen von der Robert Bosch Stiftung undderDeutschland Stiftung Integration. Sie wurde auch mehrfach als Senior Fellow des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechteausgewählt und koordinierte in diesem Zusammenhang ehrenamtlich die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung. Wieso dann noch der Voltaire-Preis? Auf der Homepage der Kaneza-Foundation findet sich ein wunderbarer Abschnitt über die drei Werte, denen sich diese Stiftung besonders verpflichtet fühlt: Menschenrechte, Chancengleichheit und Vielfalt. Dieser Abschnitt lautet:
Wir glauben, dass die Achtung der Menschenrechte, Chancengleichheit und die Anerkennung von Vielfalt wichtige Voraussetzungen für die Stärkung unserer Demokratie sind. Nur wenn wir Diversität als Bereicherung sehen, können wir das immense Potenzial, das jede*r für die Gestaltung unserer Gesellschaft mitbringt, ausschöpfen. Interkulturellen Dialog sehen wir dabei als einen wichtigen Garant für den gesellschaftlichen Zusammenhalt an.[3]
Wollte man von diesen Werten, für die Elisabeth Kaneza steht, eine Linie zu Voltaire ziehen, dem es auch um die allgemeinen Rechte aller Menschen und die spezifischen jeden Individuums ging, würden natürlich sofort neben Analogien auch Differenzen auftreten; alles andere wäre bei einem Zeitgenossen des großen Friedrich, der vor zweihundertdreiundvierzig Jahren starb, auch eher verwunderlich. Wie auch immer man genau Äußerungen Voltaires zu interpretieren hat – der nach ihm benannte Potsdamer Preis ehrt Respekt vor Differenz. Diesen Respekt hat Frau Kaneza nicht nur überreichlich dokumentiert, sie bringt ihn vor allem auch anderen Menschen bei, durch ihre wissenschaftliche Arbeit ebenso wie durch ihr bürgerschaftliches Engagement. Schon deswegen ist sie eine würdige Trägerin des Voltaire-Preises.
[1]https://www.juwiss.de/102-2020/ (letzter Zugriff am 6.12.2020).
[2] Vgl. auch ihren Youtube-Kanal: https://www.youtube.com/watch?v=MWsTz2cTm_Q&fbclid=IwAR2NiV4GQarEodXHgTc3aaSAEhWRlIeUhh5Ab46qI2CDsXWmSn4CPFah7Yk&app=desktop (letzter Zugriff am 6.12.2020).
[3]http://kaneza.org/werte/ (letzter Zugriff am 6.12.2020).
Elisabeth Kaneza - Kurzvita
Elisabeth Kaneza promoviert derzeit an der juristischen Fakultät der Universität Potsdam und forscht zum Thema der Gleichberechtigung von Schwarzen Menschen in Deutschland. Sie ist zudem Politikwissenschaftlerin, Menschenrechtlerin und Vorsitzende der Kaneza Foundation for Dialogue and Empowerment e.V., ein von ihr mitbegründeter Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat Menschenrechte, Chancengleichheit und Diversität zu fördern und sich gegen Rassismus und Diskriminierung einzusetzen. 2015 wurde Elisabeth Kaneza zum Fellow des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) ausgewählt. Seitdem führt sie Aktivitäten für die Umsetzung der Internationalen Dekade für Menschen Afrikanischer Abstammung (2015-2024) durch. Frau Kaneza ist Stiftungsrätin am Hamburger Museum am Rothenbaum - Kulturen und Küste der Welt (MARKK) und Themenpatin für junges Engagement beim Bundesnetzwerk für Bürgerschaftliches Engagement. Elisabeth Kaneza wurde 1987 in Ruanda geboren. Sie wuchs in der Stadt Aachen auf, dort ist auch der Sitz der Kaneza Foundation.