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Privatdozentin

Allgemeines

PD Dr. Olivia Mitscherlich-Schönherr

Privatdozentin

 

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Akademischer Werdegang

Olivia Mitscherlich-Schönherr ist seit Sommersemester 2024 Privatdozentin für Philosophie an der Universität Potsdam. Im akademischen Jahr 2024/25 geht sie als Distinguished Fellow an das Max Weber Kolleg in Erfurt.

Davor hatte sie akademische Positionen an der Hochschule für Philosophie in München, der Universität St. Gallen, dem DFG-Graduiertenkolleg „Lebensformen und Lebenswissen“ der Universitäten Potsdam und Frankfurt / Oder, am Swedish Collegium for Advanced Study in Uppsala und am Maison d’Éducation de la Légion d’Honneur in St. Denis inne.

Sie hat Philosophie und Geschichte an den Universitäten Tübingen, Paris I (Panthéon-Sorbonne), Bochum und Berlin studiert. An der Universität Potsdam wurde sie mit der Arbeit „Natur und Geschichte. Helmuth Plessners in sich gebrochene Lebensphilosophie“ (mit dem Prädikat: summa cum laude) promoviert und mit der Schrift „Die Wirklichkeit der Liebe“ habilitiert.

Forschungsinteressen

In den letzten Jahren setze ich mich an der Schnittstelle von philosophischer Anthropologie, Ethik und politischer Philosophie insbesondere mit Grenzsituationen menschlichen Lebens auseinander: mit Sterben, Geburt, neuartigen Formen der Mensch-Maschine-Interaktion, der Pandemie, dem Anthropozän.

An den Grenzen des Lebens wird das Ineinandergreifen seiner unterschiedlichen – körperlichen, leiblichen, sozio-kulturell konstituierten, geistigen – Dimensionen zum Problem. Grenzsituationen sind nicht nur bedrohlich, sie konfrontieren auch mit grundlegenden Orientierungsfragen nach menschlichem Gedeihen bzw. dem Gelingen des Lebens inmitten der Krise: Was stiftet Orientierung, wenn gewohnte Leitbilder ihre Selbstverständlichkeit verlieren? Was kann es bedeuten, dass das Leben in Grenzsituationen gelingt – und zwar auch dann noch, wenn (etwa: bei Demenz) Fähigkeiten der Selbstbestimmung weitestgehend verloren sind? Dabei finden existenzielle Auseinandersetzungen mit solchen Grundfragen des Lebens nicht im luftleeren Raum, sondern zusammen mit anderen und mit Hilfe von Technologien in sozialen, kulturellen und ökonomischen Kontexten statt.

Philosophie kann keinen allgemeinen Maßstab des guten Lebens in Grenzsituationen bereitstellen. Sie kann jedoch verbreitete Ideale und Praktiken der Gestaltung von Lebenskrisen analysieren, zurückgedrängte Praktiken erinnern und dabei Potenziale, Gefahren und innere Widersprüche sichtbar machen. Auf diese Weise kann praktische Philosophie ihrerseits praktisch werden: sie kann mit Mitteln der Theorie zu einem klugen Urteilen und Handeln in Grenzsituationen beitragen.

Aktuelle Projekte

In meinem aktuellen Buchprojekt „Klüger-Werden“ möchte ich mit Mitteln einer kritischen Phänomenologie zur Vervollkommnung öffentlicher Klugheit beitragen. Klugheit verstehe ich in Aristotelischer Tradition als die Fähigkeit, in unvorhersehbaren Lebenssituationen gut zu handeln. Besondere Bedeutung für das Leben gewinnt Klugheit in unübersichtlichen und bedrohlichen Grenzsituationen, in denen etablierte Leitbilder und Handlungsweisen nicht mehr tragen. Mit Hannah Arendt unterstreiche ich den öffentlichen Charakter von Klugheit: dass kluges Urteilen und Handeln im „Bezugsgewebe“ der Öffentlichkeit konkrete Gestalt gewinnen. Dabei sind in der multiplen Moderne mit ihrem komplexen Gefüge verschiedener Öffentlichkeitssphären unterschiedliche Gestalten öffentlicher Klugheit möglich.

Kritisch setze ich mich mit den beiden sozial vorherrschenden Klugheiten auseinander: einer instrumentell-beziehungslosen Klugheit, die sich im Geflecht von kapitalistischem Markt, Wissenschaftssystem, Technologieentwicklung und juristischen Verfahren ausgebildet hat; und einem Stammesdenken, das sich aus gemeinschaftlichen Bindungen speist. Ich zeige, dass ihr Scheitern als Kompetenzen der Krisenbewältigung in den sozialen – ökologisch-ökonomisch-demokratischen – Krisen der Gegenwart offenbar wird.

Affirmativ setze ich mich für prudentielle Lernprozesse in Richtung einer kairotisch-relationalen Klugheit ein: einem rückhaltlosen Urteilen und Handeln, das in unübersichtlichen und bedrohlichen Grenzsituationen das situativ gebotene Handeln im Dialog mit Anderen versteht und umsetzt. Quellen für die Vervollkommnung von öffentlicher Klugheit finde ich in der multiplen Moderne in religiösen und spirituellen Praktiken, Wissensbeständen und Erfahrungen: der menschlichen Endlichkeit, Selbsttranszendenz und Resonanz. In meinem Buchprojekt lote die Möglichkeiten und Grenzen einer kairotisch-relationalen Erneuerung von Klugheit aus religiösen Quellen aus.

In der Bioethik und -politik bereite ich gegenwärtig mit der Psychiaterin Isgard Ohls den interdisziplinären Band „Gelingende Sterbebegleitung. Die international geführte Diskussion um Assistierten Suizid und Unterstützung beim Sterben – eine transdisziplinäre Annäherung“ vor. Der Band soll 2025 in der interdisziplinären Publikationsreihe „Grenzgänge. Studien in philosophischer Anthropologie“ erscheinen, die ich mit dem Theologen Reiner Anselm und dem Psychiater Martin Heinze im de Gruyter-Verlag herausgebe. Anlass des Bandes „Gelingende Sterbebegleitung“ sind die Neuausrichtungen in der Sterbehilfe und die kontroversen gesellschaftlichen Debatten des Themas, die viele westliche Gesellschaften gegenwärtig bestimmen. Mit unterschiedlichen Begründungen, Einschränkungen und Auflagen werden dabei Suizidassistenz und zum Teil auch Tötung auf Verlangen legalisiert. Das Publikationsprojekt weitet den Blick über die Suizidbeihilfe und die Tötung auf Verlangen hinaus, um Sterbehilfe in ihrer ganzen Breite ins Auge zu fassen. Mit den vielfältigen Formen der Begleitung, Unterstützung, Hilfe, aber auch mit der fehlenden Hilfe rückt der Band den Beziehungsaspekt personalen Sterbens ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In disziplinübergreifender Perspektive setzt er sich mit Fragen eines gelingenden Miteinanders in den unterschiedlichen Formen von Sterbehilfe auseinander.

An der Schnittstelle von politischer Philosophie, Sozial- und Rechtswissenschaften organisiere ich mit den Rechtswissenschaftlerinnen Stephanie Rohlfing-Dijoux (Paris-Nanterre) und Guylène Nicolas (Aix-Marseille) das interdisziplinäre deutsch-französische Forschungsprojekt „Conseils citoyens, une contribution à une démocratie épanouie? / Welchen Beitrag können Bürgerräte zu einer gedeihenden Demokratie leisten?“ In den letzten Jahren werden in vielen westlichen Gesellschaften Bürgerräte erprobt, um Demokratiedefizite des Repräsentativsystems zu beheben. Dabei werden sehr unterschiedliche Formen der Ausgestaltung und Implementierung gewählt. Das geplante Projekt soll konstruktiv zu einer gelingenden Etablierung von Bürgerräten beitragen. Im Rahmen einer interdisziplinären Tagung soll 2025 in Aix-en-Provence ein Anforderungskatalog an Bürgerräte als Institution demokratischer Erneuerung erarbeitet werden. Dafür kann das Projekt von dem Vergleich zwischen den unterschiedlichen Vorgehensweisen in Deutschland und Frankreich profitieren.

Buch-Publikationen

  1. Kann das Anthropozän gelingen? Krisen und Transformationen der menschlichen Naturverhältnisse im interdisziplinären Dialog (mit Mara-Daria Cojocaru und Michael Reder, Berlin 2024: de Gruyter)
  2. Erotisches Philosophieren (München 2022: Claudius).
  3. Das Gelingen der künstlichen Natürlichkeit. Mensch-Sein an den Grenzen des Lebens unter den Bedingungen disruptiver Technologien (Berlin 2021, ²2023: de Gruyter)
    Das Gelingen der Geburt. Interdisziplinäre Erkundungen in umstrittenen Terrains (mit Reiner Anselm, Berlin 2021, ²2022: de Gruyter)
  4. Gelingendes Sterben. Zeitgenössische Theorien im interdisziplinären Dialog (Berlin 2019, ²2021: de Gruyter)
  5. Die Unergründlichkeit der menschlichen Natur (mit Matthias Schloßberger, Berlin 2015: de Gruyter)
  6. Das Glück des Glücks. Philosophische Anthropologie des guten Lebens (mit Matthias Schloßberger, Berlin 2014: de Gruyter)
  7. Glück. Ein interdisziplinäres Handbuch (mit Dieter Thomä und Christoph Henning, Stuttgart 2011: Metzler)
  8. Natur und Geschichte. Helmuth Plessners in sich gebrochene Lebensphilosophie (Berlin 2007: Akademie-Verlag)

Öffentliches Philosophieren

Der Austausch zwischen akademischer Philosophie und Öffentlichkeit liegt mir sehr am Herzen. Er ist für beide Seiten äußerst fruchtbar. Auf der einen Seite können im Rückgriff auf Ansätze der philosophischen Tradition Leitbegriffe und Praktiken der öffentlichen Debatte reflektiert und hinterfragt werden. Dabei können blinde Flecken, Verkürzungen und Fehlalternativen sichtbar gemacht werden. Auf der anderen Seite lassen sich umgekehrt aber auch die Ansätze der akademischen Philosophie im Lichte aktueller sozialer Herausforderungen kritisch überprüfen. Dabei geht es nicht nur um innere Konsistenz, sondern auch um die Fähigkeiten, aktuelle soziale Probleme differenziert zu analysieren und zu rationaler Orientierung beizutragen.

Eine Auswahl meiner öffentlichen Wortmeldungen findet sich auf PhilPublica: https://www.philpublica.de/Suche?Suchbegriff=Mitscherlich-Schönherr

 

Außerdem können Sie hier einige Radio-Interviews nachhören:

Vom Eros der politischen Klugheit, in: https://www.deutschlandfunkkultur.de/wehrhafte-demokratie-warum-erotik-fuer-politische-klugheit-hilft-dlf-kultur-d229f9c1-100.html

Freiheit und Mensch-Sein in der Pandemie. Was zählt, was fehlt? In: https://www.youtube.com/watch?v=X9Q5eCwc8Wc

Mensch-Sein in Corona-Zeiten. Mit der Pandemie Leben und Sterben lernen, in: https://www.ardaudiothek.de/episode/tag-fuer-tag-deutschlandfunk/menschsein-in-corona-zeiten-mit-der-pandemie-leben-und-sterben-lernen/deutschlandfunk/90091654/

Gottvertrauen unter den Tisch gekehrt, in: https://www.deutschlandfunk.de/philosophie-und-coronakrise-gottvertrauen-wird-unter-den-100.html