ZUKUNFT DER UKRAINE – Genossenschaften stärken Demokratie, Bürgerschaft und EU-Integration
10. November 2022
Gedanken eines Augenzeugen des Zeitgeschehens zum Ukraine-Wiederaufbau
GEDANKEN EINES AUGENZEUGEN DES ZEITGESCHEHENS ZUM UKRAINE-WIEDERAUFBAU
EINLEITUNG
Prinzipientreue Genossenschaften gehören zu den Tragpfeilern jeder demokratischen Gemeinschaft in Europa und sind deshalb systemrelevant.
Angesichts des akuten Systemkonflikts in Osteuropa wird für Mitarbeit beim Wiederaufbau der Ukraine auf den Fundamenten der europäischen Kultur, zu denen sein Genossenschaftswesen gehört, geworben.
Die Beziehungen zwischen dem deutschen Genossenschaftswesen und demjenigen im vor-revolutionären Russland stehen im Zentrum dieser Aufzeichnung.
INTENTIONEN
Ich habe die „Stiftung Livländische Gemeinnützige“ (2011) errichtet, um Initiativen voran zu bringen, welche dazu beitragen die in Osteuropa abgerissenen Traditionen eines leistungsfähigen zivilgesellschaftlichen Assoziationswesens wiederzubeleben.
Hierfür bietet sich das baltische Genossenschaften als Ausgangsobjekt an, die bis Ende der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wesentlich Faktoren in der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft waren.
Dort war es anders als in denjenigen Regionen des „Russischen Reiches“, die unter die Sowjetherrschaft geraten waren, wo das freie Genossenschaftswesen schon bald nach dem Ersten Weltkrieg ein Ende fand.
Davon ausgehend will ich die Diskussion um die Heranführung der ukrainischen Zivilgesellschaft an die EU und ihre Grundwerte, sowie an die Errungenschaften von Europas Zivilgesellschaften, in denen die Genossenschaften tragende Elemente sind, bereichern.
Die in der Zivilgesellschaft verankerten Genossenschaften weltweit haben ihre Ziele (über die „International Cooperative Alliance – ICA“ schon 1937) unter Wertekategorien spezifiziert.
Diese sind:„Selbsthilfe, Eigenverantwortung, Demokratie, Unparteilichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität“, was ihre enge Verwandschaft mit den EU-Grundwerten bezeugt.
(Siehe hierzu ausführlich: https://www.ica.coop/en/cooperatives/cooperative-identity)
Vor diesem Hintergrund hat die UNESCO 2016 das Genossenschaftswesen zum „Immateriellen Weltkulturerbe“ erklärt.
LEHREN AUS DEN DIKTATUREN
In Deutschland gibt es seit 1889 ein für das gesamte damalige Reichsgebiet geltendes Genossenschaftsgesetz, das in der Folgezeit an die jeweiligen Zeitumstände angepasst wurde.
Die Nationalsozialisten schalteten die Genossenschaften schon bald nach ihrer Machtübernahme gleich.
Sie stellten sicher, dass – unter Aufrechterhaltung einer Kontinuitätsfassade – das Innenleben der Genossenschaften dem „Führerprinzip“ unterworfen wurde.
(Überzeugend hierzu: de.wikipedia.org>wiki>Prüfungsverband)
Es ist für Deutschland naheliegend, der Ukraine das eigene Genossenschaftssystem, vor allem dessen Regelwerk, als Orientierung für einen EU-konformen genossenschaftlichen Neubeginn anzubieten.
Nach dem Ende der Diktatur wurde das deutsche genossenschaftliche Regelwerk nicht bereinigt.
Deshalb ist Vorsicht geboten, wenn beim Gestalten eines EU-konformen ukrainischen Genossenschaftswesens das heutige deutsche System in diesem Bereich zum Vorbild gewählt wird.
Um „Infektions-Übertragungen“ vorzubeugen, sollte vornehmlich auf der nationalsozialistischen Herrschaft vorgelagerte, somit unbelastete, Regelungen und Praktiken zurückgegriffen werden.
Damit würde zudem eine Brücke zu einer im Osten verankerten, den damaligen deutschen Regeln nahen „Russischen Genossenschaftsgesetz“, das in der kurzen Demokratie-Periode Russlands (am Ende des Ersten Weltkrieges) verabschiedet wurde.
(Das Gesetz konnte im Februar 1917 von der „Kerenski-Regierung“ gleich nach ihrem Amtsantritt verabschiedet werden, weil es dem Zaren noch gelungen war, es wenige Tage vor seiner Abdankung durch den Ministerrat zu bringen.)
(DessenOriginalwortlaut findet sich auf der am Kopf genannte Website).
Das war auf das gesamte Territorium des „Russischen Reiches“ und die dort bereits weit verbreiteten Genossenschaften ausgerichtet, die Ukraine selbstverständlich inbegriffen, konnte aber in den sowjetisch gewordenen Teilen des alten Reiches nicht angewendet werden – mit wenigen, aber bedeutenden, Ausnahmen.
Die baltischen Provinzen, die damals aus dem russischen Verband ausschieden, um sich als selbständige Staaten (Estland, Lettland und Litauen) zu etablieren, wandten das russische Gesetz über zwei Jahrzehnte als jeweilige nationale Regelungen an.
Nicht nur das erwähnte Gesetz hat auf diese Weise überlebt, zur wertvollen Hinterlassenschaft gehören auch die Dokumentationen über seine Anwendung bis zur Auslöschung des freien Genossenschaftswesens auch in diesem Teil Osteuropas.
Die Okkupation des Ostens durch die Nationalsozialisten beendete die autochthonen Strukturen der baltischen Zivilgesellschaft, damit auch deren Genossenschaften.
Sehr viele der Anhänger und Mitläufer dieses Regimes, Genossenschaftler und andere „Mittelständler“ durchaus inbegriffen, nutzten die Gunst der Stunde, um den Osten materiell und personell auszuplündern.
Im Nachkriegs-Westen konnten die Genossenschaften bald wieder arbeiten, nicht selten weiter unter Leitung der in der Zeit davor zu Macht Gelangten.
Sie wurden zu Stützen des „Wirtschaftswunders“und zu Belegen für die Rückkehr demokratischer Verhältnisse, sowie einer funktionierenden Zivilgesellschaft.
Die fragwürdige Nazi-Vergangenheit, damit auch deren Auswirkungen auf den Osten, blieben zugedeckt.
Bis heute scheuen die deutschen Genossenschaften den Osten, allen voran der „Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. – DGRV“. (Siehe dazu die Website des DGRV, „Internationale Zusammenarbeit“.
Deutschland ist im EU-Gefüge viel zu wichtig, als dass es zugelassen werden kann, dass der Ausbau der ukrainischen Zivilgesellschaft ohne Mitwirkung der hiesigen Genossenschaften vor sich geht.
Neben den nationalsozialistischen Usurpatoren des Genossenschaftswesens und ihren sowjet-sozialistischen Antagonisten begegnete und begegnet diese Form des Assoziationswesens bis heute anderen Gefährdern „jedweder Couleur“ – darunter „Trittbrettfahrer“, die Fördermitteln nachjagen, politische Hazardeure, Heilsverkünder, Heile-Welt-Träumer, aber auch Kriminelle, wie etwa Geldwäscher.
Angesichts der allgegenwärtigen Gefahren ist dort, wo es noch nicht etabliert ist – wie etwa in Osteuropa – der Aufbau eines spezifischen Schutzsystems unumgänglich, das zudem laufend professionell zu verbessern wäre.
Die Genossenschaften haben in den Ländern, in denen sie kontinuierlich arbeiten konnten, hierfür ein (in der Wirtschaft einzigartiges) – Instrument entwickelt, die „Genossenschaftliche Verbandsprüfung“, dessen „know-how“ zur Verfügung steht.
(Siehe dazu: https://de/wikipedia.org/wiki/Prüfungsverband und die am Kopf genannte Website unter verschiedenen Rubriken.)
MEIN FAMILIÄRES UMFELD
Umweit des Wohnhauses meiner ersten acht Lebensjahr gab es eine große Feuerwehrschule unter der Leitung von Erich Koch, NSDAP-Gauleiter von Ostpreußen, im Zweiten Weltkrieg dazu Verwalter der Ukraine.
Letztere Funktion verschaffte ihm die Versorgung mit Zwangsarbeitern für die ebenfalls unter seiner Leitung stehende, 1943 fertiggestellte, unterirdische Munitionsfabrik, die sich ebenfalls ganz in der Nähe meines Elternhauses befand.
Er benutzte dort ukrainische Frauen, die, mit ihren Säuglingen, an diesen Ort verschleppt worden waren, als Arbeiterinnen.
(Hier füge ich die Skizze einer für mein Leben prägenden damaligen Wahrnehmung ein:
Meine Mutter schickte mich – sie wußte also Bescheid – überflüssig gewordener Baby-Kleidung zu den Erdlöchern, in denen diese Frauen mit ihren Kindern hausten.
Die Kinder waren, wie ich sah, völlig unversorgt, weil die Mütter von früh bis spät in der Fabrik arbeiten mußten.
Mein Vater, aus bescheidenen Verhältnissen stammend, wurde, gleich nach der Grundschule, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, zum Wehrdienst eingezogen.
Er verbrachte seine Jugend im Feld, war über den Ausgang des Krieges enttäuscht und wandte sich früh den Nationalsozialisten zu, weil diese ihm Halt und Hoffnung verhießen.
(Eher beiläufig erzählte er mir einmal, er sei Anfang der 20er Jahre bei einer Freischärler-Einheit – es kann nur eine deutsch-nationale gewesen sein – im Baltikum gewesen.)
Er absolvierte eine Banklehre und erreichte danach eine Anstellung bei der Hausbank der ostpreußischen Landstände, der „Bank der ostpreußischen Landschaft“, wo er meine Mutter kennenlernte, die seit Anfang der 20er Jahre ebenfalls dort arbeitete.
(Sie entwickelten eine Intimbeziehung. Meine Mutter war ledig, mein Vater aber verheiratet. Ich bin das Ergebnis dieser Liebschaft. Die Ehe wurde – mit Hilfe der Partei – so rechtzeitig geschieden, dass ich ehelich geboren wurde.)
Meine Mutter hat, obgleich (nur ) aus einem Handwerker-Haus stammend und deshalb für jene Zeit unüblich, ein privates „Lyzeum“ für „Höhere Töchter“ besucht.
Danach ging sie bei der „Landschaftsbank“ in die Lehre. Mitschülerinnen aus den „Höheren Ständen“ hatten ihr den Zugang zu der Bank vermittelt.
(Besonders hilfreich waren dabei die Töchter von Wilhelm Freiherr von Gayl – im Ersten Weltkrieg Chef der Abteilung für Politik und Verwaltung beim Heeres-Stab des Oberbefehlshabers Ost – kurz: OberOst – unter General Ludendorff und Feldmarschall von Hindenburg, in der „Weimarer Republik“, einflussreicher deutschnationaler Politiker und Schlüsselperson in der „Landschaftsbank“.)
Mein Vater fand, nicht zuletzt wegen seiner Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, gleich zu Beginn der deutschen Wiederaufrüstung, Zugang zur Wehrmacht, obgleich er kurz zuvor aus der NSDAP wegen parteiwidrigen Verhaltens ausgestoßen worden war.
Gleich zu Beginn des Krieges wurde mein Vater in Litauen eingesetzt, wenn ich mich recht erinnere, bei einer Gendarmerie-Einheit, wo er wohl nicht operativ, sondern in der Verwaltung tätig war.
(Er wußte bestimmt von den Verbrechen dieser Einheit. Darüber hat er aber bis an sein Lebensende geschwiegen.)
MEIN WEG ZUM THEMA „GENOSSENSCHAFTEN IM OSTEN“
Dieser Weg begann mit einem familiären Unglück.
Mein Vater hatte (1953) bei der (damals neuen) Gewerkschaftsbank – Bank für Gemeinwirtschaft Nordrhein-Westfalen AG – BfG – über Landschaftsbank-Kollegen aus Königsberg – Anstellung gefunden.
Zwei Monate nach seinem Arbeitsbeginn dort starb er an Leukämie. Die Familie verlor damit den Ernährer.
Meine Mutter ging zu den auch ihr vertrauten Ex-Kollegen, um sich mit ihnen – in Gegenwart von mir, ihrem Ältesten – über mögliche Auswege aus der Misere zu beraten.
Man bot mir spontan eine Lehrstelle an , obgleich meine Schulbildung nicht den üblichen Anforderungen entsprach; ich konnte nur die sog. Mittlere Reife vorweisen.
Mich beherrschte die Vorstellung, dass ich mich für die Familie opfern müsse, auch wenn das erfordere, alle meine wirklichen Ambitionen aufzugeben und nahm das Angebot an.
(Ich arrangierte mich und konnte die dessenungeachtet fortbestehende Absicht zu studieren erst sechs Jahre später verwirklichen, nachdem ich an einem „Abendgymnasium“, neben der Berufstätigkeit, die Hochschulreife erworben hatte.)
Ich erlernte nicht nur das Bankgeschäft, sondern wurde auch mit der Unternehmens-Modalität „Gemeinwirtschaft“, zu der die BfG zählte, vertraut – einer heute verschwundenen, damals aber recht bedeutenden, in ihren Grundanliegen mit dem Genossenschaftswesen verbundenen Gruppe von Wirtschaftsunternehmen.
(Die praktische Anschauung wurde später, während meines Studiums, als ich Stipendiat der „Stiftung Mitbestimmung“, heute: „Hans-Böckler-Stiftung“ – war, durch von ihr arrangierte Theorie-Kurse zur Selbsthilfe in der Bürgerschaft ergänzt.)
Zum Begriff „Gemeinwirtschaft“ einige heute nicht mehr geläufige Einzelheiten:
Ihr Konzept beruht auf frei-kollektivistischen Bestrebungen, vor allem solchen in Osteuropa.
Es wurde als Alternative zum Sozialismus sowjetischer Prägung und führte in Israel in dort staatsrelevanten Einrichtungen (u.a. Kibbuzzim, Bank Hapoalim) umgesetzt.
Über Verbindungslinien von Israel ins Nachkriegs-Deutschland gelangte diese Idee nach Westdeutschland, wo sie aufgegriffen wurde und zur Errichtung einer ansehnlichen Zahl von „gemeinwirtschaftlichen“ Unternehmungen führte – BfG, Konsumgenossenschaften mit Zulieferbetrieben, Neue Heimat, Deutsche See Hochseefischerei, Büchergilde Gutenberg, gut-Reisen, Versicherungsgruppe Alte Volksfürsorge etc..)
Berufliche Verbindungen führten mich (nach erfolgreich beendetem Studium der Rechts- und Verwaltungswissenschaften während meines Referendariats bei der „Deutschen Bundesbank“) zur „Friedrich-Ebert-Stiftung“.
Diese suchte einen Genossenschaftsberater für eine Behörde für Genossenschafts-Aufsicht und -förderung in Kolumbien.
Die Stiftung nahm man mich (für die Zeit 1968 – 1971) unter Vertrag (nachdem ich mein Bundesbank-Assessor-Examen abgelegt und für diese Aufgabe beurlaubt worden war).
Diesem Einsatz folgte, einige Jahre später, ein weiterer, ebenfalls in Kolumbien, diesmal aber als Berater für eine ländliche Groß-Genossenschaft.
Während letzterer Tätigkeit baute sich eine Beziehung zum „ifG – Marburger Institut für Genossenschaftswesen“ auf.
Es lag deshalb nahe, dass ich mich an diese Einrichtung wandte, nachdem ich kurz zuvor (im Juli ds.Js.) meine Ideen für ein genossenschaftliches Engagement der deutschen Genossenschaften in der Ukraine bei den Spitzen-Repräsentanten des DGRV auf einer Fachtagung hatte vorbringen können. Mein Ansinnen blieb allerdings bis heute unbeantwortet.
(Ich nehme an, das ifG befürchtet – trotz des günstigen Vorlaufs – beim für seine Existenz lebenswichtigen (= Zuwendungen) DGRV Unwillen zu erzeugen, wenn es sich gegenüber dem Osten öffne.)
EU-AUFTRAG FÜR ESTLAND
Als ich am 1. Februar 1992 mit einem EU-Auftrag (zur Beratung der kurz zuvor reaktivierten Zentralbank) in Estland eintraf, fand ich – kurzgefaßt – nur Trümmer und Elend vor.
Mein Beraterauftrag spiegelte die Ratlosigkeit der Kommission angesichts der völlig unerwarteten politisch-ökonomischen Wende im Osten wider.
Mein Mandat wurde nach Gutdünken von aufgrund der völlig neuen Konstellation aus anderen Einheiten in die im Aufbau befindliche Einheit „PHARE“ abgeordneten EU-Beamten improvisiert.
(Ich solle helfen, eine Bankenvereinigung nach westlichem Vorbild aufzubauen und eine Ausbildung von marktwirtschaftlich orientierten Bankbediensteten in die Wege leiten, wurde mir aufgetragen.)
Dieser EU-Auftrag interessierte den ebenfalls erst Tage zuvor ins Amt gekommenen, in Geld- und Währungsangelegenheiten noch unerfahrenen Präsidenten der estnischen Zentralbank, dem ich zugeteilt worden war, überhaupt nicht.
Sein vordringlicher Wunsch sei der nach solidem Geld, was er mir schon bei unserem ersten Gespräch mitteilte.
Ich solle ihm dafür umgehend ein umsetzbares Konzept erarbeiten, denn ich verfüge ja über eine Ausbildung in derlei Dingen.
Mir wurde sofort klar, dass ich auf dieses Ansinnen substantiell eingehen müsse, um den Fortgang meiner Mission zu sichern, auch wenn das Geforderte weit jenseits meines Mandates lag.
Ich bedachte zugleich, dass die Kommission meinen Auftrag unverzüglich beenden würde, sobald sie erführe, dass ich mich in eine renommierten Experten vorbehaltene Materie eingemischt habe.
Dieses Problem hatte auch der Präsident erkannt. Da er aber meine Expertise erhalten wollte, wurde ein Kompromiss geboren.
Es wurde – ohne schriftliche Fixierung – vereinbart, dass meine Vorschläge eine rein persönliche Hilfestellung für die Person des Präsidenten sein sollten.
Unter diesen Umständen riet ich – fachlich völlig isoliert und gehalten, aus dem Stand risikovermeidend zu improvisieren – die international gut beleumundete westdeutsche Währungsreform von 1948 nachzuahmen. Dies wurde voll akzeptiert.
Zum Ingangsetzen der Reform beschaffte ich (von der Deutschen Bundesbank) den vollen Satz der – unter der Ägide der Besatzungsmächte zustandegekommenen – Währungs-Umstellungsgesetze.
Die englischsprachige Version dieser Gesetze wurde die Grundlage für nationale Gesetzesentwürfe.
Diese wurden von einem Vor-Parlament, dem Estnischen Kongress, rasch und ohne Abstriche verabschiedet.
Die Währungsreform fand im Juni 1992 statt und wurde, von den immer noch aktiven Verfechtern des Sowjetsystems argwöhnisch mitverfolgt, ein Erfolg.
Das Land kam so auf dem Weg in die Marktwirtschaft viel schneller voran als andere östliche „Reformländer“.
Meine Person, vor allem aber meine Mitwirkung an der Reform, blieben verborgen.
Die Früchte meines Wirkens bei der Währungsreform erntete vor allem die Person, der ich zugearbeitet hatte; sie wurde als Vater der neuen Währung gefeiert und kam zügig voran.
Ich selbst geriet bald in eine missliche Lage, weil ich Zeuge von Manipulationen im Zusammenhang mit der Reform geworden war, was dem Umfeld des Präsidenten der Zentralbank (und damit auch ihm) nicht entgangen war.
Meine Anwesenheit wurde unerwünscht. Der EU-Auftrag lief zwar bis zu seinem regulären Ende weiter, aber das Einvernehmen war dahin.
BALTISCHES GENOSSENSCHAFTSWESEN
Da mein Berufsweg vom Genossenschaftswesen (in seinem engeren und im weiteren Sinne) geprägt ist, konzentriere ich mich seit zwei Jahrzehnten ehrenamtlich um dessen Wiedererstehen in Osteuropa.
Vom Anbeginn meines Eintreffens in Estland an richtete ich mein Augenmerk auf das dortige Finanzwesen, das in der ersten Nach-Wende-Zeit entstandene, das aus Sowjetzeiten überkommene und das bis zum Zweiten Weltkrieg im Baltikum vorhandene.
Besonders interessierten mich Einrichtungen zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und der Gemeinwesen, sprich Genossenschafts-Kreditinstitute und kommunale Banken.
Die Recherchen führten mich auch zu den genossenschafts-ähnlich strukturierten Vorläufern der Genossenschafts-Kreditinstitute, den (schon Anfang des 18. Jahrhunderts entstandenen) „Landschaftsbanken“, den Kreditinstituten der „Landstände“.
(Deren Nähe zum genossenschaftlichen Bankwesen manifestiert sich in der Solidarhaftung des Besitztums ihrer Nutzer für Schulden ihrer Bank,(vornehmlich verkörpert durch deren „Pfandbriefe“).
Die ersten deutschen Genossenschaftsbanken, vor allem die auf die Landwirtschaft ausgerichteten, waren solche mit unbeschränkter Haftpflicht, was der Solidarhaftung ähnelt.
Als Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht hätten sie in ihren Anfangsjahren keinen Zugang zum Geldmarkt gefunden, denn Bauern und damit auch ihre Einrichtungen galten als wenig oder überhaupt nicht kreditwürdig.
Die Genossenschaften konnten erst zur beschränkten Haftpflicht übergehen, als die die (die schon im Kapitel „Mein Weg zum Thema „Genossenschaften im Osten“ behandelte) „Verbandsprüfung“ etabliert war.
Die Entwicklung verlief, zumindest was die baltischen Länder und auch das vor-revolutionäre Russland angeht, dort übrigens genau so wie in Deutschland.)
Ich dehnte meine Recherchen später auf Lettland und Litauen aus, wo ich Ähnliches, wie schon zuvor in Estland, entdeckte.
Die Ergebnisse gingen in das Manuskript eines Buches unter dem Titel „Banken im Baltikum – Gestern. Heute. Morgen“ ein, für das ich, mangels Interesse am Baltikum, zunächst keinen Verleger fand.
Das änderte sich, als sich die deutsche Sparkassen-Gruppe für den Erwerb einer privatisierten Sowjetbank interessierte und für die Legitimation dieser Transaktion eine Darstellung des baltischen Finanzwesen suchten.
Mein bereits weit fortgeschrittenes Manuskript fand beim „Deutschen Sparkassen- und Giroverband e.V. – DSGV“ Anklang.
Die Schrift wurde von einem von dort beauftragten Lektor durchgesehen und um einige Sparkassen-typische Elemente ergänzt.
Das so entstandene Buch wurde schließlich von einem renommierten Fachverlag verlegt, weil der Verband eine ansehnliche Zahl von Druckexemplaren zu einem durchaus üppigen Kaufpreis abnahm.
(Das Buch erschien 1997 beim Fritz Knapp-Verlag, registriert ist es unter ISBN 3-7819-0590-X)
Der Verband hatte schon begonnen, das Buch unter Geschäftsfreunden zu verteilen, als sich das Baltikum-Engagement zerschlug.
Die historisch mit den deutschen Sparkassen verbundene „Swedbank“, die sich ebenfalls für die Übernahme einer estnischen Bank interessierte, hatte den Verband gebeten, ihr im Baltikum keine Konkurrenz zu machen; er entsprach diesem Wunsch.
Man übergab mir eine größere Zahl übrig gebliebener Exemplare zur beliebigen Verwendung.
Ich habe diese Partie dann (über deren diplomatischen Vertretungen) auf die drei baltischen Länder verteilt.
(Vor einigen Jahren erfuhr ich dann über eine Nachfrage eines mir bis dahin völlig unbekannten Letten zu einem Aspekt in dem Buch, dass es in der Nationalbibliothek dieses Landes – wo er es gefunden hatte – existiert.)
Eine wirklich nachhaltige Diskussion über Perspektiven und Voraussetzungen für eine Rückkehr zum ererbten Genossenschaftswesen kam – trotz aller meiner vielen Bemühungen – in keinem der baltischen Länder in Gang.
Ich vermute als Hauptgrund für diese distanzierte Haltung eine Nachwirkung der Sowjetzeit.
Da die Staats-Kollektive in Stadt und Land von den Sowjets als Genossenschaften bezeichnet wurden, liegt es nahe, dass, anders als im Westen, genossenschaftliche Gebilde als Überbleibsel aus einer düsteren Vergangenheit verstanden und deshalb abgelehnt werden.
Ein weiterer wichtiger Grund für die ausgebliebene Akzeptanz ist wohl die nach der Wende – auch von der EU und ihren Mitgliedern – massiv propagierte Präferenz für eine möglichst unbehinderte Marktwirtschaft in den „Reformländern“.
Ende 1999 wurde ich vom „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (meinem Dienstherrn) mit der Ausarbeitung einer „Analyse des Finanzsektors in Estland und Lettland hinsichtlich der Leistungen für das Klein- und Mittelunternehmertum und die Landwirtschaft“ beauftragt. (Sie wurde Anfang 2000 fertig.)
Die Arbeit hat allerdings wegen der damals bereits anlaufenden Aufnahme der baltischen Länder in die EU und dem damit verbundenen Ende nationalstaatlicher Förderprogramme für EU-Länder keine Bedeutung erlangt.
Ich nutze ich aber die Gelegenheit, um über eine – für sich sprechende, für die Thematik dieser Aufzeichnung durchaus relevante – Begebenheit in Litauen während meiner Recherchen zu berichten:
In Kaunas besuchte ich den dort ansässigen, nach der „Wende“ gegründeten Genossenschaftsverband, bei dem gerade ein neues Genossenschafts-Regelwerk konzipiert wurde.
Der Verband suchte nach geeignetem Referenzmaterial im Westen, vor allem in den Niederlanden.
Ich hatte bei der Vorbereitung dieses Auftrages herausgefunden, dass es in Litauen ein (bis zu dessen Auslöschung durch Sowjets und Deutsche) besonders vorbildliches Genossenschafts-Geflecht mit exzellenten Spezialeinrichtungen (Verbandskontrolle, Schulung etc.) gegeben hatte – getragen von der jüdischen Volksgemeinschaft des Landes.
Als ich meinen Gesprächspartner auf diese Quelle als die bestens geeignete Orientierungshilfe hinwies, wurde mir entgegnet, man sei froh, diese Leute und ihren Einfluss los zu sein; – was zum endgültigen Abbruch der Diskussion führte.
UKRAINE
Als einen handfesten Ertrag meines bisherigen Wirken im Osten betrachte ich das Wiederauffinden des vor-revolutionären „Russischen Genossenschaftsgesetzes“ (auf das ich bereits im Kapitel „Intentionen“ eingegangen bin).
Auch wenn die Verabschiedung des Gesetzes schon vor mehr als ein Jahrhundert zurückliegt, ist es immer noch aktuell.
Man kann mit Sicherheit unterstellen, dass es bereits nach dem Ersten Weltkrieg für die Ukraine Bedeutung erlangt hätte, wenn sich die politischen Verhältnisse damals anders entwickelt hätten.
Da es in der Zwischenkriegszeit in den baltischen Ländern für das dort fortlebende Genossenschaftswesen angewandt wurde, kann auf die (dort reichlich vorhandenen) Dokumente über seine Anwendung zurückgegriffen werden.
(Die baltischen Länder könnten den Zugang zu ihren Archiven eröffnen und auf diesem Wege von Beobachtern der Geschehnisse in der Ukraine zu Aufbauhelfern werden. Ein wünschenswerter Nebeneffekt wäre, dass so auch die Diskussion um das Kulturerbe Genossenschaftswesen auch im Baltikum in Schwung käme.)
Eine osteuropäische Vernetzung würde eine europaweite Akzeptanz des authentischen Genossenschaftswesens voranbringen.
Es ist angeraten, sich auf eine derartige Unternehmung bereits jetzt, im Vorgriff auf den allerseits erhofften Frieden im Osten, konkret vorzubereiten.
Überlässt man alles der Zeit nach dem Ende der Kämpfe, dürfte der Übergang in eine sichere Zukunft ins Hintertreffen gelangen, weil ein zivilgesellschaftliches Vakuum von gesellschaftsfeindlichen Kräfte wahrgenommen und ausgefüllt würde.
Ich hoffe, dass dieser Aufruf zur Mitwirkung beim Aufbau eines lebens- und liebenswerten Europa nicht verhallt, sondern Mitstreiter auf den Plan ruft, die ich gern mit der „Stiftung Livländische Gemeinnützige“ und persönlich unterstützen würde.