Good Practice-Leitfaden "Europäische Folklore zwischen digitaler Quellenforschung und interaktiver Anwendung"
Ein Vorreiter auf dem Feld der digitalen Erschließung von Text- und Ton-Quellen der Folklore ist das lettische Folklorearchiv in Riga, das an der Lettischen Nationalbibliothek in Riga angesiedelt und der Universität Lettlands zugeordnet ist, als Teil des dortigen Forschungsinstituts für Folklore, Literatur und Geschichte jedoch eine gewisse Autonomie genießt (http://lulfmi.lv/en/departments/archives-of-latvian-folkore). Schon im Rahmen des Vorgängerprojekts zu den "Medienpraktiken der Aufklärung" hatte sich eine Kooperation mit dem lettische Folklorearchiv ergeben, die im Rahmen des neuen Projekts nun intensiviert werden und auf die Produktion eines neuartigen Intellectual Outputs hinführen soll.
Den Ausgangspunkt bildet dabei die Beobachtung, dass am lettischen Folklore-Archiv hochgradig innovative digitale Verfahren der Erschließung von Quellen der Folklore entwickelt und über viele Jahre praktiziert wurden, die von anderen projektbeteiligten Standorten adaptiert und auf die Erschließung ihrer jeweils national gebundenen Quellenkorpora übertragen werden können, insbesondere in Deutschland, in Dänemark und in Frankreich, um schließlich in einen gesamteuropäischen Kontext gerückt zu werden. So hat sich am Lettischen Folklorearchiv, ausgehend vom handgeschriebenen Zettelkasten und -schrank, den der Begründer der lettischen Folkloristik Krisjanis Barons Ende des 19. Jahrhunderts anfertigte, und der zum Unesco-Kulturerbe erklärt wurde, ein ganzes Set von digitalen Techniken der Erschließung von folkloristischen Quellen wie Volksliedern, -sagen und -märchen entwickelt. Hervorzuheben ist hier eine digitale Version des genannten handschriftlichen Zettelkastens, der laufend um neue Quellen erweitert wird, insbesondere Volkslieder, die dann in kollektiven Verfahren des "crowd-sourcing" transkribiert, kommentiert sowie mit zugehörigen Bild- und Klang-Dokumenten verknüpft werden (http://garamantas.lv/?lang=en). Zu den Forscherinnen und Forschern sowie Technikerinnen und Technikern, die dieses digitale Folklore-Archiv verwalten, laufend aktualisieren und redaktionell bearbeiten, ergab sich bereits im Rahmen des Projekts zu den "Medienpraktiken der Aufklärung", insbesondere zu Dr. Rita Treija, Dr. Guntis Pakalns und M.A. Elina Gailite.
Für das Projekt zum "Europäischen Kulturerbe" wird das lettische Folklorearchiv nun mit einem neuartigen Intellectual Output beauftragt. So sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Folklorearchivs einen "Good Practice"-Leitfaden entwickeln, in dem zentrale Verfahren und Techniken der digitalen Erschließung von Text- und Ton-Quellen der Folklore dargestellt und kodifiziert werden, die dazu beitragen, diese Quellen als Teil des europäischen Kulturerbes angemessen konservieren und interpretieren zu können. Federführend werden diese Arbeiten von Dr. Sanita Reinsone, Dr. Rita Treija und M.A. Elīna Gailīte realisiert. Das beinhaltet wissenschaftliche ebenso wie technische Aspekte der Quellenerschließung, von der Identifikation bestimmter Quellen als Folklore über deren digitale Reproduktion bis hin zur Programmierung entsprechender Datenbanken, in denen die Quellen im "crowd-sourcing" bearbeitet werden können. Der geplante "Good Practice"-Leitfaden soll also gleichsam die wissenschaftliche und technische DNA des lettischen Folklore-Archivs repräsentieren, einen Umfang von etwa 80 Seiten umfassen, im Jahr 2021 digital publiziert und darüber hinaus auf einem Multiplier Event mit internationalen Folklore-Experten aus den am Projekt beteiligten Programmländern vorgestellt werden (siehe E7). In daran anschließenden Studien wird die Übertragbarkeit der dargestellten Verfahren geprüft.
Neben den digitalen Techniken der Archivierung soll ein zweiter Schwerpunkt des "Good Practice"-Leitfades auf Strategien der live-Performance von Folklore liegen. Insbesondere Dr. Guntis Pakalns vom Lettischen Folklorearchiv hat auf diesem Feld einschlägige Erfahrungen gesammelt, in der Arbeit mit Gruppen von Kindern und Jugendlichen, die sich Elemente der folkloristischen Überlieferung, insbesondere Lieder, Märchen und Sagen aneignen, um diese lebendig wiederzugeben. Erste Erfahrungswerte dazu wurden im Rahmen des Unesco-Projekts "Story Telling Libraries" gesammelt, an dem verschiedene lettische Bibliotheken, Schulen und Universitäten beteiligt sind (https://www.stastubibliotekas.com/storytelling-libraries/). Für den geplanten "Good Practice"-Leitfaden sollen diese Verfahren der mündlichen Aktualisierung von Folklore im Medium von Vortrag, Gesang und Tanz dokumentiert werden. Den Fluchtpunkt des Leitfadens bildet dabei die Frage, inwiefern diese in Lettland kultivierten Formen der produktiven Aneignung und performativen Verlebendigung von Folklore auf andere Kontexte übertragbar sind, etwa in Deutschland, Frankreich oder Dänemark.