Da die Grabsteine nach 1945 abgeräumt wurden und die Fläche für den Sandabbau freigegeben wurde, erinnert heute nichts mehr an die einstige Begräbnisstätte. Um ein würdiges Gedenken an diesen Ort zu ermöglichen, soll er nun zerstörungsfrei erkundet werden – das heißt, ohne den Untergrund zu schädigen. Dazu führt Jens Tronicke, Professor für Angewandte Geophysik an der Universität Potsdam, mit seinem Team eine Woche lang Messungen auf dem Gelände durch. „Möglich wäre, dass man die Begrenzungen von Gräbern sieht, aufgrund der unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften der Materialien“, sagt er. „Es besteht auch eine Chance, Hinweise auf die äußere Umrandung des Friedhofs oder ehemalige Wege zu finden.“
Aus dem Hörsaal in die Praxis
An diesem Vormittag bauen die drei Studierenden Paulina Nitschke, Mercy Ekua Grimmon-Thompson und Diyorbek Toshniyozov die Elektroden für die Gleichstromgeoelektrik auf: Im Abstand von jeweils 50 Zentimetern werden die 100 Metallstäbe entlang einer Linie in den Boden gesteckt und anschließend mit einem Kabel verbunden. Bei dieser Methode wird über zwei Elektroden ein elektrischer Strom in den Erdboden eingespeist und über zwei weitere Elektroden die erzeugte Spannung gemessen. Aus beiden Werten bestimmt sich der sogenannte scheinbare elektrische Widerstand im Boden, abhängig vom jeweiligen Elektrodenabstand. „Es kommen unterschiedliche Anordnungen der Einspeise- und Messelektroden zum Einsatz, die verschieden empfindlich sind“, sagt Jens Tronicke. „Zunächst nutzen wir eine Anordnung, bei der alle Elektroden den gleichen Abstand haben.“ Der Vorteil bei diesem Verfahren ist ein gutes Signal-zu-Rausch-Verhältnis. Beim Ankopplungstest zeigt sich, dass einige Elektroden keinen guten Bodenkontakt haben und keine Messwerte liefern. Also müssen die Studierenden noch einmal nachbessern. Dann wird die Messung gestartet. Nach und nach baut sich auf dem Feld-Laptop ein zweidimensionales Bild der Messwerte auf, woraus sich später ein Modell des Untergrundes rekonstruieren lässt. Das funktioniert, weil die unterirdischen Schichten und Materialien verschiedene Widerstände haben. Der Widerstand ist geringer, wenn leitfähige Stoffe wie Wasser, Ton oder Metalle im Boden vorkommen und höher, wenn es beispielsweise Hohlräume im Untergrund gibt.
„Jeden Morgen diskutieren wir, was wir am Vortag gesehen haben, und überlegen dann gemeinsam, wo wir als nächstes messen werden“, sagt Mercy Ekua Grimmon-Thompson. Die Studierenden belegen an der Universität Potsdam den englischsprachigen Master-Studiengang Geosciences mit der Vertiefungsrichtung Geophysics. „In unseren Lehrveranstaltungen haben wir die geophysikalischen Methoden bereits kennengelernt“, so die Studentin aus Ghana. „Das theoretische Wissen wurde mehrmals wiederholt und auch im Labor gezeigt – wir sind sehr gut vorbereitet, um die Methoden nun praktisch einsetzen zu können.“ Philipp Koyan, der als Postdoc das Feldpraktikum unterstützt, ergänzt: „Die Geländeübung zur Angewandten Geophysik wird jährlich an wechselnden Orten, häufig im Land Brandenburg, durchgeführt und ist fester Bestandteil des Studiums, damit die Studierenden den fachgerechten Einsatz der unterschiedlichen Methoden im Gelände erlernen.“
Mit dem Georadar den Untergrund durchleuchten
Unter Angewandter Geophysik versteht man diverse Explorationstechniken, mit denen sich der oberflächennahe Untergrund erkunden und charakterisieren lässt. Damit können Fragestellungen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen wie Archäologie, Agrarwirtschaft, Bauingenieurwesen oder Hydrologie beantwortet werden. Auch in der Geologie und Rohstoffexploration sind angewandte geophysikalische Methoden wichtige Werkzeuge, um den verborgenen Untergrund effizient zu erforschen. Die meisten gängigen Techniken werden in dieser Woche praktisch vermittelt. Das Team startete am Montag mit magnetischen Messungen, am Dienstag wurde eine elektromagnetische Kartierung durchgeführt und am Mittwoch kam das Georadar zum Einsatz. Am heutigen Donnerstag sind die Geoelektrik und noch einmal das Georadar an der Reihe.
Das hochauflösende Verfahren, auf Englisch „Ground Penetrating Radar“ (GPR), mit dem Strukturen oder Objekte im Untergrund geortet und dreidimensional abgebildet werden können, nutzt hochfrequente elektromagnetische Wellen. Paulina Nitschke schnallt sich die Steuereinheit um, die mit einer Sende- und Empfangsantenne auf einem Schlitten verbunden ist, der entlang von Profilen über das Untersuchungsgebiet bewegt wird. Die ausgesendeten elektromagnetischen Wellen werden an Schichtgrenzen unterschiedlicher Materialien reflektiert und gebrochen, sodass sie damit den Untergrund großflächig bis in eine Tiefe von einigen Metern durchleuchten kann. Auf den ausgelegten Maßbändern kennzeichnen die Kommilitonen die Endpunkte der Profile mit Leitkegeln, die nach jedem Durchgang um einige Zentimeter versetzt werden. Auf dem Display kann Paulina Nitschke die Messungen direkt sichten und kontrollieren. „Man muss schauen, dass man nicht zu schnell läuft“, sagt sie. Grund dafür ist ein kleines farbiges Prisma, das auf dem GPR-Schlitten montiert ist. „Das 360-Grad-Prisma dient der zentimetergenauen Erfassung jedes Messpunktes in einem Koordinatensystem“, erklärt Diyorbek Toshniyozov. Es reflektiert die von einem Vermessungsinstrument ausgesendeten Laserimpulse, damit werden dreidimensionale lokale Koordinaten aufgezeichnet.
Klare Hinweise auf menschliche Aktivitäten
Parallel zu den geophysikalischen Messungen macht Dr. Philipp Koyan Aufnahmen mit einer Drohne für ein hochauflösendes Geländebild des 70 mal 70 Meter großen Areals. „Unter Verwendung sogenannter Passpunkte, welche die Studierenden mittels differentiellem GPS erfassen, kann man sowohl das Geländebild als auch die lokalen geophysikalischen Daten in ein globales GeoInformationsSystem übernehmen“, sagt er. Ein rechnergestütztes geografisches Informationssystem (GIS) besteht aus Hardware, Software und Anwendungen, womit das Team raumbezogene Daten erfassen, verwalten, modellieren und analysieren kann.
Ein Archäologe der Unteren Denkmalschutzbehörde im Land Brandenburg, der dem Team Anfang der Woche einen Besuch abstattete, sprach von einer abgetragenen Hügelstruktur und brachte historische Karten mit, auf denen das Areal des ehemaligen Friedhofs eingezeichnet ist. Die letzte Beisetzung fand hier 1938 statt, bevor das Grundstück 1944 an die Stadtgemeinde verkauft wurde. Inzwischen ist es wieder Eigentum der Jüdischen Gemeinde Land Brandenburg, die gemeinsam mit der Stadt Lenzen, dem Förderverein Jüdische Geschichte Potsdam e.V. und der Stiftung für Toleranz und Völkerverständigung eine Sichtbarmachung und würdige Erinnerung an den Friedhof anstreben.
Inzwischen hat das Potsdamer Team die gewonnenen Datensätze bearbeitet und ausgewertet. Alle eingesetzten geophysikalischen Verfahren bilden auffällige Muster ab, die auf eine gezielte menschliche Nutzung hinweisen. Insbesondere die Ergebnisse der Georadarmessungen zeigen lineare und rechtwinklige Strukturen, die als klare Hinweise auf menschliche Aktivitäten gesehen werden. „Um was es sich hierbei genau handelt, lässt sich anhand der Ergebnisse jedoch nicht klären und wäre ohne weitere Hintergrundinformationen zum Aufbau des ehemaligen Friedhofs rein spekulativ“, so Jens Tronicke. „Unseren Bericht haben wir im Dezember 2024 der jüdischen Gemeinde und den Denkmalbehörden übergeben. Nun werden wir sehen, wie es weitergeht.“
Jens Tronicke ist seit 2005 Professor für Angewandte Geophysik an der Universität Potsdam.
E-Mail: jens.tronickeugeo.uni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2025 „Kinder“.