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Kulturelles Kapital

Der Kapital-Begriff wird vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu nicht in einem marxistischen Sinne verwendet, weil er ihn nicht nur ökonomisch definiert. Das ökonomische Kapital ist für ihn nur eine der möglichen Kapitalarten. Neben dieser Kapitalsorte unterscheidet er überdies das kulturelle Kapital, das soziale Kapital (‚Beziehungen’) und schließlich das symbolische Kapital (das Ansehen, das der Besitz dieser oder jener Kapitalsorte einbringt).

In seinen zahlreichen Untersuchungen widmete sich Bourdieu der immensen Bedeutung des kulturellen Kapitals. Nicht so sehr oder nicht allein der Besitz ökonomischen Kapitals, sondern der des kulturellen Kapitals macht den entscheidenden Unterschied in der Ansehens-Hierarchie aus. Bourdieu unterscheidet dabei zwischen drei Formen des kulturellen Kapitals; es kann existieren:  in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand, dann in objektiviertem Zustand, und schließlich, in institutionalisiertem Zustand.

Die in der familiären Primärerziehung und der anschließenden schulischen Sekundärerziehung erworbene Bildung wird inkorporiert, wird zu einem Bestandteil der Person („den man ihr nicht wegnehmen kann“). Entscheidend ist der Seltenheitswert des jeweiligen kulturellen Kapitals (Hochschulabschluss in einem Land mit niedriger Abiturientenquote, Lesekompetenz in einer Welt von Analphabeten). Dieser Seltenheitswert wird erhalten, weil nicht alle Familien über die Mittel verfügen, um eine anspruchsvolle Ausbildung zu finanzieren. So wird auch durch diese Kapitalform Ungleichheit geschaffen, bzw. verstärkt.

Objektiviertes kulturelles Kapital – Bücher, Bilder, Filme, elektronische Aufnahmen von Musikstücken, Opern und Theateraufführungen, Instrumente etc. –  ist materiell übertragbar wie ökonomisches Kapital. Es handelt sich aber über sog. ‚symbolische’ Güter, deren ‚Wert’ sich nicht auf den materiellen Wert reduzieren lässt. Um die Bedeutung dieser Güter erfassen oder entziffern zu können, muss man über Bildungskapital, d.h. inkorporiertes kulturelles Kapital verfügen. Nach Bourdieu darf man aber nicht vergessen, dass das objektivierte Kulturkapital nur dann symbolisch aktiv ist, wenn es von Handelnden angeeignet und ‚genutzt’ wird. Die Partitur wird erst dann zu einem ‚Wert’, wenn sie vom Orchester aufgeführt, die Skulptur dann, wenn sie ausgestellt, das Buch dann, wenn es gelesen wird. Die Gewinne richten sich dabei nach der Beherrschung dieses objektivierten Kapitals, folglich nach dem Grad des inkorporierten Kapitals. Die anerkannte ‚legitime’ Kultur wirkt so aufgrund ihrer Distinktionsqualität in Klassengesellschaften als Herrschaftsinstrument, während in klassenindifferenten Gesellschaften Kultur allen zugänglich ist und deshalb nicht diese Funktion ausübt.

Das institutionalisierte kulturelle Kapital existiert in Form von Titeln, Schul- oder Universitätsabschlüssen und Stellen. Diese von offiziellen Institutionen verliehenen Ausweise erworbener Bildung verleihen dieser einen juristisch garantierten Wert. Der Titel oder das Examen schafft eine scharfe Grenze zwischen dem, der ‚bestanden’ hat und dem, der nicht ausgezeichnet wurde bzw. dem Autodidakten.  Ist die kulturelle Kompetenz des ersteren ein für alle Mal erwiesen und abgesichert, so müssen letztere sie immer wieder erneut unter Beweis stellen. Der Erwerb von Titeln setzt die Investition von Zeit voraus und damit auch von ökonomischem Kapital. Seine Umwandlung in kulturelles Kapital ist an die Hoffnung gebunden, dass sich dieser Prozess mit Erhalt des Titels wieder umkehrt und auf dem Arbeitsmarkt materielle und symbolische Gewinne abwirft.

Bourdieu hat das Konzept des „kulturellen Kapitals“ entwickelt, um die Ungleichheit der schulischen Leistungen von Kindern aus unterschiedlichen sozialen Klassen aus einem sozialen Kontext zu erklären. Indem er auf die unterschiedliche Ausstattung mit kulturellem Kapital hinwies, entkräftete er die  individualistische und naturalistische These der „Begabung“.

Quellen:

  • Bourdieu, Pierre (2007): Die drei Formen des kulturellen Kapitals. In: absolute Pierre Bourdieu. Freiburg: orange press, S. 95-102.
  • Jurt, Joseph (2012): Bourdieus Kapital-Theorie.  In: M. M. Bergmann, S. Hupka-Brunner, T. Meyer, R. Samuel (Hrsg.), Bildung – Arbeit- Erwachsenwerden. Ein interdisziplinärer Blick auf die Transition im Jugend- und jungenErwachsenenalter. Wiesbaden: Springer VS, S. 21-41.
  • Rössel, Jörg und Beckert-Zieglschmid, Claudia (2002): Die Reproduktion kulturellen Kapitals. in: Zeitschrift für Soziologie 31, S. 497 - 513.
Autor Joseph Jurt
Zeitraum August 2013