Eine neue Heimat finden
Das Schlafmützchen
Mit neun Jahren verließ Louis Charles Adélaïde de Chamissot die Champagne, nachdem der dortige Familienbesitz infolge der französischen Revolution verloren war. Einige Jahre später kam die Familie nach Berlin. Hier wurde Louis als „Ludwig“ Nachwuchsoffizier in der preußischen Armee. Nach der Niederlage gegen Napoleon lebte er mehrere Jahre unstet in Frankreich, der Schweiz und Berlin, bis er hier mit 31 Jahren das Studium der Botanik begann. Bereits seit längerem als Dichter und Herausgeber tätig, veröffentlichte er 1814 unter dem Namen Adelbert von Chamisso „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. In dem Kunstmärchen verkauft der Ich-Erzähler seinen Schatten dem Teufel, aber ohne Schatten ist er aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Mit Glück erwirbt er Siebenmeilenstiefel und kann so als Naturforscher die ganze Welt bereisen. Die Geschichte spiegelt Chamissos Gefühl der sozialen Unzugehörigkeit wie auch sein Fernweh und den Wunsch, Naturforscher zu werden. Das Buch hatte großen Erfolg.
Im folgenden Jahr erhielt er einen Platz als Wissenschaftler auf der Rurik. Das russische Schiff sollte von Alaska aus nach der Nordwest-Passage suchen, der Durchfahrt nördlich des amerikanischen Kontinents. Die Passage wurde nicht gefunden, aber die Expedition machte bedeutende Entdeckungen im pazifischen Raum; Chamisso und der Bordarzt Eschscholz entdeckten gemeinsam den Generationswechsel der Salpen, das erste Mal bei einem Meerestier überhaupt. Nach seiner Rückkehr erhielt Chamisso dafür in Berlin den Doktortitel.
Bei San Francisco, damals ein winziger spanischer Kolonialvorposten, sammelte Chamisso im Herbst 1816 Samen, die schließlich im Botanischen Garten zu Berlin keimten. Kurz nach seiner Rückkehr war hier das spätere Botanische Museum gegründet worden, dessen zweiter Wissenschaftler er wurde. 1820 konnte er so die neue Art Eschscholzia californica nach seinem Mitreisenden benennen. Als „Schlafmützchen“ ist sie heute eine beliebte einjährige Gartenpflanze. Der deutsche Name bezieht sich auf den grünen Kelch, der sich von der aufgehenden Blütenknospe als Ganzes abtrennt. Mit seiner schmalen, spitzen Form erinnert er an die Mützen, die nachts getragen wurden, als Schlafzimmer auch im Winter noch ungeheizt waren. Aus Verwilderungen ist die Pflanze inzwischen in etlichen Teilen der Welt eingebürgert, so in Chile, Zypern und Australien, wo sie zum Teil sehr lästig wird. Mit ihren leuchtend orangegelben Blüten ist sie die Nationalblume Kaliforniens, welches sich in weniger als 200 Jahren von einer sehr abgelegenen Weltgegend zum bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat und Weltzentrum der Film- und Computerindustrie entwickelte.
Chamisso heiratete die Ziehtochter eines Freundes, mit der er sieben Kinder zeugte. Mit 57 Jahren starb er in Berlin, wo er auch bestattet liegt. Das Buch „Reise um die Welt“, worin er seine reale Reise schildert, ist bis heute ein lesenswerter Klassiker.