Queensland-Orchidee - Dendrobium bigibbum
Pflanze des Monats Oktober 2009
Überleben in der Nische
In seinem Buch „Die Entstehung der Arten“ erörtert Charles Darwin die große Komplexität und Vielfalt der Wechselbeziehungen, in welchen ein Organismus mit seiner Umwelt steht. Direkte Faktoren wie Temperatur, besonders Kälteperioden, und Feuchtigkeit, besonders Trockenzeiten, sowie Nahrung sind wichtig, aber auch andere Lebewesen, die etwa als Konkurrenten oder Parasiten, Fraßfeinde oder Blütenbestäuber agieren können. Besonderes Gewicht legt Darwin auf die Darstellung indirekter Wechselwirkungen. Eine Pflanze kann indirekt von der Tätigkeit eines Fraßfeindes profitieren, wenn dieser ihre Konkurrenten noch stärker dezimiert als sie selbst. Ernst Haeckel, der wichtigste deutsche Darwinist des 19. Jahrhunderts, prägte für die Wissenschaft aller dieser Wechselwirkungen den Begriff Ökologie. Die Gesamtheit der Wechselwirkungen einer bestimmten Art wird als ihre ökologische Nische bezeichnet. Der Nischenbegriff entstand aber erst in der amerikanischen Ökologie des 20. Jahrhunderts, also nach Darwin und Haeckel.
Die Queensland-Orchidee (Dendrobium bigibbum, „Zweihöckriges Baumwesen“ wegen zwei Höckern an der Rückseite der Blüte) wächst auf Ästen und Felsen in Nordostaustralien, auf den Inseln der Torres-Meerenge und an der Südflanke Neuguineas. Im Herbst erscheinen elegant gebogene Stängel mit manchmal über 10 lilarosa gefärbten Blüten. Die Pflanzen leben unter ganzjährig tropischen Temperaturen mit einer Trockenperiode im Winter und Frühjahr, wofür sie in ihren verdickten Stängeln Wasser speichern. Die Versorgung mit mineralischen Nährstoffen kommt ausschließlich aus dem Regen- und Spritzwasser bei Niederschlägen, ist also sehr knapp. Für eine vollständige Beschreibung der Nische dieser Orchidee müssten noch die Pilze, mit denen ihre Wurzeln zusammenleben, die regelmäßig auftretenden Buschbrände, die Blütenbesucher, die Krankheiten und Parasiten und vieles mehr berücksichtigt werden, wofür hier der Platz nicht reicht und was zum Teil noch kaum erforscht ist.
Bereits im 19. Jahrhundert war die Queensland-Orchidee bei Liebhabern begehrt, und enorme Stückzahlen wurden der Natur entnommen, so dass sie in Australien später unter Schutz gestellt wurde. Nach anfänglichen Misserfolgen gelang die Kultur immer besser, je besser man die Lebensbedingungen in der Natur, also die ökologische Nische, verstand und im Gewächshaus nachbildete. Ganzjährig warme Temperaturen und gute Wasserversorgung, vor allem aber hervorragender Wasserabzug und eine Trockenzeit im Winter sowie ein heller und luftiger Platz sind dabei wesentlich. Die Nährstoffversorgung darf dann durchaus üppiger ausfallen als in der Natur, die Pflanzen profitieren deutlich von Düngung.
Warum findet man sie dann nicht auch an besser nährstoffversorgten Wildstandorten? An solchen Plätzen wachsen immer die stärksten Konkurrenten, die die übrigen Arten in weniger günstige Bereiche abdrängen. Außerdem ist das Nährstoffangebot auf Ästen und Felsen generell knapp. In Kultur fehlt die Konkurrenz, jede Pflanze hat ihren eigenen Topf, und der Gärtner kann allen ihr Optimum bieten.