Der seltenste Nadelbaum Europas
Pflanze des Monats Dezember 2016
Die Sizilien-Tanne
Recht spät erkannten Botaniker auf Sizilien, dass sie es mit einem ganz besonderen Baum zu tun hatten.
Erst 1908 wurde die Sizilien- oder Nebrodi-Tanne (Abies nebrodensis) in der wissenschaftlichen Zeitschrift des Botanischen Gartens Palermo als neue Art beschrieben, mit sehr kurzer, rechtwinklig vom Zweig abstehender, dichter Benadelung.
Damit ist sie auch eine Art Gegenentwurf zur derzeit als Weihnachtsbaum so populären Nordmann-Tanne, die besonders lange, vorwärts gerichtete Nadeln trägt.
Bereits damals war nicht mehr viel übrig von den vermutlich einst üppigen Rotbuchen-Tannen-Mischwäldern, die in Höhenlagen um 1.500 m früher im nördlichen Sizilien verbreitet gewesen sein müssen.
Heute ist dieser Baum, den es nur dort gibt, die in der Natur seltenste Tanne der Welt.
Eine Zählung vor zehn Jahren ergab gerade noch 30 Exemplare nördlich der Gemeinde Polizzi Generosa in den Madonie-Bergen, westlich der namengebenden Monti Nebrodi, wo die Tanne längst verschwunden ist.
Ursache für die Seltenheit ist die Holznutzung zusammen mit der Überweidung der Berghänge,
wodurch über viele Jahrhunderte die Wiederbewaldung einmal gerodeter Flächen behindert, die Erosion des Bodens jedoch stark gefördert wurde.
Schließlich wurde 2001 mit EU-Mitteln ein Erhaltungsprojekt aufgelegt. Flächen wurden zum Schutz gegen gefräßige Weidetiere eingezäunt, große Mengen an Jungtannen herangezogen und zurück in die Natur gepflanzt; allerdings mit bisher offenbar nur geringem Erfolg. Man hat wohl nicht ausreichend die starke Degradierung des Bodens bedacht, wodurch sich die Wirkung sommerlicher Dürre, wie sie für das sizilianische Klima typisch ist, fatal verstärkt. Offenbar muss für ein nachhaltiges Wiederbelebungsprogramm im Grunde das gesamte Wald-Ökosystem in ausreichender Flächengröße wiederhergestellt werden.
Wenigstens erwies sich, dass die verbliebene Wildpopulation genetisch überraschend vielfältig ist - erstaunlich, denn 30 Exemplare sind dafür eigentlich schon sehr knapp. Es wird daher wohl nicht nötig sein, die vier Bäume in die Züchtung einzubeziehen, die der Potsdamer Botanische Garten besitzt. Unter ihnen befindet sich der zugleich höchste und zweitdickste dieser Art in Deutschland, jedenfalls ausweislich der Liste auf dem Webportal "Rekordbäume" der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft (ein etwas dickerer und kleinerer steht im Botanischen Garten Mainz; beide sind größer als das größte lebende Exemplar auf Sizilien).
Eine Züchtung ohne die Bäume in Potsdam ist ohnehin besser, denn ganz abgesehen von logistischen Fragen ist deren Herkunft nicht bekannt. Sie wurden vermutlich in der Gründungsphase des Botanischen Gartens anfangs der 1950er Jahre gepflanzt, als Material aus allen möglichen Quellen verwendet wurde - leider meist, wie auch in diesem Fall, ohne zugehörige Dokumentation. Immerhin ist die Benadelung der Potsdamer Exemplare arttypisch kurz und dicht, was gegen die denkbare Einkreuzung einer anderen Tannenart in dem unbekannten Herkunftsgarten spricht.