Migration als ein kontrovers diskutiertes Thema oszilliert in politischer Debatte zwischen Willkommenskultur und einer radikalen Ablehnung. Während seit dem Migrationssommer 2015 die Einwanderung nach Deutschland aus der rechtspopulistischen Perspektive als eine Bedrohung dargestellt wird, genießt die deutsche Minderheit in Brasilien in der Regel weitgehend Anerkennung und Respekt. Das 200-jährige Jubiläum der deutschen Einwanderung nach Brasilien, das 2024 auch in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit feierlich begangen wird, bietet einen Anlass, sich mit dem Thema der Migration durch Einbeziehung von historischen Erfahrungen auseinanderzusetzen. Am Beispiel der Geschichte und Gegenwart der Deutschen in Brasilien werden im Online-Seminar Hürden und Chancen der Ein- und Auswanderung, aber auch der Integration in die Aufnahmegesellschaft und der Wahrung von Kultur und Sprache des Herkunftslandes untersucht und mit Erfahrungen der Migration nach Deutschland verglichen.
Um zu verstehen, wie die Ein- und Auswanderungsprozesse zwischenmenschliche Beziehungen, ökonomische Strukturen und politische Entscheidungen beeinflussen und sich darauf auswirken, wie wir leben und denken, wird im Seminar das Thema der Migration um eine zeitliche Dimension erweitert. Dabei werden die neokolonialen Macht- und Herrschaftsverhältnissen in der Gegenwart, die Rassismus, Ausbeutung und Unterdrückung reproduzieren, im Kausalzusammenhang mit der Geschichte der Kolonialisierung und Dekolonialisierung untersucht, denn die aktuellen Migrationstendenzen ohne Kolonialgeschichten nicht gedacht und verstanden werden können
Der Kurs richtet sich an Studierende der Universidade Federal de Santa Catarina (Brasilien) und der Universität Potsdam (BRD), die sich für Fragen des Kultur-Transfers und der kulturellen Dominanz interessieren. Der intensive Austausch im COIL-Seminar (Collaborative Online International Learning) ermöglicht den Studierenden von beiden Universitäten, sich anhand des kontra-kolonialen und transkulturellen Forschungsansatzes mit historischen Fakten und aktuellen Kontexten der Migration kritisch auseinanderzusetzen. Am Beispiel von historischen Texten, zeitgenössischen Berichten, kulturphilosophischen Publikationen und literarischen Beiträgen werden Ursache und Folgen der Migrationsprozesse im individuellen Leben und in politischen Systemen analysiert.
Unter der Anleitung der Lehrenden – Dra. Elaine Cristina Roschel Nunes und PD Dr. Ljuba Kirjuchina – begeben sich die am Kurs teilnehmenden Studierenden auf eine Zeitreise, die zwei Jahrhunderte von Tiefen und Höhen kritisch reflektiert, um sich selbst als Akteur:innen in der Geschichte zu erfahren und eigene Verantwortung für aktuelle gesellschaftliche Prozesse zu erkennen. Im Kurs werden Diskussionsrunden abgehalten und selbständig entwickelte, kreative Projektergebnisse präsentiert.