Delle in der grünen Welle
Wie sich die Weltwirtschaftskrise auf die EU-Klimapolitik auswirkt
VonMatthias Zimmermann
Nachhaltiger Ökostrom, grüne Städte, CO2-neutrale Recyclingkreisläufe – Europa ist vorn dabei, wenn es um Klimapolitik geht. Oder wäre es zumindest gern. Doch der Weg von der mutigen Idee zur EU-Richtlinie ist lang. Klimapolitische Initiativen haben es im Brüsseler Lobbydschungel schwer – während einige im Laufe von jahrelangen Verhandlungen zu handzahmen Empfehlungen zurechtgestutzt werden, fallen andere unvorhersehbaren Ereignissen gar ganz zum Opfer. Wie etwa der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise, deren Folgen die EU-Klimapolitik deutlich verändert haben. Raffael Hanschmann untersucht wie.
„Ich will herausfinden, wie Umweltregulierungen im Spannungsfeld zwischen kurzfristigen wirtschaftlichen Zwängen und dem langfristigen Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft gemacht werden“, so Hanschmann. Besonders deutlich wird das Problem im Kontext der Weltwirtschaftskrise. „Die These ist, dass durch eine solche Krise insbesondere für wirtschaftliche Akteure und nationale Regierungen mehr auf dem Spiel steht. Jene, die unter den Kosten der Regulierung leiden, werden vehementer dagegen agitieren, und Profiteure der Regulierung werden vehementer für sie eintreten. Die Folge ist eine Polarisierung des politischen Prozesses, der nur noch zu Minimalkompromissen führt.“
Den komplexen Prozess des sogenannten „Policy making“ untersucht Hanschmann anhand von drei Fallbeispielen: dem Ringen um CO2-Emissionslimits für Pkws, dem Emissionshandel im Flugverkehr und den Regularien zu Biokraftstoffen. Dabei hat er sich bewusst dafür entschieden, den politischen Alltag in den Blick zu nehmen. „Auf dieser Ebene lässt sich meines Erachtens das Netzwerk der EU-Politik viel besser rekonstruieren und analysieren“, erklärt der Forscher.
Für sein Dissertationsprojekt im Graduiertenkolleg „Wicked Problems, Contested Administrations“ betrachtet Hanschmann zwei politische Entscheidungen pro Fallbeispiel: eine vor und eine während der Krise. So bemühte sich die Europäische Kommission schon 2004/05 darum, Grenzen für den CO2-Ausstoß von Pkws einzuführen. Anfangs in Form einer freiwilligen Selbstverpflichtung, doch bald wurden auch verpflichtende Grenzwerte ins Gespräch gebracht. Schon hier zeigte sich, dass es – je nach dem Profil der nationalen Autoindustrie – zwei Lager gab. Während etwa Frankreich strengere Richtwerte forderte, setzte sich Deutschland für lockerere Regelungen ein. 2009 einigte man sich dann auf ein erstes Limit von 130 Gramm CO2 je Kilometer. Zugleich wurde festgelegt, die Regelungen in absehbarer Zeit zu verschärfen. „Doch nach Ausbruch der Wirtschaftskrise waren die Fronten spürbar verhärtet“, erklärt Hanschmann. „Deutschland hat die Verhandlungen regelrecht blockiert, während andere Länder, in denen mehr kleine und leichte Autos gebaut werden, eine Verschärfung begrüßten.“ Ende 2013 wurde das neue Limit von 95 Gramm CO2 je Kilometer beschlossen – ergänzt um zahlreiche Zusatzregelungen, die es im Interesse deutscher Autohersteller aufweichten.
Um das komplexe Zusammenspiel der zahlreichen Akteure abbilden und bewerten zu können, bedient sich Raffael Hanschmann zweier unterschiedlicher Methoden. Zum einen erfasst er mithilfe der sogenannten Netzwerkanalyse die Positionen der Beteiligten – und zwar über den Prozess der Entscheidungsfindung hinweg. Dafür wertet er die entsprechenden Aussagen in der englischsprachigen Wochenzeitung „European Voice“ (inzwischen „Politico Europe“) aus, die auf EU-Politik spezialisiert ist. Daraus ergibt sich ein Netzwerkgraph, an dem sich ablesen lässt, wer welche Präferenzen hat und wie sich diese ändern. „Da die Aussagen zeitlich bestimmbar sind, ist der Graph wie ein Film abspielbar“, erklärt Hanschmann, „und man sieht, wie die Akteure nach der Krise auseinanderrücken.“ Daneben wertet er in einer vertiefenden Präferenzanalyse Positionspapiere und Programme etwa von Parteien und Verbänden aus. Erste Ergebnisse bestätigen: Die Krise hat es schwieriger gemacht, die Kluft zwischen einer ambitionierten Klimapolitik und wirtschaftlichen Interessen zu überbrücken. „Die EU steht seit ihrer Gründung vor der Grundsatzfrage: Sind wir nur ein Wirtschaftsbündnis – oder mehr?“, so Hanschmann. „Ich denke, die bisherigen Erfolge zeigen, dass man tatsächlich ‚grün‘ wirtschaften kann.“
aus Portal Wissen 1/2016