Dr. Marion Kiffe
Was haben Sie studiert?
Lehramt für die Fächer Deutsch und Englisch (Sekundarstufe I und II), danach Dissertation über die Förderung interkulturellen Lernens in Englischlehrwerken und Referendariat an Haupt- und Gesamtschule sowie Gymnasium
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Während meines Studiums war ich bei einer Informationsveranstaltung, in der eine Schulbuchredakteurin ihr Arbeitsfeld vorstellte. Das fand ich damals schon interessant, habe es aber erst einmal vergessen; mein Berufsziel war ja Lehrerin. Auch das Thema meiner Doktorarbeit war eher ein Zufall, aber während der Arbeit daran fand ich den Bereich Lehrwerksentwicklung immer spannender. Nach dem Referendariat und einem halben Jahr Schulerfahrung lag es dann für mich auf der Hand, mich bei Schulbuchverlagen zu bewerben.
Welche drei Sachen haben Sie auf der Arbeit zuletzt erledigt?
- Ich habe Teile einer Handreichung zu einer Sammlung englischer Kurzgeschichten redigiert. Das bedeutet zuerst eine sachliche Prüfung und (in Zusammenarbeit mit der Autorin) ggf. eine Überarbeitung: Funktionieren die vorgeschlagenen Aufgaben; werden mit ihnen alle Kompetenzen abgedeckt und die Kurzgeschichten angemessen ausgewertet? Sind die Lösungen vollständig und richtig? Werden vorher vereinbarte Anforderungen an das Manuskript erfüllt? Wird der geplante Umfang eingehalten und wenn nicht, wo kann gekürzt/etwas ergänzt werden? Dabei wird das Manuskript, wenn notwendig, sprachlich geglättet, und die englischsprachigen Teile werden einem native speaker check unterzogen. Am Ende folgt eine Rechtschreibkorrektur.
- Für unsere Lehrwerke lizensieren wir häufig Fremdmaterialien wie Texte aus englischen Zeitungen oder Romanauszüge. Damit die darauf spezialisierte Fachabteilung die Texte lizensieren kann, habe ich ihr die bibliographischen Informationen von Texten in einem digitalen Tool bereitgestellt.
- In einer Bilddatenbank habe ich geeignete Illustrationen recherchiert, zusammen mit der Fachabteilung lizenzrechtliche Fragen geprüft, die Bilder heruntergeladen und sie über ein digitales Tool dem externen Dienstleister zur Verfügung gestellt, der das Layout gestaltet.
Wie eng arbeiten Sie mit Schulen und Lehrer*innen zusammen?
Unsere AutorInnen und BeraterInnen sind in der Regel Lehrkräfte, insofern arbeiten wir sehr eng mit Menschen aus der Praxis zusammen. Wir Redakteurinnen und Redakteure bemühen uns auch, regelmäßig an Schulen zu hospitieren, denn eine konkrete Vorstellung vom Unterrichten hilft ungemein beim Redigieren.
Gibt es Richtlinien oder Vorgaben, nach denen Sie sich bei der Gestaltung der Schulmaterialien richten müssen?
Wir müssen uns natürlich an den Richtlinien/ Lehrplänen/ Kerncurricula/ Bildungsstandards der verschiedenen Bundesländer orientieren.
Ein gutes Schulbuch "... muss sachlich/fachwissenschaftlich
korrekt sein, die Inhalte lernergerecht aufbereiten,
ein klares, lernförderndes Layout haben."
Muss man Lehramt studiert haben, um im Schulbuchverlag tätig zu sein?
Nicht notwendigerweise; es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die ein Magisterstudium oder BA/MA abgeschlossen haben. Aber wenn eine Stelle ausgeschrieben und die Zahl der Bewerbungen groß ist, kann das Lehramtsstudium den Ausschlag geben. Ich persönlich halte auch Unterrichtserfahrung für sehr wichtig, um ein Lehrwerk zu redigieren; ich profitiere bei jedem Projekt von meiner Zeit als Referendarin/Lehrerin, auch wenn sie schon weit zurück liegt.
Was macht ein gutes Schulbuch aus?
Hier lassen sich bestimmt Hunderte von Kriterien nennen – ich nehme mal drei heraus: Es muss sachlich/fachwissenschaftlich korrekt sein, die Inhalte lernergerecht aufbereiten, ein klares, lernförderndes Layout haben.
Produzieren Sie selbst die Beiträge für Ihre Lehrmittel oder akquirieren sie diese?
In Englischlehrwerken für die Unterstufe werden alle Inhalte vollständig von Autorinnen und Autoren verfasst, d. h. Texte, Aufgaben, Merkkästen etc. Ab der Mittelstufe nimmt der Anteil der Texte zu, die nicht selbst geschrieben, sondern (ggf. in vereinfachter Form) lizensiert werden; AutorInnen schreiben dann Aufgaben, Merkkästen, Skills Files etc. Das heißt, der Anteil der lizensierten Inhalte nimmt in Englisch von Schuljahr zu Schuljahr zu; in der Oberstufe sind alle Texte lizensiert.
Auch wenn Texte und Aufgaben von Autor*innen entwickelt werden, heißt das nicht, dass die Redaktion nur noch eine Rechtschreibkorrektur vornimmt. Je nach Projekt und Arbeitsform kann der Anteil der Redaktion an der Erstellung von Texten und Aufgaben erheblich sein und bis hin zur Mit-Autorenschaft gehen. Ich persönlich halte es immer so, dass ich beim Redigieren den Autor*innen nicht einfach die Stellen aufzeige, die einer Überarbeitung bedürfen. Ich mache stattdessen möglichst gleich einen konkreten Verbesserungsvorschlag. Insofern geht meine Arbeit über eine reine Qualitätskontrolle hinaus und impliziert dann auch Autorentätigkeit.
Wie bringen Sie Ihre Materialien an die Schulen bzw. wer entscheidet, welche Lehrmittel eine Schule verwendet?
In vielen Bundesländern müssen Lehrwerke für die meisten Unterrichtsfächer vom Kultusministerium genehmigt werden. Die Schulen entscheiden dann frei, welche der genehmigten Lehrwerke sie verwenden wollen, und das können auch Materialien verschiedener Verlage sein.
Wie stehen Sie zu Unterrichtsmaterialien, die Unternehmen, NGOs oder Player wie die Bundeszentrale für politische Bildung den Schulen zur kostenfreien Verwendung anbieten? Arbeiten Sie bei der Erstellung von Inhalten auch mit solchen externen Playern zusammen?
Meines Wissens gibt es bei Cornelsen keinerlei solche Kooperationen; wir verwenden aber durchaus ausgewählte Materialien von NGOs in unseren Lehrwerken. Gegenüber Lehrmaterialien von Unternehmen bin ich persönlich eher skeptisch, zumindest sollte vor ihrem Einsatz gut überlegt sein, welchen Zweck das Unternehmen mit den Materialien verfolgt ...
Welche Arten von Medien stellen Sie in Ihrem Verlag zur Verfügung?
Es gibt eine kaum überschaubare Vielzahl an Printmedien wie Schulbuch, Handreichung, Arbeitsheft, Nachschlagewerke, Lernhilfen und Übungshefte, die die Lernenden in Eigenregie einsetzen, Klassenarbeitstrainer, Vorschläge für die Leistungsmessung ... Auch Ebooks, Apps und „Unterrichtsmanager“ gehören zu unserem Portfolio (d.h. ein Ebook des Schulbuchs, von dem aus Lehrkräfte verschiedene begleitende Inhalte wie Lösungen, didaktisch-methodische Hinweise, Arbeitshefte, Audios, Videos ansteuern können).
Seit Corona ist deutlich spürbar, dass Schulen digitale Inhalte verstärkt nachfragen. Und natürlich spielt das Thema KI eine große Rolle. Cornelsen bietet eine eigene KI-Toolbox an, mit deren Hilfe Lehrkräfte z. B. ihren Unterricht planen und organisieren, Materialien erstellen und ihren Lernenden Feedback geben können.
„...wenn eine Idee durch das Zutun von beiden Beteiligten zu einer funktionierenden Aufgabe reift, macht das sehr zufrieden!“
Haben sich die Werte und Inhalte, die Schulen wichtig sind, über die Jahre verändert? Wie spiegelt sich das in Ihren Materialien wieder?
Lehrwerke spiegeln ja immer die Gesellschaft wider, in der sie verwendet werden; eine wirklich fundamentale Veränderung kann ich da innerhalb der letzten 20 Jahre nicht feststellen. Aber natürlich verändern sich die Themen, die in Lehrwerken behandelt werden, so wie sich auch die Gesellschaft verändert. Speziell bei Cornelsen ist vielleicht ein großer Fokus auf diversity and inclusion zu nennen.
Welches Ziel möchten Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?
Unterrichtsmaterialien zu erstellen, die es Lehrkräften leicht machen, einen motivierenden, methodisch wie fachlich angemessenen, erfolgreichen Unterricht zu machen.
Was fordert Sie an Ihrem Beruf heraus, was macht ihn spannend?
Auch wenn ich schon zig Schülerbücher, Handreichungen, Themenhefte betreut habe, ist jedes Material wieder neu. Ich komme mit vielen unterschiedlichen Sachthemen in Verbindung und muss mich in sie eindenken. Mir macht vor allem die Zusammenarbeit mit Autor*innen Spaß: Wenn ich in einem Manuskript Überarbeitungsbedarf entdecke und dann mit dem Autor/ der Autorin an einer Verbesserung feile, wenn eine Idee durch das Zutun von beiden Beteiligten zu einer funktionierenden Aufgabe reift, macht das sehr zufrieden!
Als Herausforderung empfinde ich, dass dieser eigentliche Kern der redaktionellen Arbeit – wie in vielen Berufen – immer stärker überlagert wird durch administrative Tätigkeiten.
Ihre Tipps für Berufseinsteiger*innen?
Wenn Sie sich für das Berufsfeld interessieren, versuchen Sie, Praxiserfahrung zu sammeln: Machen Sie Verlagspraktika, unterrichten Sie, bleiben Sie in Kontakt mit Verlagen.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke in die Tätigkeit als Redakteurin bei einem Schulbuchverlag, Dr. Marion Kiffe!
Das schriftliche Interview wurde im Januar 2019 geführt und im Januar 2025 überarbeitet.