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Artensterben vor der Haustür – Wie der Botanische Garten der Universität Potsdam dagegen ankämpft

Jakob Schulz (l.) und Daniel Lauterbach
Jakob Schulz (l.) und Daniel Lauterbach
Foto : Sandra Scholz
Jakob Schulz (l.) und Daniel Lauterbach
Foto : Sandra Scholz
Jakob Schulz (l.) und Daniel Lauterbach

Sie ist hübsch anzusehen, duftet gut und Insekten mögen sie: Die Graue Skabiose ist die Vorzeigepflanze, wenn es um den Schutz des brandenburgischen Trockenrasens geht. Dabei gibt es noch viele andere Pflanzen, deren Erhalt wichtig für die heimische Biodiversität ist. In mehreren Projekten des Botanischen Gartens der Universität Potsdam kümmern sich Biologen, wie Kustos Dr. Michael Burkart, Dr. Daniel Lauterbach und Jakob Schulz zusammen mit Gärtnerinnen und Gärtnern darum, gefährdete Arten und ihren Lebensraum zu erhalten.

„Wer sollte den Artenschutz angehen, wenn nicht die Botanischen Gärten? Sie haben eine enorme Kompetenz dafür“, sagt Daniel Lauterbach. Der Botanische Garten der Universität Potsdam habe schon lange seinen Fokus darauf gelegt, seltene Pflanzenarten Brandenburgs zu bewahren. Momentan wird der Status quo aber nur erhalten. Eine wirkliche Verbesserung ist nicht in Sicht. „Die Situation ist nach wie vor dramatisch“, sagt Lauterbach. Sein Kollege Jakob Schulz ergänzt: „Wir müssten uns nicht mit dem Thema beschäftigen, wenn der Trend positiv wäre.“

Deshalb setzen sich die beiden Mitarbeiter des Botanischen Gartens in drei Projekten vor allem für die Flora des Trockenrasens ein. Dieser ist ein typischer Offenlandlebensraum der Region – ganz im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung einer brandenburgischen Kiefernforst-Idylle. Über mehrere Jahrhunderte hinweg entstanden Trockenrasen als Teil der Kulturlandschaft: Der Mensch hat die Region extensiv bewirtschaftet und ihn damit gefördert. Wie die Menschheit in jüngster Zeit in den Lebensraum eingreift, befeuert allerdings das Artensterben.

Seit 2019 verfolgt das Projekt „LIFE Trockenrasen“ deshalb das Ziel, diesen besonderen Lebensraum in Westbrandenburg wiederherzustellen, erzählt Daniel Lauterbach. Von der EU bis 2026 gefördert, arbeitet der Botanische Garten mit der Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg und der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe zusammen. In der Vergangenheit herrschte dank kleinteiliger Landwirtschaft, weidender Schafe, Ziegen und sogar Schweine sowie einer geregelten Mahd eine hohe Biodiversität in den Gebieten Brandenburgs. Um Trockenrasen in der Gegenwart zu schützen, greifen die Beteiligten wieder auf die althergebrachten Pflegemethoden zurück. Neben Mahd und Beweidung – für die sie beispielsweise mit einem Ziegenhirten im Fläming kooperieren – entfernt das Team invasive Pflanzen wie die Robinie, die nicht zum Trockenrasen gehören. Von den Arten, die ansässig sind, sammeln die Forschenden Saatgut, ziehen Jungpflanzen an und setzen sie dann vor Ort ein.

Pflanzen zu vermehren, um dem Artensterben entgegenzuwirken, darum geht es auch in anderen Projekten am Botanischen Garten. So ist Daniel Lauterbach an „Wildpflanzenschutz Deutschland II“ – kurz WIPs-De II – beteiligt. Die Botanischen Gärten in Regensburg, Osnabrück, Mainz, Potsdam und Berlin haben sich 2014 zusammengeschlossen, um sogenannte Verantwortungsarten zu sichern und zu erhalten. Diese Pflanzen sind entweder ausschließlich oder hauptsächlich in Deutschland anzutreffen. Deshalb steht das Land in der Pflicht, sie zu erhalten. Die Einrichtungen übernehmen je einen Schwerpunkt: vom Saatgutsammeln bis zum Wiederauspflanzen. Potsdam legt Erhaltungskulturen bedrohter Arten an, die dadurch außerhalb ihres natürlichen Lebensraums bewahrt werden. Unter den Potsdamer Schützlingen sind Pflanzen wie die Stängellose Kratzdistel oder eben die Graue Skabiose. Auf der Roten Liste gefährdeter Arten werden sie als „vom Aussterben bedroht“ geführt.

Dann wäre da noch das Projekt „Urbanität und Vielfalt“. Bereits seit 2016 soll es Bürgerinnen und Bürger animieren, bedrohte Pflanzen, die überwiegend auf Trockenrasen vorkommen, zu schützen. Bis heute erhielten Pflanzenpatinnen und -paten 26.000 Jungpflanzen und später Samen. Diese konnten sie auf dem Balkon, im Garten oder auf der Archefläche im Jelena-Šantić-Friedenspark in Berlin anpflanzen. Nach der Vegetationsperiode sollten die 1.300 Unterstützenden dann ihre neu gewonnenen Samen zurückschicken. Ende 2022 läuft die Förderung aus, doch die Initiative wird in Form eines Arbeitskreises weiter bestehen. Sie kam gut an: „Der Bedarf an Wildpflanzen ist hoch bei den Bürgerinnen und Bürgern. Viele wollen mithelfen“, erzählt Jakob Schulz, der einer der vier Projektkoordinatoren ist. Zusammen mit seinem Team hat er sich darum gekümmert, aus dem neuen Saatgut Jungpflanzen zu ziehen und wieder am Ursprungsort oder beispielsweise in Schaubeeten auszubringen. Neben dem reinen Vermehren ist vor allem das Aufklären über den Trockenrasen ein Ziel des Vorhabens. Nur durch Wissen lässt sich ein Bewusstsein für den Artenschutz schaffen und die Wahrnehmung verändern.

„Es gibt nicht viele Botanische Gärten mit drei so großen Projekten“, sagt der Biologe stolz. „Es ist noch ein langer Weg für den Artenschutz, aber sogar solche einfachen Maßnahmen können schon viel bewirken.“ Und sie kommen an: Das Projekt „Urbanität und Vielfalt“ wurde dafür mit dem   Berliner Naturschutzpreis 2022 ausgezeichnet.

Mitmachen konnten auf eine ganz andere Art auch die Schülerinnen und Schüler des städtischen Leibnitz-Gymnasiums. Im vierten Projekt „Die Politische Pflanze“, das Michael Burkart für Potsdam leitet, erlebten sie das Konfliktpotenzial, das der Naturschutz birgt. Zuerst lernten die Jugendlichen, Wildpflanzen zu bestimmen. Denn nur wer (er-)kennt, was zu schützen ist, kann gegen das Artensterben aktiv werden. Vertreterinnen und Vertreter von Politik und Verwaltung kamen danach zu einem fiktiven Streitgespräch über die Habichtwiese in Potsdam-Bornstedt zusammen. Im Austausch erfuhren die Jugendlichen, wie komplex es ist, Naturräume umzugestalten und alle Perspektiven einzubeziehen.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2022 „Artensterben“ (PDF).