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Nicht geheuer – Mathias Weymar erforscht menschliches Verhalten bei sozialer Bedrohung

Mann steht neben einem Bilschirm und erklärt einer Frau ein Experiment
Porträt des Psychologen Mathias Weymar
Foto : Tobias Hopfgarten
Emotions- und Biopsychologe Prof. Dr. Mathias Weymar erklärt ein Experiment
Foto : Tobias Hopfgarten
Emotions- und Biopsychologe Prof. Dr. Mathias Weymar

Finstere Blicke, einschüchternde Gesten, stressige Begegnungen – soziale Bedrohungen begegnen uns im Alltag häufiger als gedacht. Wie verhalten sich Menschen unter diesen Umständen? Aus dem Weg gehen, flüchten oder lieber von vornherein vermeiden? Emotions- und Biopsychologe Prof. Dr. Mathias Weymar setzt sich mit diesen Fragen in seinem Forschungsprojekt „Dynamik des defensiven Verhaltens und Gedächtnis im Kontext von Stress und sich annähernder sozialer Bedrohung: Ein multi-methodischer Ansatz“ auseinander. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, untersuchen er und sein Team erstmals wie Körper und Geist auf soziale Bedrohungen reagieren.

Herr Prof. Weymar, Sie untersuchen in Ihrem Forschungsprojekt erstmalig defensives Verhalten bei sozialer Bedrohung. Was verstehen Sie unter sozialer Bedrohung? Welche kognitiven Prozesse laufen ab, wenn Menschen gestresst sind oder sich bedroht fühlen?

Hierbei müssen wir uns zunächst einmal vor Augen führen, was eine Bedrohung ganz allgemein ist. Bedrohungen sind Reize, die mit einer unangenehmen Konsequenz für uns einhergehen. Eine solche unangenehme Konsequenz kann zum Beispiel Schmerz sein, sodass wir einen Hund als Bedrohung ansehen, wenn er uns zähnefletschend gegenübersteht. Wir befürchten dann, dass der Hund uns gleich beißen könnte und dass das weh tun wird. Genauso kann eine bedrohlich schauende Person vor uns stehen und die Konsequenz kann sein, dass uns durch diese soziale Bedrohung, Ärger, Aggression und möglicherweise eine negative Bewertung durch diese Person bevorsteht.

Im Angesicht einer solchen Bedrohung passen sich unsere natürlichen defensiven Reaktionssysteme (inklusive kognitiver Prozesse und defensiver Verhaltensweisen) dabei dynamisch den situativen Gegebenheiten an. Wenn wir eine Bedrohung wahrnehmen, diese aber noch relativ weit entfernt ist, erhöhen wir unsere selektive Aufmerksamkeit auf diesen Reiz, erleben leichte Anspannung und aktualisieren fortlaufend das gegenwärtige Risiko. Bei größerer Nähe der Bedrohung ist unsere selektive Aufmerksamkeit allerdings ganz im Gegenteil reduziert, die erlebte Anspannung ist erhöht, vor allem wenn wir keine passenden Bewältigungsmöglichkeiten haben und wir haben nur noch ein Ziel vor Augen: Flucht aus der Situation.

Warum ist bislang noch nicht dazu geforscht worden? Wie kam es zu Ihrer Projektidee?

Die Dynamik von Bedrohungsreaktionen wird beim Menschen erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts intensiv erforscht. Bisherige Untersuchungen, vor allem im Tiermodell, konzentrierten sich dabei jedoch auf die Untersuchung dieser Mechanismen unter Verwendung „künstlicher“ Bedrohungen – zum Beispiel in Form von Reizen, die unangenehme elektrische Reize vorhersagten. Elektrische Reize sind nun aber nicht unbedingt die typische Gefahr, der wir Menschen in unserer Lebenswirklichkeit ausgesetzt sind – ob Reaktionen auf Bedrohungen also in alltagsnahen Situationen ebenfalls dynamisch organisiert sind, lässt sich nicht so einfach aus der bisherigen Literatur ableiten. So entstand die Idee für unser Forschungsprojekt: Soziale Bedrohungen sind im Gegensatz zu elektrischen Schocks ein elementarer Bestandteil unseres Lebens.

Wie werden Sie die Auswirkungen auf Abwehrverhalten und Erinnern konkret untersuchen? Welche Verfahren werden Sie dafür nutzen – Stichwort „multi-methodisch“?

In unserem Forschungsprojekt verwenden wir ein neues Paradigma mit sich dynamisch verändernden Gesichtsausdrücken, z.B. ändert sich ein neutraler zu einem wütenden Gesichtsausdruck. Am Ende der Sequenz kommt es zu einer verbalen Bewertung der betrachtenden Person, die manchmal aktiv durch Tastendruck vermieden werden kann, manchmal aber auch nicht. Dadurch variieren wir die Bewältigungsmöglichkeiten in der experimentellen Situation.

Im Anschluss werden Fragen zu den gezeigten Gesichtern gestellt. In der Studie greifen wir auf einen innovativen Ansatz zurück, der Bedrohungsreaktionen auf mehreren Ebenen erfasst. Zusätzlich zum Verhalten messen wir hierbei körperliche Reaktionen wie die Aktivität der Schweißdrüsen, des Herzens oder auch spezifischer Gesichtsmuskeln, die mit bedrohungsassoziierten Emotionen wie Furcht zusammenhängen. Zuletzt erheben wir aber auch elektrokortikale und hormonelle Reaktionen auf Bedrohungen, indem wir Hirnströme mit Hilfe der Elektroenzephalographie (EEG) und die Stresshormonaktivität über endokrinologische Methoden messen.

Welches Anliegen verfolgen Sie mit ihrem Forschungsprojekt?

Wir hoffen, dass uns die aus dem Forschungsprojekt gewonnenen Erkenntnisse ein tieferes Verständnis über die Dynamik von Bedrohungsreaktionen in alltagsnahen Situationen geben werden, in denen soziale Bedrohungen eine zentrale Rolle spielen. Solche Bedrohungsreaktionen stehen im Übrigen im Zentrum vieler klinischer Syndrome, sodass unsere Forschungsergebnisse auch dabei helfen werden, die Pathologie psychischer Erkrankungen besser zu verstehen.

Wofür könnten die Erkenntnisse über die Grundlagenforschung hinaus genutzt werden?

Wir gehen heute davon aus, dass pathologische Formen von Furcht und Angst – sogenannte Angststörungen – durch Bedrohungsreaktionen gekennzeichnet sind, die sich qualitativ nicht von gesunden Reaktionen unterscheiden, aber deutlich übersteigert sind. Viele Menschen haben beispielsweise Angst davor, Vorträge zu halten, können aber mit dieser Angst gut umgehen. Sozialphobikerinnen und -phobiker zeigen hingegen exzessive und inflexible Bedrohungsreaktionen und vermeiden oder fliehen häufig aus solchen sozialen Bewährungssituationen. Die aus unserem Forschungsprojekt gewonnenen Erkenntnisse werden somit einerseits dabei helfen, übersteigerte Bedrohungsreaktionen auf soziale Reize besser einzuordnen. Möglicherweise können sich gleichzeitig aber auch Wege für neue personalisierte Behandlungsansätze für soziale Ängstlichkeit eröffnen, um diese exzessiven Reaktionen in Bedrohungssituationen effizienter zu therapieren.

Das Projekt

Titel: „Dynamik des defensiven Verhaltens und Gedächtnis im Kontext von Stress und sich annähernder sozialer Bedrohung: Ein multi-methodischer Ansatz“
Beteiligt: Leitung: Prof. Dr. Mathias Weymar; Mitarbeitende: Dr. Christoph Szeska; Mitverantwortliche: Dr. Julia Wendt (Universität Potsdam); Kooperationspartner: Prof. Dr. Matthias Wieser (Erasmus University Rotterdam)
Förderung: DFG (WE 4801/6-1)
Laufzeit: April 2022–März 2025

Weitere Informationen: https://www.uni-potsdam.de/de/emobio/news

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2023 „Exzellenz (PDF).