Eines steht fest: Für das, was bei emotionalen Ereignissen im Körper abläuft, sind Hormone entscheidend. Genauer gesagt die beiden Stresshormone Adrenalin und Cortisol, die in solchen erregenden Situationen ausgeschüttet werden. Beide beeinflussen im Gehirn zwei wichtige Strukturen: die Amygdala, die wichtig für die Detektion relevanter Ereignisse ist und bei Stress direkt auf das Gedächtnis wirkt, und den Hippocampus. „Diese klassische Gedächtnisstruktur ist für die Festigung von Erinnerungen von Bedeutung. Der Hippocampus macht sie langfristig abrufbar“, sagt Mathias Weymar. Die Hypothese der Neuromodulation besagt, dass durch die Ausschüttung von Stresshormonen Informationen länger verfügbar sind. Was bisher überwiegend an Tieren erforscht wurde, überprüfen Weymar und sein Team am Menschen, und zwar mithilfe des Elektroenzephalogramms (EEG). „Unser Fokus liegt auf neurowissenschaftlichen Methoden. Das EEG beispielsweise ist zeitlich hochauflösend und zeigt uns genau, wie schnell und ‚tief‘ Emotionen verarbeitet und abgerufen werden.“
Emotionale Reize, die unter Stress verarbeitet werden, bleiben länger im Gedächtnis
Für seine Doktorarbeit, die er 2010 an der Universität Greifswald abschloss, begann Mathias Weymar, den Gedächtnisabruf für emotionale Inhalte zu untersuchen. Seit dieser Zeit nutzt er neben anderen Materialien, wie Gesichtern und Wörtern, ein standardisiertes Bilderset, das ganz verschiedene Emotionen auslöst – angenehme wie unangenehme. Die Bilder stammen aus dem International Affective Picture Set: Es enthält Aufnahmen von Zahnarztbehandlungen ebenso wie von trauernden Menschen, erotische Bilder und Fotos von Babys. Wie Menschen darauf reagieren, ist
nicht nur an geweiteten Pupillen oder der erhöhten Schweißproduktion, sondern auch an stärkeren EEGHirnstromreaktionen und Amygdala-Funktionen ablesbar. „Die Reaktionen auf Bildinhalte lassen sich mithilfe zweier Dimensionen erfassen“, erklärt Weymar. „Anhand der Valenz, das heißt, ob sie angenehme oder unangenehme Emotionen auslösen, und anhand der Erregung – also wie stark die ausgelösten emotionalen Zustände sind.“ In einer früheren Studie verabreichte Weymar den Probandinnen und Probanden Betablocker, was die Rezeptoren in den Zellen blockiert und so die Ausschüttung von Adrenalin vermindert. Weymar konnte zeigen, dass der Gedächtnisabruf bei emotionalen Ereignissen dadurch tatsächlich geringer war.
Ein anderes Experiment ging noch einen Schritt weiter und „stresste“ die Versuchsteilnehmenden. Sie sollten ihre Hand in Wasser legen, das mit einer Temperatur knapp über null Grad eiskalt war, und sich dabei Bilder ansehen, die später in einem Gedächtnistest abgefragt wurden. Und nicht nur das: Sie hatten es außerdem mit einem Versuchsleiter zu tun, der alles andere als freundlich war. Der Blutdruck der Probandinnen und Probanden war hoch, ihr Puls ging schnell: Sie standen unter Stress. Doch noch Tage später waren den Versuchspersonen die Bilder in Erinnerung. „Emotionale Reize, die unter Stress verarbeitet werden, bleiben also länger im Gedächtnis“, folgert der Psychologe. Zur Überprüfung ihres Ergebnisses führten Weymar und sein Team die Studie noch einmal mit einem freundlichen Versuchsleiter und warmem Wasser durch. Und tatsächlich konnten sich die entspannten Versuchspersonen lange nicht so gut an die Bilder erinnern wie die gestressten. Das Langzeitgedächtnis greift übrigens schon am Tag nach einem emotionalen Ereignis. „Wir müssen in der Regel eine Nacht schlafen, um einen Gedächtnisinhalt zu festigen. Dabei wird er vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis transferiert.“
Weymar betreibt zwar Grundlagenforschung, doch ihn interessieren auch die Anknüpfungspunkte an klinische sowie an erziehungswissenschaftliche Themen. Schließlich gebe es an der Humanwissenschaftlichen Fakultät zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die sich mit der Motivation von Lernenden, dem Erwerb von Wissensinhalten oder auch Angststörungen Prof. Mathias Weymar befassen.
Milder Stress wirkt sich zumeist förderlich auf das Lernen aus
„Unsere Studienergebnisse sind unter anderem in der klinischen Forschung anwendbar. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass Menschen, die Furcht vor Spinnen haben, diese auch besser entdecken können.“ Die Aufmerksamkeitsleistung ist durch die Angst also erhöht. „Phobische Reize werden besser verarbeitet.“ Dies löst meist auch eine Defensivmotivation, das heißt Fluchtverhalten, aus: Der Körper ist in Alarmbereitschaft, weicht womöglich zurück, das Herz rast und der Atem ist flach. Zudem werden die Spinnen auch besser erinnert, was möglicherweise dazu führt, dass die Furchtsymptome auch langfristig erhalten bleiben.
Mathias Weymar schließt aus seinen Untersuchungen, dass Aktivierung erst einmal positiv ist: Interessante, bedeutsame Inhalte erlauben besseres Lernen. Ein stimulierendes Umfeld habe damit durchaus etwas Positives: „Milder Stress wirkt sich zumeist förderlich auf das Lernen aus.“ Auch wenn zu viel Stress wiederum negative Effekte habe, wie zum Beispiel Blockaden und Blackouts.
Für die Behandlung traumatisierter Menschen sind Weymars Forschungen ebenfalls von Bedeutung. Der Theorie „arousal-biased competition“ zufolge werden Informationen bevorzugt, die relevant und mit einer höheren Erregung des zentralen Nervensystems verbunden sind. Auch Kontextreize, die mit einem emotionalen Ereignis enkodiert sind, werden dadurch besonders gut gespeichert. Bei einem Sturz vom Fahrrad zum Beispiel können Details der Umgebung, wie eine Straßenlaterne, ein Geschäft oder die Musik, die man während des Sturzes vernommen hat, lange im Gedächtnis bleiben. Hier sei der Anschluss an die klinische Forschung ebenso interessant. Etwa bei posttraumatischen Belastungsstörungen, die eine Person so stark beeinflussen können, dass sich sogar die Funktion und das Volumen des Hippocampus verändern: Das Hirnareal verkleinert sich. Doch wie können die mit einem Trauma assoziierten Kontextreize gewissermaßen umbesetzt werden, damit sie die Patientinnen und Patienten nicht immer von Neuem an das furchtbare Ereignis erinnern? „In dem Moment, in dem ein Inhalt abgerufen wird, wird er instabil – das heißt, er kann verändert werden“, erklärt Weymar. „Indem im Moment des Sich-Erinnerns ein sicherer, nicht-erregender Zustand erzeugt wird, könnte es möglich sein, eine Gedächtnisspur umlernen zu lassen.“
Bedrohliche Erinnerungen lassen sich künftig vermutlich gezielt verändern
Nicht zuletzt interessiert den Psychologen und sein Team, wie sich auch bei gesunden Menschen das Gedächtnis verbessern lässt. Dafür wird der Vagusnerv, ein Hirnnerv, der mehrere Organe wie das Herz oder die Lunge steuert, stimuliert. Diese Methode wird bereits bei der Behandlung von Epilepsien oder Depressionen eingesetzt, meist jedoch mit einer unterhalb des Schlüsselbeins implantierten Elektrode. An der Professur für Bio- und Emotionspsychologie wird dagegen ein Gerät, das einem Kopfhörer ähnelt, in das Ohr gesetzt. Es sendet auf nicht-invasive Weise elektrische Impulse an den Nerv. Der Vagusnerv ist nämlich auch mit anderen Hirnzentren wie dem Hippocampus oder der Amygdala gut vernetzt. Durch die Stimulation werden diese Hirnbereiche aktiviert und das Erinnern bestimmter Informationen wird gezielt gefördert.
„Zukünftig könnte es möglich sein, mithilfe solcher einfachen, leicht anwendbaren und nicht schmerzhaften Methoden kognitive Prozesse wie Lernen und Gedächtnis zu verbessern. Dazu gehört auch das Umlernen von ursprünglich bedrohlichen Erinnerungen“, sagt Weymar. Aktuell forscht sein Team in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Kooperationsprojekt mit der Klinischen Psychologie: Die Forscher wollen herausfinden, inwieweit einfaches Biofeedback über die Atmung die Vagusnervaktivität verändert und damit auch das Lernen, und zwar bei Gesunden wie auch bei Patienten, optimieren kann.
Der Wissenschaftler
Prof. Dr. Mathias Weymar studierte Psychologie an der Universität Greifswald. Nach Stationen am Center for the Study of Emotion and Attention an der University of Florida und an der Universität Greifswald ist er seit 2016 Juniorprofessor für Emotions- und Biopsychologie an der Universität Potsdam.
E-Mail: mathias.weymaruuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2020 „Energie“.