Was ist eure Studienrichtung, und wann seid ihr an die Universität Potsdam gekommen, um eine Doktorarbeit zu beginnen?
Samudrajit: Nachdem ich meinen Bachelor- und Masterabschluss an der Universität Delhi gemacht habe, kam ich im Oktober 2016 mit einem DAAD-Stipendium an die Universität Potsdam, um eine Doktorarbeit im Bereich der Theoretischen Physik zu schreiben. In meiner Arbeit geht es hauptsächlich um die Charakterisierung von Diffusion in verschiedenen Systemen der biologischen und weichen Materie mithilfe von Werkzeugen der statistischen Physik.
Vittoria: Ich arbeite in der Gruppe von Prof. Metzler als Physikdoktorandin. Ich komme ursprünglich aus Italien und bin im April 2017 nach Potsdam gezogen, um eine Doktorarbeit zu beginnen.
Werden eure Promotionsprojekte für den Rest des Jahres gefördert?
Vittoria: Ich hatte an der Universität Potsdam einen Arbeitsvertrag bis Ende März, da der Standard-Förderzeitraum für Doktoranden drei Jahre beträgt. Dann habe ich ein Stipendium zur Fertigstellung meiner Doktorarbeit von der Potsdam Graduate School erhalten, das mich für weitere sechs Monate fördert. Ich plane, meine Dissertation so bald wie möglich einzureichen, um noch während der Förderperiode zu verteidigen.
Samudrajit: Das DAAD-Stipendium geht bis Ende September dieses Jahres und ich schreibe jetzt an meiner Dissertation, um noch zu verteidigen, bevor die Förderung ausläuft.
Wie unterscheidet sich euer derzeitiger Tagesablauf vom Tagesablauf vor der Coronakrise?
Vittoria: Mein Tagesablauf vor der Coronakrise war ziemlich gewöhnlich. Morgens fuhr ich mit dem Zug zu meinem Büro in Golm (ich wohne in Potsdam-West). Dort angekommen, habe ich mit meinen Kollegen einen Kaffee getrunken, bevor ich an meinen Schreibtisch ging. Mittags sind wir gemeinsam zum Mittagessen in die Mensa gegangen und anschließend habe ich – mit einer Teepause – bis ca. 18:00 Uhr gearbeitet. Zweimal pro Woche habe ich am späten Nachmittag einen Sportkurs besucht.
Dieser einfache Tagesablauf bildet die Grundlage für ein gesundes und glückliches Berufsumfeld. Aufgrund der Einschränkungen durch die SARS-CoV-2-Situation verbringe ich jetzt die meiste Zeit zu Hause. Mit festen Zeiten für die Mahlzeiten versuche ich meinen Tagesablauf beizubehalten. Ich gehe nur raus, wenn ich zum Supermarkt muss oder um spazieren zu gehen, wenn ich sehr frustriert bin. Ich fühle mich schnell einsam, weil die Arbeit keinen großen Austausch erfordert. Mir fehlt es aber, meine Kollegen und meinen Betreuer – eine Tür weiter – um mich zu haben, mit denen ich einfach mal ein paar Worte wechseln kann, wenn mir danach ist. Im Moment halten wir uns gegenseitig durch E-Mails auf dem Laufenden, und wir machen alle zwei Wochen eine Videokonferenz.
Auch der Stressabbau durch körperliche Betätigung ist nur begrenzt möglich, da die Sportkurse natürlich abgesagt wurden. Also kann man nur spazieren gehen oder zu Hause ein Workout machen. Außerdem leben wir in temporären Unterkünften, weil wir aus dem Ausland kommen. In meinem Fall wohne ich in einem Ein-Raum-Appartement und das bedeutet, dass ich die meiste Zeit in einem einzigen Zimmer verbringe.
Samudrajit: Vor den SARS-CoV-2-Einschränkungen war mein Tagesablauf wie folgt: Ich bin am Morgen zum Büro gelaufen, das von meinem Appartement zu Fuß erreichbar ist, und habe bis zum Mittag gearbeitet, mit einer kleinen Tee-/Kaffeepause zwischendurch. Gegen 12:30 Uhr bin ich mit Kollegen zum Mittagessen in die Mensa gegangen. Nach dem Mittag habe ich bis ca. 18:00 Uhr gearbeitet mit einer weiteren Tee-/Kaffeepause am Nachmittag. Da es sich um eine Theoretische Physikgruppe handelt, machen wir keine Experimente. Unsere Arbeit umfasst im Wesentlichen Berechnungen, Simulationsläufe, Lesen, Begutachten und Artikel schreiben.
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil in meinem Leben ist Sport. Vor dem Ausbruch von SARS-CoV-2 bin ich zweimal die Woche zum Basketball gegangen. Das hilft mir, Stress von der Arbeit abzubauen und mich zu fokussieren. Weil die Sportkurse abgesagt wurden, versuche ich zu Hause zu trainieren und spazieren zu gehen, aber da ich ein Teamplayer bin, hilft mir das nicht viel.
Wie fühlt es sich an, von zu Hause zu arbeiten? Welche Herausforderungen bringt es mit sich?
Vittoria: Was wir in der Theoretischen Physik hauptsächlich tun, ist numerische und analytische Studien zu entwickeln, zu implementieren und auszuführen. Das bedeutet, unsere Arbeit wird komplett am Schreibtisch ausgeführt, entweder am Computer oder mit unseren guten alten Freunden Stift und Papier. Außerdem ist ein Großteil der Arbeit individuell, sodass permanente Interaktion mit Kollegen und Betreuern nicht nötig ist. Im Prinzip sollte uns das erlauben, von überall zu arbeiten. Büro oder zu Hause – das sollte keinen großen Unterschied machen. Aber natürlich ist das nicht immer der Fall.
Samudrajit: Ich bin ein Gewohnheitsmensch. Um effektiv zu arbeiten, brauche ich eine angemessene Routine und eine Trennung von Arbeit und Privatleben. Weil das Gebiet, in dem ich arbeite, theoretisch ist, und die Probleme die ich bearbeite, mir auch nach Feierabend nicht aus dem Kopf gehen, hilft mir eine Trennung von Büro und häuslicher Umgebung dabei, mit dem Stress und den Sorgen umzugehen. Das ist notwendig, um im Büro voll auf meine Arbeit fokussieren zu können, und am Ende des Tages nach Hause zu kommen und meinen Geist zu entspannen, sodass ich mit frischem Elan und aufgefüllten Energiereserven wieder in den nächsten Tag starten kann. Die Einschränkungen aufgrund von SARS-CoV-2 haben diese Trennung zerstört und somit meine Routine und Produktivität beeinflusst. Obwohl ich versuche, auch zu Hause einen ähnlichen Tagesablauf beizubehalten, fällt es mir sehr schwer mich zu konzentrieren.
Vittoria: In unserem Arbeitsfeld haben wir selten automatisierte Aufgaben, die dabei helfen können abzuschalten. Was wir brauchen, um produktiv zu sein, ist Aufmerksamkeit und Konzentration. Eine sichere Arbeitsumgebung, die von jeglichen Themen und Schwierigkeiten unseres Privatlebens getrennt ist, bildet die Grundlage für unsere Produktivität.
Der Stress ist im Moment aber nur zum Teil durch die besonderen Arbeitsumstände verursacht, die ich beschrieben habe. Für sich genommen ließen sich diese wohl irgendwie bewältigen. Die Anspannung entsteht zum Teil auch aus der unsicheren wissenschaftlichen und privaten Zukunft, wobei erstere mit der Tatsache zusammenhängt, dass ich am Ende meiner Doktorarbeit stehe. Ich verspüre den Zwang, die Arbeit zum September fertigstellen zu müssen, um für künftige Stellen infrage zu kommen, da ich natürlich bereits an Bewerbungen für Postdoc-Stellen arbeite. Somit ist es für mich essenziell, mich auf meine Doktorarbeit zu konzentrieren, um direkt anschließend eine Stelle zu finden.
Im Moment ist es nicht möglich, Familie und Freunde zu treffen – wie beeinflusst das eure Promotionsprojekte?
Samudrajit: Ich brauche täglich direkte menschliche Kontakte. Um damit zurechtzukommen spreche ich über Skype oder Telefon mit Freunden und Familie, aber das ist keine Alternative zu realem Austausch. Außerdem sind meine Eltern und meine Schwester in Indien. In diesen schwierigen, unsicheren Zeiten weit entfernt von ihnen zu sein, verursacht zusätzlich Stress.
Obwohl ich die Krise und die Notwendigkeit für Einschränkungen absolut verstehe, ist das eine große Herausforderung, mit der ich versuche fertigzuwerden. Eine gute Sache an dem Ganzen ist vielleicht, dass ich in letzter Zeit viel zu Hause koche, was ich vorher nicht gemacht habe.
Vittoria: Weil in Italien der Notstand ungefähr zwei Wochen vorher ausgerufen wurde, hatte ich schon begonnen mir über die Entwicklung der Coronavirus-Situation Sorgen zu machen, bevor hier in Deutschland Ausgangsbeschränkungen erlassen wurden. Ich habe täglich die Nachrichten für Italien und Deutschland gelesen. Mein Partner, der auch Doktorand ist und gewöhnlich in Italien lebt, ist kurz vor der Coronakrise für einen sechsmonatigen Aufenthalt nach Boston gezogen. Ich wollte ihn in den Osterferien besuchen, aber natürlich musste ich meine Reise absagen. Selbstverständlich ist die Situation sehr kompliziert, da die Möglichkeit zu reisen die Grundlage für die Beziehung zu meiner Familie und zu meinem Partner bildet. Dadurch erzeugen die Beschränkungen für mein Privatleben eine Menge zusätzliche Anspannung.
Trotz alledem habe ich Glück. Meine Familie, Freunde und ich selbst sind alle gesund. Ich habe immer noch ein regelmäßiges Einkommen, eine Unterkunft und ich kann weiterhin von zu Hause arbeiten, wenn auch unter Schwierigkeiten. Deshalb versuche ich, positiv zu bleiben.
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