Die Brandenburgische Sprachlandschaft
Die brandenburgische Sprachlandschaft ist das Resultat verschiedener Siedlungs- und Integrationsprozesse, die weit zurückreichen. Auch wenn die wesentliche Basis das Niederdeutsche ist, lassen sich auch niederländische, germanische, slawische, ostmitteldeutsche, französische und andere Einflüsse finden.
Die Germanen
Bereits vor 10 000 Jahren lassen sich menschliche Siedlungen im Raum Brandenburg nachweisen, wie Funde von Waffen, Harpunen und Äxten zeigen. In der Zeit von 1000 v. u. Z. bis 400 u. Z. ist das Gebiet von Germanen besiedelt, dies belegen Ausgrabungen germanischer Siedlungen beispielsweise in der Nähe von Königs Wusterhausen. Ihre Spuren lassen sich in Flussnamen wie Spree, Havel, Dosse oder Nuthe finden. Um die Zeitenwende bewohnten die elbgermanischen Semnonen das Havel-Spreegebiet, die Langobarden die Altmark und die Burgunder Gebiete östlich der Oder. Seit dem 1. Jh. u. Z. wanderten große Teile der Semnonen nach Süden ab.
Die Slawen
Im 6./7. Jh. dringen westslawische Stämme wie die Obotriten, die Wilzen (Lutizen) und Heveller in das von Germanen verlassene Gebiet zwischen Elbe und Oder ein. Zahlreiche Orts-, Flur- und Gewässernamen bezeugen die Slawen in diesem Gebiet. Als Beispiele seien genannt: Beeskow zu asorb. bezk 'Holunder'; Prenzlau zu altpolab. Premislav 'Ort des Premislav', Lausitz zu asorb. lozia, lug, log 'Sumpfland'; Pulsnitz zu asorb. polzati 'kriechen, langsam fließen'. Man kann davon ausgehen, dass es zwischen Restgruppen der Germanen und den slawischen Bewohnern Kontakte gegeben hat. Beweis dafür ist eine Reihe germanischer Flur- und Flussnamen wie z. B. Spree zu *sprewjan 'spritzen' oder zu *spreu ‘streuen, ausbreiten, spritzen’; Havel zu *hafa ‘Meer’, die von Slawen (Sprewanen, Heveller) übernommen wurden. Nach einer jahrhundertelangen wechselvollen Geschichte bilden die noch heute existierenden Sorben der Niederlausitz eine Minderheitengruppe in Südbrandenburg, die dieses Gebiet auch sprachlich prägt.
Die deutsche Besiedlung
Die Zeit seit dem 10. Jh. ist geprägt von dem Streben deutscher Feudalherren nach Ausdehnung des Machtbereichs in die von Slawen bewohnten Gebiete östlich von Elbe und Saale. König Heinrich I. erobert 928/929 die Grenzfeste Brennaburg (Brandenburg) der Heveller. Unter Otto I. unterwirft Markgraf Gero 940 die Elbslawen. Der große Slawenaufstand von 983 beendet zunächst die Expansion des Feudaladels, nördliche Gebiete mit Havelberg und Brandenburg werden zurückgewonnen.
Auf Betreiben sächsischer Fürsten erobern 1147 Heere unter Führung des Herzogs Heinrich der Löwe und dem askanischen Markgrafen Albrecht der Bär (1147–1170) von Obotrita und Lutizen bewohnte Gebiete (Brandenburg, Mecklenburg, Pommern) und es entsteht im 12. Jh. ein relativ großes Territorium (Altmark, Brandenburg, Prignitz), das durch seine Nachfolger um die Gebiete der Uckermark, Barnim, Teltow, Stargard, Lebus sowie Teile der späteren Neumark und Oberlausitz vergrößert wird. Die umfangreichen Gebietserweiterungen der askanischen Markgrafen von Brandenburg wurden durch bäuerliche Siedlung und die systematische Anlage deutschrechtlicher Städte abgesichert. Bis ins 12. und 13. Jh. setzt eine starke Siedlungsbewegung ein, insbesondere werden sächsische, friesische, flämische, niederländische und fränkische Bauern, Kaufleute und Handwerker ins Land geholt, die aus den Herkunftsgebieten neue Wirtschaftsformen wie die Hufenverfassung, die Dreifelderwirtschaft und die Kugeltopfkeramik mitbringen.
Als wichtigster sprachlicher Einfluss erweist sich die elbostfälische Mundart, die aufgrund ihrer Grenzlage zum mitteldeutschen Raum bereits Elemente des Mitteldeutschen mitbringt. Insgesamt kommt es zu einer Integration sprachlicher Merkmale aus ganz unterschiedlichen Landschaften, wobei drei Faktoren besonders hervorzuheben sind: die Mitgliedschaft Berlins und anderer brandenburgischer Städte im Städtebund der Hanse, die Beteiligung der Slawen am Landesausbau und der Zuzug von Niederländern in den Brandenburger Raum.
Die Mitgliedschaft Berlins und weiterer Städte im Städtebund der Hanse und der damit verbundene Kontakt mit Kaufleuten norddeutscher und westfälischer Städte stellte eine Stütze des niederdeutschen Sprachelements im Brandenburgischen dar.
Dass aber auch weiterhin Slawen am Landesausbau beteiligt waren, belegen “urkundliche Bezeichnungen einzelner Dörfer als villae slavicales. Aus diesem Ausdruck kann geschlossen werden, dass deren Bewohner zu der Zeit, als die Dörfer in den Urkunden erwähnt wurden, noch rein slawisch waren” (Teuchert 1964, 161). Vom Verbleiben slawischer Siedler im von Deutschen beherrschten Gebiet zeugen Ortsbezeichnungen wie Wendisch-Rietz, Wendisch-Buchholz, Wendisch-Gottschow, Wendisch-Pankow.
Aus dem Niederländischen, das vor allem die mittleren Gebiete Brandenburgs beeinflusst, sind neben geographischen Eigennamen zahlreiche Gattungsbezeichnungen, die sich auf die Lebensweise der Menschen beziehen, überliefert. Als Beispiele für geographischen Eigennamen seien genannt: Fläming zu lat. Flamingia ‘Land der Flamingi, der Flamen’, Flemingorum ist auch die Bezeichnung für eine Brücke in Jüterbog; Upstall für eine ‘umzäunte Lagerstelle für das Weidevieh auf einem höher gelegenen Platz in der Nähe von Wasser’; Erpel, mndl. erpel, das auf ide. *erb(h) ‘dunkelrötlich, bräunlich’ zurückgeht, ‘männliche Ente’; Färse, mndl. vaerse, veerse, verse, ‘junges weibliches Rind’; Hinne, mndl. Hinne, ‘die zum Hahn Gehörige’. An die flämischen Siedler erinnern z.B. auch die aus Flandern mitgebrachten Ortsnamen Brück und Niemegk. Beispiele für Gattungsbezeichnungen sind die Schüppe, mndl. scoppe, ndl. Schop, ‘Spaten’; Spade, mndl. spade, lässt sich auf ide *sp(h)e ‘langes, flaches Holzstück’ zurückführen; Stulle, ndl. Stull, ‘Kloß Butter, Brocken, Stück, Lappen’, so dass von ‘Klumpen, Brocken Brot’ auszugehen ist; Kanten, mndl. cant, ‘Rand, Kante, Stück Brot’, Buchte, ndl. bocht, ‘Biegung, Bucht, Verschlag’; Spind(e), mndl. spende, spinde ‘Austeilung von Speisen an Arme, das Ausgeteilte, Almosen, Vorrats-, Speisekammer, Speiseschrank, Schrank’.
Die Mark Brandenburg unter dem Einfluss verschiedener Herrschergeschlechter – erste Wüstungen und Neubesiedlung
Während der Herrschaft der Wittelsbacher (1324-1373) und der Luxemburger (1373-1411) wird die Mark Brandenburg nicht mehr als ein von ihnen verwaltetes Nebenland betrachtet. Stärker als andere Territorien ist sie von Einfällen und Raubzügen benachbarter Fürsten, Abtretungen und Landverkäufen, Verpfändungen und Veräußerungen landesherrlicher Rechte betroffen. Mit dem Nürnberger Burggrafen Friedrich I. beginnt 1411 die Hohenzollernherrschaft in Brandenburg, 1415 wird Friedrich I. mit der Mark belehnt, die derzeit das Gebiet der Altmark, Prignitz, Havelland, Zauche, Teltow, Barnim, Lebus, Sternberg und einen Teil der Uckermark umfasst. Im Verlauf der Herrschaftsperiode der Hohenzollern wird das Territorium wiederum ausgebaut, werden abgesplitterte Teile wie die Neumark zurückgewonnen, die Herrschaften Peitz und Cottbus von Böhmen sowie die Herrschaft Ruppin erworben.
Für die Sprachentwicklung in der Mark Brandenburg bedeutsam sind die Einflüsse des Ostmitteldeutschen – insbesondere des Obersächsischen –, die u. a. aus den Handelsbeziehungen der Mark mit dem wettinisch-meißnischen (obersächsischen) Raum resultieren, der sich in dieser Zeit zu einem ökonomischen und kulturellen Zentrum entwickelt. Förderlich waren dabei die Land- und Wasserverbindungen, die von Mitteldeutschland in die Mark führen.
Beginnende Abkehr von Niederdeutschen und Orientierung am Hochdeutschen
Mit dem Untergang der Hanse – der Austritt Berlins erfolgt 1518 – orientieren sich Berlin und die anderen Hanse-Städte am wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben des hochdeutschen Raumes. Damit gewinnt das Obersächsische an Einfluss auf die (schriftliche) Sprachentwicklung, wenngleich das Niederdeutsche als Sprachbasis erhalten bleibt.
Nicht nur die intensiven Handelsbeziehungen begünstigen die Aufnahme mitteldeutscher Sprachelemente in das niederdeutsche Gebiet, sondern auch der Besuch der Universitäten Leipzig und Wittenberg durch Angehörige der brandenburgischen Oberschicht sowie die Berufung Geistlicher und Kanzleischreiber hochdeutscher Abstammung hierher.
Wenn keine unmittelbare, so doch eine unterstützende Wirkung auf die sprachlichen Verhältnisse haben die Reformation und die lutherische Bibelübersetzung zu Beginn des 16. Jh. Auch wenn erst 1539 von Joachim II. die Reformation in Brandenburg eingeführt wird, hat diese dennoch Anteil am Rückgang des Mittelniederdeutschen als Schreib- und Drucksprache.
Die Auseinandersetzungen zwischen den politisch-konfessionellen Machtgruppen – zwischen der Union und Liga – münden in den 30-jährigen Krieg. Von 8000 Dörfern in der Mark hatten nur noch rund die Hälfte Bewohner, die anderen waren wüst und leer.
Neue Siedlerströme kommen ins Brandenburger Land
Aber Brandenburg-Preußen konnte sich schneller von den wirtschaftlichen Folgen des Krieges erholen als seine Nachbarn und in der 2. Hälfte des 17. Jh. einen ökonomischen Aufschwung erreichen. Zur Belebung der Wirtschaft holt Kurfürst Friedrich Wilhelm ausländische Handwerker, Manufakturunternehmer und Kaufleute ins Land. In Potsdam z.B. lassen sich u. a. holländische Seiden- und Damastweber nieder, auch eine holländischen Fayencenmanufaktur wird hier gegründet.
In die Regierungszeit Friedrich Wilhelms fällt auch das Edikt von Potsdam (1685), das den aus Frankreich fliehenden Hugenotten u. a. Glaubensfreiheit und Niederlassungsrecht im brandenburgisch-preußischen Staat ermöglichen. Zu den sprachlichen Spuren der Hugenotten insbesondere in Berlin und der Uckermark gehören u. a.: Pansch zu frz. Panse ‘Bauch, Leib’; Schwieten zu frz. suite ‘Streiche, Dummheiten’; Budike zu frz. boutique ‘Laden mit Lebensmitteln, Gaststätte, Bierlokal’.
Im Zusammenhang mit der Kolonisationspolitik Friedrichs des Großen werden weitere ausländische Siedler ins Land geholt, so z. B. Tuchmacher aus Schlesien sowie böhmische Weber und Spinner. Es entstehen zahlreiche neue Siedlungen. In Potsdam-Babelsberg wird die Weber- und Spinnerkolonie nach der Herkunft ihrer Bewohner nowa ves ‘Neuendorf’ benannt.
Industrialisierung und ihre Auswirkung auf die Dialekte
Zu einem für die Sprachentwicklung nicht nur im brandenburgischen, sondern im gesamten deutschen Raum wichtigen Ereignis zählt die im 19. Jh. einsetzende Industrialisierung. Die Entwicklung neuer, auf wissenschaftlicher Forschung beruhender Produktionszweige und Verfahren führt zu einer industriellen Expansion im ganzen Land. In diesem Zusammenhang verändert sich auch der Charakter der Arbeit. Die neuen kommunikativen Bedingungen werden dadurch bestimmt, dass Teile der ländlichen Bevölkerung in der Stadt arbeiten bzw. in die Stadt ziehen. Für die moderne Arbeitsorganisation und die Vielzahl der neuen Arbeitsgeräte und -techniken fehlen Bezeichnungen, die im Zuge ihrer Erfindung und ihres Einsatzes geschaffen werden. Für sie gibt es in den Dialekten keine Entsprechungen, sie werden den kommunikativen Anforderungen nicht mehr gerecht. Immer mehr Sprecher sind gezwungen, die Mundart im Arbeitsprozess zu meiden, ihr Gebrauch beschränkt sich zunehmend auf den privaten und familiären Bereich.
Die Zeit nach dem II. Weltkrieg
Während des II. Weltkrieges und nach dessen Beendigung sind Entwicklungen beobachtbar, die den bereits begonnenen Rückgang des Dialektgebrauchs begünstigen. In diesem Zusammenhang sind folgende Fakten zu nennen: das Land Brandenburg ist Durchzugs- und Zuzugsgebiet von Umsiedlern; die Entwicklung von Industrie und der Neuaufbau von großen Industrieanlagen – z. B. die Stahl- und Walzwerke in Brandenburg und Hennigsdorf, die Großkraftwerke Trattendorf, Vettschau und Lübbenau, das Textilkombinat Cottbus u. a.; die Entstehung eines neuen Massenkommunikationsmittels, des Fernsehens; die fast ausschließliche Orientierung an der Standardsprache im Unterricht sowie die räumliche Trennung von Arbeits- und Wohnort, was von den Menschen eine größere Mobilität verlangt.
Damit wird die Verständigung auf dialektaler Basis zunehmend eingeschränkt. Dem stehen jüngere Bemühungen gegenüber, die dem Niederdeutschen als Regionalsprache auch in Brandenburg wieder eine stärkere Geltung verschaffen wollen.
© Elisabeth Berner