Programm der GIP Potsdam-Tartu-Riga
Die Germanistische Institutspartnerschaft Potsdam-Tartu-Riga widmet sich dem ,Geteilten Kulturerbe in Deutschland und im Baltikum‘. Dabei werden literatur- und kulturhistorische Verflechtungs- und Transferprozesse seit der Epoche der Aufklärung in den Blick genommen (z.Bsp. die Genese von J.G. Herders Volksliedprojekt in Riga und seine produktive Aneignung im Baltikum), aber auch sprachhistorische Übertragungs- und Übersetzungsphänomene (etwa in Gestalt des deutsch-estnisch-lettischen Forschungsprojekts zum ,Deutschbaltischen Wörterbuch‘). Das wissenschaftliche Konferenz- und Veranstaltungsprogramm der GIP wird in enger Zusammenarbeit mit deutschen und baltischen Bildungs- und Kulturinstitutionen entwickelt, etwa dem Estnischen Literaturmuseum in Tartu oder der Nationalbibliothek Lettlands in Riga. Zu den Höhepunkten der GIP-Hauptphase zählten eine Fachtagung zu „J.M.R. Lenz und Livland“ (Tartu, 2022), eine Herbstschule zu „Orten und Praktiken des interkulturellen Lernens“ (Berlin/Potsdam, 2023) sowie die internationale Konferenz „I. Kant und das Baltikum“ (Tartu/Riga, 2024). Kennzeichnend für die Multiplikationsstrategie des Projekts ist es dabei, dass neben Fachpublikationen insbesondere auch Diskussionsveranstaltungen, Theaterperformances und Ausstellungsprojekte realisiert werden, um die Ergebnisse in eine größere Öffentlichkeit zu tragen, diese über die historische und aktuelle Relevanz der baltisch-deutschen Kulturbeziehungen zu informieren und Interesse für die deutsche Literatur, Sprache und Kultur zu wecken.
Die wissenschaftlichen Veranstaltungen der GIP werden von einem Seminarprogramm flankiert, welches das Themenfeld des ,Geteilten Kulturerbes in Deutschland und im Baltikum‘ in innovativen Lehr- und Lernformaten erschließt. Für die Abschlussphase ist die Entwicklung von mindestens neun ,blended mobility‘-Seminaren geplant, die im Co-Teaching der projektbeteiligten Dozierenden in Potsdam, Tartu und Riga realisiert werden und die sich die Studierenden an allen drei Hochschulstandorten voll anrechnen lassen können. Dabei werden wissenschaftlich und didaktisch anspruchsvolle Seminarangebote auf den drei Schwerpunktfeldern von 1) Literaturwissenschaft/-didaktik (z.Bsp. „Kolonialkritische Rezeption von Kants Aufklärungsphilosophie im Baltikum“) 2) Sprachwissenschaft/-didaktik (u.a. „Das Baltikum als interkultureller Sprachraum“) sowie 3) DaF/DaZ entwickelt („Volkslieder und Popsongs als Medium der diskursiven Landeskunde“). Für die Seminare werden umfangreiche digitale Lehr- und Lernmaterialien erstellt, die an allen drei Hochschulstandorten verfügbar sind. Durch das Seminarprogramm werden die Studierenden in Potsdam, Tartu und Riga zu innovativen BA- und MA-Studien- und Abschlussarbeiten auf dem thematischen Feld des baltisch-deutschen Kulturerbes angeregt, die idealerweise in binationaler Co-Tutelle betreut werden. Im Hinblick auf die Promotionsförderung wurde in der GIP-Hauptphase das Format der „Interdisziplinären deutschbaltischen Nachwuchstagungen“ entwickelt: Auf die Auftaktveranstaltung in Tartu 2023 sollen weitere Tagungen in Vilnius 2024, in Riga 2025 sowie in Potsdam 2026 folgen.
Um den germanistischen Studienschwerpunkt in Tartu für angrenzende Disziplinen und einen größeren Adressatenkreis zu öffnen und attraktiv zu gestalten, wurde dort in der Hauptphase des Projekts ein Mikrograd zum thematischen Schwerpunkt des „Deutsch-baltischen Kulturerbes“ entwickelt und zum Wintersemester 2023/2024 erfolgreich implementiert. Charakteristisch ist das interdisziplinäre Profil des Studienprogramms: So rücken in den Kursen unterschiedliche Phänomene, Artefakte und Praktiken des geteilten deutschbaltischen Kulturerbes in den Blick, von der Rezeption einschlägiger Programmschriften der deutschen Aufklärung im Baltikum (Literaturwissenschaft, Philosophie) über Phänomene des produktiven Sprachtransfers zwischen Deutsch und den baltischen Sprachen (Sprachgeschichte) bis hin zur Restaurierung der ehemaligen Gutshäuser deutschbaltischer Adliger (Architekturgeschichte, Denkmalpflege). In der Abschlussphase des Projekts soll der Mikrograd auch an der Universität Lettlands in Riga implementiert und um Kurse erweitert werden, die das Phänomen des geteilten Kulturerbes dezidiert auch aus lettischer Perspektive erschließen. Geplant sind hier Videovorlesungen u.a. anderem zu den baltisch-deutschen Forschungsnetzwerken im Umfeld des Rigaer Herder-Instituts und zu digitalen Techniken der Erschließung von Quellen der lettischen Folklore. Auf diese Weise soll der Mikrograd die Präsenz und Relevanz des geteilten, baltisch-deutschen Kulturerbes auch im heutigen Lettland sichtbar machen und zugleich ein attraktives, gesellschaftlich relevantes Kursangebot für alle an deutscher Literatur, Kultur und Sprache interessierten Studierenden in Riga präsentieren.
Beitrag des Projekts zur Reform der Ausbildung für Deutschlehrkräfte im Baltikum
- Neben der seit 1/2022 bestehenden GIP Hamburg-Vilnius zum Thema „Korpusdidaktik für formelhafte Fachsprache (KoDi-FS)“, deren Schwerpunkt primär sprachwissenschaftlich definiert ist, handelt es sich bei der GIP Potsdam-Tartu-Riga um die derzeit einzige GIP mit baltischen Hochschulen. Ihr Alleinstellungsmerkmal liegt in der breiten literatur-, kultur- und sprachhistorischen Ausrichtung, der Verankerung im gesamten baltischen Wissenschaftsraum sowie in der Kooperation mit einem breiten Netzwerk von Kultur- und Bildungsinstitutionen im Baltikum und in Deutschland (wie dem Estnischen Literaturmuseum in Tartu, der Kunsthochschule in Tallinn oder der Lettischen Nationalbibliothek).
- Gerade die Germanistik-Abteilungen in Estland und in Lettland sind dringend auf internationale Kooperationsprojekte angewiesen, um die Sichtbarkeit und Attraktivität der Germanistik mit all ihren Unterabteilungen (Literaturwissenschaft u. -didaktik, Sprachwissenschaft u. -didaktik, DaF / DaZ) zu gewährleisten. Dabei gilt es zu bedenken, dass in Estland allein in Tartu die Germanistik noch als eigenständiges Fach besteht (in Tallinn wurde Deutsche Sprache/Literatur in die Komparatistik integriert). In Lettland einzig und allein in Riga. Die germanistischen Abteilungen in Daugavpils, Ventspils und Liepaja wurden in den letzten Jahren aufgelöst.
- Vor diesem Hintergrund ist die Aufnahme der Universität Lettlands in Riga in das Projektkonsortium ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Germanistik in Lettland. Der Zeitpunkt ist besonders günstig, da die Philosophische Fakultät der Universität Lettlands in Riga derzeit grundlegend reformiert wird. Die Germanistik wird Teil dieser neuen Fakultät sein ebenso wie die Philosophie, Geschichte oder Theologie. Mit der konsequent interdisziplinäre Ausrichtung ihre Lehr- und Forschungsprogramms zum ,Geteilten Kulturerbe‘ (siehe dazu auch den Mikrograd) kann die GIP einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung und Weiterentwicklung der Rigaer Germanistik im diesem neuen Fächerverbund leisten.
- Einen Beitrag zur Stärkung der Germanistik im Baltikum leistet die GIP auch dadurch, dass sie die Vernetzung der baltischen germanistischen Abteilungen untereinander befördert. Dabei kann an erfolgreiche wissenschaftliche Kooperationsprojekte der Projektleiterin Tartu, Prof. Dr. Reet Bender, und der Projektleiterin in Riga, Prof. Dr. Ineta Balode, etwa zum Deutschbaltischen Wörterbuch angeknüpft werden. Diese Zusammenarbeit auf dem Feld der Forschung soll auch für die Lehre genutzt werden. Eine wichtige Rolle werden dabei die geplanten Co-Teaching-Seminare mit Beteiligung von Potsdamer, Tartuer und Rigaer Dozierenden zu Literatur- und Sprachwissenschaft sowie zu DaF/DaZ spielen.
- Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat nicht nur gesellschaftspolitische, sondern auch sprach- und bildungspolitische Konsequenzen insbesondere für die baltischen Staaten. Der Russischunterricht als Zweite Wahlsprache in der Schule ist in Estland und in Lettland deutlich zurückgegangen, an dessen Stelle rückt insbesondere der Deutschunterricht (in Lettland zuletzt Anstieg von 20 auf 30% im Schuljahr 23/24). Entsprechend sprunghaft ist die Nachfrage nach qualifizierten Deutschlehrkräften angestiegen, die von den Universitäten jedoch kaum bedient werden kann (pro Jahrgang in Tartu etwa nur 10-12 Studierende). Durch die oben genannten Maßnahmen soll die Attraktivität der Germanistik gesteigert werden, damit mehr junge Est:innen und Lett:innen sich für dieses Studienfach entscheiden und ihr Studium erfolgreich abschließen.
- Aus Sicht der Studierenden wird die Attraktivität des Studienfachs Germanistik durch die internationale Vernetzung (Stipendienangebot in Potsdam), die interdisziplinäre Ausrichtung (Verbindung der Germanistik mit Geschichte, Philosophie, Kulturwissenschaft), die historisch-kulturelle Bedeutung des Studienfelds (deutsches Kulturerbe im Baltikum) und den Praxisbezug (Praktikumsmöglichkeiten in Potsdam/Berlin) gesteigert. Um auf den lokalen Bedarf in Tartu u. Riga zu reagieren, wird in der Abschlussphase insbesondere die fachdidaktische Komponente gestärkt (v.a. im DaF/DaZ-Bereich, aber auch durch literatur- und sprachdidaktische Kurse; siehe dazu das Co-Teaching-Kursprogramm).
- Auch über das Fach Germanistik hinaus leistet das Projekt einen signifikanten Beitrag, um in Estland, Lettland (und Litauen) eine breitere Öffentlichkeit über die historische und aktuelle Relevanz der baltisch-deutschen Kulturbeziehungen zu informieren und Interesse für die deutsche Literatur, Sprache und Kultur zu wecken (die Zahl derjenigen, die an der Uni Tartu Deutschkurse belegen, ist mit 331 Studierenden in 2023/2024 um ein Vielfaches höher als diejenige der Germanistikstudierenden). Dazu trägt die Multiplikationsstrategie bei, die neben klassischen Fachpublikationen auch Diskussionsveranstaltungen, Theaterperformances und Ausstellungsprojekte vorsieht. Kultur- und Bildungsinstitutionen wie die Nationalbibliothek Lettlands in Riga oder das Literaturmuseum in Tartu dienen dabei als ,Transmissionsriemen‘, um die Projektergebnisse in die Öffentlichkeit zu tragen.