Lara Wiedemann
Wo engagieren Sie sich ehrenamtlich und was ist dabei Ihre Rolle?
Ich bin als ehrenamtliche Mitarbeiterin beim WEISSEN RING tätig, einer Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Angehörigen. Der Verein wurde 1976 in Mainz gegründet und umfasst inzwischen 400 Außenstellen in ganz Deutschland. Über unser Opfer-Telefon können Betroffene von Straftaten und Gewalt in Kontakt mit lokalen Ansprechpartner*innen treten.
Meine Aufgabe ist die persönliche Unterstützung und Betreuung der Betroffenen. Dazu zählen vor allem die Bereitstellung immaterieller Hilfen wie menschlicher Beistand, die Hilfe im Umgang mit Behörden oder die Begleitung zu Terminen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. Wir sind auch in der Lage finanzielle Unterstützung zu gewährleisten, wenn tatbedingte Notlagen bestehen.
Die Herausforderungen sind ganz unterschiedlich, je nachdem wer vor mir sitzt. Bei den Straftaten ist alles dabei – von der älteren Dame, der auf offener Straße die Handtasche entrissen wird, bis hin zu Mord.
Seit wann engagieren Sie sich beim WEISSEN RING und wie haben Sie davon erfahren?
Ich bin inzwischen seit einem Jahr beim Weißen Ring als Mitarbeiterin tätig. Zum Engagement gebracht hat mich damals eine Infoveranstaltung der Uni Potsdam zum Thema „Ehrenamtliches Engagement neben dem Studium“. Dort haben sich verschiedene lokale Vereine vorgestellt, auch der Weiße Ring Potsdam Stadt.
Die Arbeit des WEISSEN RINGS hatte ich bis dahin bereits einige Jahre aus der Ferne verfolgt und den konkreten Wunsch, mich selbst dort einzubringen. In der Infoveranstaltung wurden Fragen zu den genauen Aufgaben, dem Arbeitsaufwand und der Vereinbarkeit mit dem Studium beantwortet. Danach war der Kontakt hergestellt und die erste Hürde für meinen Einstieg in den Verein genommen.
Wer ist dort sonst noch ehrenamtlich aktiv?
Die Außenstelle Potsdam Stadt zählt derzeit knapp zehn Ehrenamtliche. Dabei sind bei uns Menschen unterschiedlicher Geschlechter und Altersklassen vertreten – Studierende, Personen im Arbeitsleben sowie Pensionierte. Es dürfen sich auch Minderjährige engagieren, allerdings nur im Rahmen der Prävention – für die Opferfallbearbeitung wird, auch im Sinne des Selbstschutzes, Volljährigkeit vorausgesetzt.
Viele unserer Mitarbeiter*innen haben einen inhaltlich verwandten Hintergrund zu unserem Engagement – etwa juristisch, polizeilich oder psychosozial. Das ist allerdings keine Voraussetzung. In erster Linie geht es bei der Opferbetreuung darum, zuzuhören und emotionale Unterstützung für die Betroffenen zu leisten. Alles weitere kann man in der Ausbildung zur*m Opferbetreuer*in lernen.
Als Gruppe Potsdam Stadt setzen wir uns einmal im Monat zusammen und besprechen aktuelle Geschehnisse auf Landes- und Bundesebene, Opferfälle und vergangene wie anstehende Aktionen im Rahmen der Prävention.
„Das Ehrenamt hilft mir dabei, selbstsicher und gut organsiert zu sein.“
Was studieren Sie und in welchem Verhältnis steht Ihr Engagement zu Ihrem Studium?
Ich habe einen ganz anderen fachlichen Hintergrund – was ich sehr schätze: ich studiere Ernährungswissenschaft, das ist ein sehr theoretisches und logisches Studium. Meine Aufgaben beim WEISSEN RING erfordern wiederum meine sozialen Kompetenzen. Die Interaktion mit anderen, das Einnehmen einer Helferposition und auch die Arbeit im Team sehe ich deshalb als wichtigen Ausgleich zu meinem Vollzeitstudium. Das Ehrenamt hilft mir dabei, selbstsicher und gut organsiert zu sein, was sich natürlich positiv auf meinen Studienalltag auswirkt.
Wenn ich mich ebenfalls engagieren möchte, benötige ich dafür Vorkenntnisse oder bestimmte Fähigkeiten?
Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Alles nötige Wissen wird dir in der Ausbildung zur*m Opferbetreuer*in vermittelt. Wichtig wäre, dass du dich in dein Gegenüber hineinversetzen kannst und mit Respekt begegnest – das sollte aber eigentlich generell eine Selbstverständlichkeit sein. Um Betroffenen Hilfe leisten zu können und auch deine eigene psychische Gesundheit nicht zu vernachlässigen, ist es außerdem wichtig, dass es dir möglich ist, den nötigen Abstand zu den oft sehr traumatischen und möglicherweise triggernden Geschichten zu bewahren, die du zu hören bekommst. Das ist sicherlich auch in gewissem Rahmen erlernbar. Wenn du bereits weißt, dass gewaltvolle Themen bei dir Erinnerungen oder Ängste auslösen können oder du sehr schnell emotional involviert bist, solltest du dich womöglich eher gezielt bei der Präventionsarbeit des WEISSEN RINGS engagieren.
Wie werde ich eigentlich auf ein Beratungsgespräch vorbereitet?
Wenn du als Interessent*in zum WEISSEN RING kommst, wirst du zu drei Erstgesprächen mit Betroffenen mitgenommen. So lernst du, wie die Opferarbeit ablaufen kann und ob das etwas für dich ist.
Vielleicht merkst du dabei auch, dass dir die ganze Sache viel näher geht als du dachtest. In diesem Fall könntest du dich, wie gesagt, eher auf die Präventionsarbeit konzentrieren. Solltest du aber weiterhin Interesse an der Opferarbeit haben, wirst du in einem mehrstufigen Seminarprogramm darauf vorbereitet, als Opferhelfer*in professionell zu agieren. In einem zweitägigen Grundseminar wirst du mit den nötigen Formalitäten der Opferarbeit vertraut gemacht. Außerdem werden einige alte Fälle als Beispiele herangezogen und in kleinen Rollenspielen Gesprächsführung und zwischenmenschlicher Umgang geübt.
In dem Seminar triffst du viele Gleichgesinnte und kannst dich über Sorgen und Schwierigkeiten austauschen. Die Seminarleitung besteht aus Mitarbeitenden des Landesbüros und vielen ehrenamtlichen Vortragenden und auch alten Hasen, die ihre Erfahrung mit dir teilen!
Nach diesem Grundseminar zählst du als volle*r Mitarbeiter*in und darfst eigenständig Opferbetreuungen übernehmen. Am Anfang und auch bei jedem späteren Fall, der dich unsicher fühlen lässt, hast du die Möglichkeit von einer*m erfahreneren Mitarbeiter*n begleitet zu werden und ihr zu zweit Hilfe leistet. Mit der Zeit wirst du dich aber auch schnell sicherer fühlen und besser einschätzen können, welche Möglichkeiten der Hilfe im Individualfall möglich sind. Bei Fragen und Problemen kann man sich jederzeit an das Team wenden und Ratschläge einholen.
„Besonders schätze ich die Dankbarkeit, die entgegengebracht wird.“
Was schätzen Sie besonders an Ihrem Engagement beim WEISSEN RING?
Die Dankbarkeit, die von Betroffenen entgegengebracht wird!
Manchmal habe ich am Ende eines Gesprächs das Gefühl, dass ich für die Person gar nicht viel tun konnte. Vielleicht ging es aus juristischer Sicht nicht weiter oder die Voraussetzungen für eine finanzielle Unterstützung waren nicht gegeben. In solchen Momenten hat mir mein Gegenüber aber schon oft gezeigt, dass ein offenes Ohr bereits sehr viel wert ist.
Außerdem gefallen mir die vielen Weiterbildungsmöglichkeiten, die der WEISSE RING kostenlos anbietet. Nach Abschluss des Grund- und Aufbauseminars kann man jedes Jahr an unterschiedlichen Fortbildungen teilnehmen. Es gibt etwa fachbezogene Einheiten zur „Begleitung im Strafverfahren“, „Grundlagen der Viktimologie“ oder auch Fallbesprechungen, aber auch ganz allgemeingültige Seminare wie „Präsentationstraining“ oder „Projektmanagement“.
Haben Sie Tipps für andere Studierende, die sich ehrenamtlich engagieren möchten?
Einfach den Kontakt herstellen!
Vielleicht hast du Sorgen, dass dir ein Ehrenamt neben dem Studium zu viel wird oder du nicht in der Lage bist, wöchentlich feste Zeiten für das Ehrenamt einzuplanen, da dein Alltag durch das Studium jeden Tag anders aussieht? So ging es mir auch! Aber in aller Regel sind ehrenamtliche Vereine dankbar für jede Hilfe, auch wenn das vielleicht nur eine halbe Stunde pro Woche ist. Und du selbst wirst, neben der Tatsache, dass du stolz auf dein Engagement sein kannst, auch unheimlich viel dazulernen, was dir mit Sicherheit für deinen weiteren Karriereweg helfen wird.
Vielen Dank für die ausführlichen Einblicke in die Tätigkeit beim WEISSEN RING e. V., Lara Wiedemann!
Das Interview wurde im Juni 2022 geführt.
WEISSER RING e. V. - hier finden Sie mehr Informationen zum Verein und zum Einstieg in das Ehrenamt.