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Mit Willensstärke und Leidenschaft – Universitätsstipendiatin Alejandra Camelo Cruz entdeckte in Potsdam ihre Begeisterung für die Schnittstelle von Technologie und Sprache

Alejandra Camelo Cruz
Photo : Kevin Ryl
Universitätsstipendiatin Alejandra Camelo Cruz entdeckte in Potsdam ihre Begeisterung für die Schnittstelle von Technologie und Sprache

Mit ihren 28 Jahren hat Alejandra Camelo Cruz schon viel erlebt: Nach dem Schulabschluss wollte die Kolumbianerin Priester werden und lebte drei Jahre im Kloster. Sie trat aus, als sie ihre Leidenschaft für die Linguistik entdeckte, kam für einen Studienaustausch nach Potsdam und entschloss sich hier zu einer Geschlechtsangleichung. Heute studiert die trans* Frau im Master und erhält das Potsdamer Universitätsstipendium. Ihr „Plan A“ für die Zukunft: Sie möchte Künstlicher Intelligenz kleine Sprachen beibringen.

Die zielstrebige Stipendiatin ist heute gleich in zwei Master-Studiengänge eingeschrieben, Computational Science und Cognitive Systems. Auch ihren Bachelor hat sie in Potsdam abgeschlossen. Ihr damaliges Studium in Linguistik begann sie in Bogotá. Während eines Austauschsemesters an der Universität Potsdam 2019 gefiel es ihr am hiesigen Department Linguistik so gut, dass sie entschied zu bleiben: „Dort wird sehr gute Forschung gemacht.“

Indigene Sprachen und Künstliche Intelligenz

Alejandra Camelo Cruz interessiert sich bereits seit dem Bachelor in Kolumbien für indigene Sprachen auf der ganzen Welt, in Potsdam kam sie dann aber auch zur Computerlinguistik. „Beim ‚Natural language processing‘ geht es darum, KI zu befähigen, Sprache zu verarbeiten. Meistens wird das mit den großen Sprachen wie Englisch, Französisch, Spanisch oder Deutsch gemacht. Es gibt aber insgesamt etwa 7.000 Sprachen auf der Welt. Mich interessiert, wie die sogenannten ‚kleinen‘ Sprachen, die nicht viele Menschen beherrschen, gerechnet werden können.“

Camelo Cruz hat eine Teilzeitstelle am Leibniz Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin, wo sie für die computergestützte Vor- und Nachbereitung von Experimenten verantwortlich ist. Dort wird mit 50 Sprachen gearbeitet, unter anderem einer Maya-Sprache. „Hier unterstütze ich die Forschung mithilfe von computationellen Tools. Zum Beispiel müssen grammatikalische Kategorien von Wörtern in einem Satz oft manuell angegeben werden. Ich helfe dabei, diese Aufgabe zu automatisieren.“ In Potsdam sei der Forschungsbereich noch nicht so stark vertreten. „Es gibt nicht viele, die sich sowohl mit computationellen Methoden als auch mit kleinen Sprachen auskennen“, sagt Alejandra Camelo Cruz.

Auf ihrem Bildungsweg begegneten der Stipendiatin viele Herausforderungen. Als sie 2019 entschied, ihren Bachelor in Potsdam fortzusetzen, begann die Pandemie. Damals hatte sie zwar bereits Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1. „Das war aber bei Weitem nicht genug, ich konnte eigentlich nichts verstehen. Es hat ungefähr ein Jahr gedauert, bis   ich auf Universitätsniveau schreiben und sprechen konnte.“ Die Sprachbarriere, kulturelle Unterschiede und die Pandemie machten es doppelt schwer, Freunde zu finden. Auch die Finanzierung ihres Studiums war nicht immer leicht. „Ich komme aus einem armen Land. Mein Vater hat mir in den ersten Monaten ein bisschen Geld gegeben, aber ich musste schnell eine Arbeit finden.“

Als sie in Potsdam ankam, wohnte Alejandra Camelo Cruz zunächst im Studierendenwohnheim. Inzwischen lebt sie in Berlin. „Berlin und Potsdam sind sehr offene Städte“, sagt die Studentin, die hier ihre Geschlechtsangleichung während der Corona-Pandemie hatte. Sie entschloss sich zur Transition, als sie 2019 – noch als Mann – nach Potsdam kam. „Damals dachte ich: Ich will das jetzt, sonst mache ich es nie.“ Ende 2020 begann sie mit der Hormonbehandlung. Der soziale Rückzug während der Pandemie gab ihr die Möglichkeit, erst zu sich selbst zu finden, bevor sie als Frau auf andere Menschen treffen würde. So arbeitete sie zunächst im Homeoffice. „Ich konnte mich ausprobieren und alles anziehen, ohne gleich Feedback zu bekommen. Ich brauchte mich nicht zu zeigen, bis ich mich wohl fühlte.“ Vor einem Jahr ging sie dann zum ersten Mal als Frau an die Uni. „Alle haben positiv reagiert, auch meine Profs. Das hat mich sehr erleichtert. Die Menschen haben mich sehr unterstützt und meinen neuen Namen und meine Pronomen schnell angenommen.“

Für sie war es die richtige Entscheidung, in Deutschland zu transitionieren. Und doch: „Es gibt Menschen, die mich anstarren. Das habe ich aber auch als Mann gespürt, wenn ich mit einem anderen Mann Hand in Hand gegangen bin. Damit muss man leben.“ Alejandra Camelo Cruz ist jedoch besorgt, was das Erstarken der Rechten in Deutschland betrifft. „Man spürt, dass der Hass steigt. Viele Menschen fühlen sich von der Gesellschaft und vielleicht auch von der Politik in ihren Positionen bestärkt.“

Hürden überwinden mit dem Universitätsstipendium

Von ihrer Familie erfährt sie viel Unterstützung, obwohl sie bisher nur drei Mal nach Bogotà reisen konnte. „Meine Familie ist sehr offen und ich bin dankbar dafür. Mein Vater ist zwar konservativ, aber er ist an meiner Transition gewachsen.“ Camelo Cruz war in Kolumbien auf einer katholischen Schule und entschloss sich nach dem Abschluss, ins Kloster zu gehen. Drei Jahre lebte sie bei den Dominikanern und wollte Priester werden. „Dafür muss man Philosophie oder Theologie studieren. Ich wollte außerdem Latein und Altgriechisch lernen, um die klassischen philosophischen Texte lesen zu können.“ Die Grammatik der alten Sprachen begeisterte sie – das führte sie zur Linguistik. Für das Studium trat sie aus dem Kloster aus. Ihre religiöse Erziehung und die Zeit im Kloster haben sie jedoch stark geprägt. Obwohl sie die Kirche heute kritischer sieht, besucht sie gelegentlich die Katholische Studierendengemeinde (KSG) in Berlin. „Dort gibt es einen wunderbaren Priester. In der KSG werden auch queere Messen gefeiert.“

Seit einem Jahr erhält Alejandra Camelo Cruz nun das Potsdamer Universitätsstipendium. „Das ist wirklich eine große Erleichterung für jemanden wie mich. So muss ich mir weniger Gedanken um die Finanzierung machen und kann mich besser aufs Studium fokussieren.“ Sie hat kürzlich eine Verlängerung beantragt und wird voraussichtlich ein weiteres Jahr unterstützt werden. Nach dem Studienabschluss möchte die Linguistin dann weiter an der Schnittstelle von Technologie und Sprache arbeiten. Ob in Forschung oder Industrie, das wird sich noch zeigen. Eines scheint festzustehen: Ihr starker Wille wird sie ans Ziel führen.


Das Universitätsstipendium wird im Rahmen des Deutschlandstipendiums des Bundesforschungsministeriums und mit Spenden finanziert.
Weitere Informationen:
https://www.uni-potsdam.de/de/universitaetsstipendium/index


Mit Transition wird der Übergang von einem Geschlecht in ein anderes bezeichnet. Sie kann die Verwendung eines neuen Namens, die Veränderung des Kleidungsstils, die Anpassung des Geschlechtseintrags und medizinische Behandlungen umfassen.


Alejandra Camelo Cruz studiert Computational Science und Cognitive Systems an der Universität Potsdam und erhält das Universitätsstipendium.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2024 „Europa“ (PDF).