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„Der Lernzuwachs ist viel größer“ – E-Learning Award-Preisträgerin Prof. Nina Brendel über eine gelungene Verbindung von digital und analog

Eine Tastatur, auf der zwei Tasten rot gefärbt sind: Eine Taste für "Virtual", die andere für "Classroom".
Einige Personen bei einer Preisverleihung
Screenshot aus der ausgezeichneten Vorlesung von Prof. Dr. Nina Brendel.
Photo : AdobeStock/kebox
Gute Lehre sollte das Beste aus digitalem und analogem Lernen verbinden.
Photo : Kevin Ryl
Bei der Preisverleihung des E-Learning-Preises der Universität Potsdam (v.l.n.r.): Dr. Britta van Kempen, David Bender, Dr. Tobias Möbert, Ann-Marie Gursch, Prof. Dr. Ulrike Lucke, Prof. Dr. Nina Brendel
Image : Prof. Dr. Nina Brendel
Screenshot aus der ausgezeichneten Vorlesung von Prof. Dr. Nina Brendel.

Online-Banking, Meetings im Homeoffice per VPN-Verbindung, Online-Shopping und natürlich Streaming und Co.: Unser Leben ist längst digital, also sollten Lehren und Lernen es auch sein. Aber wie sieht gute digitale Lehre eigentlich aus und was unterscheidet sie von klassischen Präsenzformaten? Matthias Zimmermann sprach darüber mit Prof. Dr. Nina Brendel. Die Professorin für Geographische Bildung an der Universität Potsdam erhielt 2023 für ihre „Vorlesung im Zeichen einer neuen Lern- und Prüfungskultur“ den E-Learning Award.

Was macht gute digitale Lehre aus Ihrer Sicht aus?

Gute digitale Lehre trägt dem Umstand Rechnung, dass wir im Zeitalter der Digitalität anders kommunizieren, handeln und lernen. Sie bildet letztlich veränderte Praktiken in der Gesellschaft ab und passt Lehre dahingehend an. Wie jede Methode, jedes Medium und jeder didaktische Zugriff ist auch digitale Lehre dann „gut“, wenn sie Lernen fördert, indem sie z.B. die spezifischen Umstände der Lerngruppe (besser) berücksichtigt, individuelle Lernwege eröffnet oder neue Arten der Kommunikation oder der Interaktion mit dem Gegenstand oder der Lerngruppe ermöglicht. Diese Auffassung guter digitaler Lehre geht also über den Einsatz z.B. einer hilfreichen App in der Vorlesung hinaus, sie nimmt vielmehr die Kultur des Lernens und Lehrens in den Blick.

Was kann sie leisten, was Präsenzlehre nicht kann?

Ist digitale Lehre passgenau auf die Lerngruppe, den Lerninhalt, die Lehrperson und die Lernsituation zugeschnitten, vermag sie vielfältigere und individuellere Lernwege zu ermöglichen als Präsenzlehre.
Auf diese Weise finden mehr Lernende Zugang zu den Inhalten der Veranstaltung und erreichen so eher das Kompetenzziel. Nehmen wir als Beispiel eine hybride Vorlesung: Studierende, die den face-to-face-Austausch benötigen, diskutieren im Hörsaal mit der Lehrperson. Andere Studierende hören die Vorlesung über Zoom, um direkt im Anschluss an einem der anderen Campi eine Veranstaltung wahrnehmen zu können, die sie sonst wegen der Pendelzeiten nicht hätten belegen können. Und zur Klausurvorbereitung können alle die aufgezeichneten Vorlesungen erneut ansehen und über Moodle-Foren Rückfragen stellen und in Diskussionen mit der gesamten Lerngruppe eintreten.
Aber auch hier geht es um mehr als um ubiquitäres Lernen, das zu anderen Orten und Zeiten möglich ist: Digitale Lehre schafft neue Möglichkeiten der Binnendifferenzierung, indem verschiedene Lernwege zur Verfügung gestellt werden, aus denen die Lernenden den für sie passenden auswählen können (z. B. wenn über differenzierte Lernpfade Fachtexte, Vorträge, unterrichtspraktische Fallbeispiele oder Zoom-Gespräche mit Expert:innen angeboten werden). Relevant ist für mich, dass möglichst viele Studierende hohe Kompetenzzuwächse erreichen – und zwar auf dem für sie persönlich besten Lernweg.

Und umgekehrt?

Präsenzlehre und digitale Lehre sind für mich keine Gegensätze, spannend finde ich vor allem Mischformen aus beiden Ansätzen. Sich gemeinsam an einem Ort zu befinden und dort zu arbeiten, ist in vielen Seminarkontexten unerlässlich, denken wir z. B. an Exkursionen und Feldarbeiten. Aber auch fachlich herausfordernde Diskussionen gestalten sich lebendiger, wenn man gemeinsam im Seminarraum diskutiert. Über Zoom nehme ich mehr Zurückhaltung und Distanz wahr. Besonders wichtig ist Präsenz für mich aber in Projektseminaren, in denen Studierende in ihren Arbeitsgruppen z. B. Escape Game Boxen für den Geographieunterricht erstellen und im Zuge der intensiven Entwicklungsarbeit in eine tiefe fachliche Reflexion einsteigen. Und auch Methodiken wie Mysterys, Gruppenpuzzle oder Stationenlernen lassen sich in Zoom-Räumen nur schwer rekonstruieren.

Sie haben für Ihre „Vorlesung im Zeichen einer neuen Lern- und Prüfungskultur“ den E-Learning Award 2023 der Universität Potsdam erhalten. Was zeichnet sie aus?

Eine Vorlesung ist traditionell ein sehr frontales, lehrkraftzentriertes Format. Die Entscheidungsmacht liegt fast ausschließlich bei der Lehrperson. Das empfinde ich als nicht mehr zeitgemäß und wenig lernförderlich und habe daher Wege gesucht, dieses Lehrformat im Sinne einer Neuen Lern- und Prüfungskultur umzugestalten. Dazu gehört z. B. dass Studierende die Veranstaltungen mitgestalten, sei es durch die Auswahl der Inhalte als auch durch ihre eigenen Fallbeispiele und Unterrichtsansätze. Jede Sitzung startet mit einer Aufgabe, meist einem Fallbeispiel, das Diskussionen anregt und wir stellen gemeinsam Hypothesen auf. Dann folgt ein ca. 45-minütiger (interaktiver) Input zu Theorien, Konzepten und Forschungsstand des Themas und im letzten Drittel der Vorlesungssitzung sind die Studierenden aufgefordert, das soeben Gehörte direkt auf unterrichtpraktische Situationen anzuwenden. Die Aufgabe ist ergebnisoffen und handlungsorientiert – und für mich ein wertvolles diagnostisches Instrument.

Die Partizipation erstreckt sich ebenfalls auf die Klausur: In den letzten Sitzungen feedbacken die Studierenden, wie sie mit den verschiedenen Themen zurechtgekommen sind und bestimmen die Inhalte der Klausur mit, anhand derer ihre Kompetenzen geprüft werden sollen. In der Open-Book-Klausur dürfen alle Vorlesungsunterlagen verwendet werden, niemand soll etwas auswendig lernen - vielmehr sollen sie durch die Vorlesung befähigt werden, geographiedidaktisch zu denken und handeln. Zudem gibt es in der Klausur Wahlmöglichkeiten und mehr als genügend Bearbeitungszeit. Denn mein Ziel ist es, dass Studierende möglichst ohne Angst, ohne Stress und ohne Zeitnot arbeiten, um möglichst gut zeigen zu können, was sie können.

Was haben Sie sich für kommende Formate vorgenommen?

Das Schöne an dieser Vorlesung ist, dass sie jedes Mal anders ablaufen wird, da die Studierenden mitgestalten können. Es gehört also zum Konzept, gut zu diagnostizieren und flexibel und agil auf die sich zeigenden Bedarfe und Umstände zu reagieren. Das ist natürlich mehr Arbeit, als die Vorlesung jedes Semester fertig aus dem Ordner zu ziehen. Aber der Lernzuwachs ist aus meiner Sicht viel größer und mir macht es großen Spaß, mit jeder Lerngruppe gemeinsam den für sie bestmöglichen Lernweg zu finden. Darüber hinaus möchte ich in Zukunft noch stärker Virtual Reality einbinden. Im Rahmen unseres VR/AR-Makerspaces VReiraum ist das im vergangenen Jahr schon gut gelungen. In den nächsten Jahren möchte ich mitwirken, eine Infrastruktur aufzubauen, um virtuelle Erlebnisse noch stärker in die Lehre zu verankern und damit auch fächerübergreifendes Lernen zu stärken.

Meldung zum E-Learning Award 2023: https://www.uni-potsdam.de/de/nachrichten/detail/2023-11-27-exzellente-digitale-lehre-e-learning-award-2023-an-der-universitaet-potsdam-verliehen