Skip to main content

„Wir überbrücken eine Lücke, die sich im Labor bisher nicht schließen lässt.“ – Zoran Nikoloski über die Welt der Bioinformatik

Prof. Zoran Nikolski
Photo : Thomas Roese
Prof. Zoran Nikolski

Biologie ist die wissenschaftliche Erforschung des Lebens, Informatik die Kunst automatischer Informationsverarbeitung. Geht das zusammen? Unbedingt! Spätestens seit der ersten weitgehenden Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahr 2003 ist die Bioinformatik ins Rampenlicht getreten. Hatte sie doch wesentlichen Anteil an der „Entschlüsselung“ der menschlichen DNA. Als Wissenschaft an der Schnittstelle zwischen Biologie und Informatik verbindet sie Prinzipien und technologische Möglichkeiten beider Welten, um aktuellen Fragen auf den Grund zu gehen. Wie funktioniert der hochkomplexe Stoffwechsel bei Pflanzen, Tieren oder Menschen? Wie lassen sich Nutzpflanzen optimieren, etwa hitzeresistenter machen? Und lässt sich unser Wissen über den Stoffwechsel von Bakterien so nutzen, dass wir sie in winzige biologische Fabriken verwandeln können? Im Gespräch mit Matthias Zimmermann erzählt Bioinformatiker Prof. Dr. Zoran Nikoloski von alten und neuen wissenschaftlichen Fragen, komplexen Netzwerken und ihrer Modellierung sowie praxistauglichen Forschungsergebnissen.

Sie sind Professor der „Bioinformatik“. Womit befassen Sie sich?

Die klassische Informatik versucht, allgemeine Probleme in der Gesellschaft mithilfe von Computern zu lösen. Dieses Prinzip auf die Biologie übertragend, würde ich sagen, dass wir uns mit biologischen Problemen beschäftigen, die wir mithilfe von Computern angehen. Und davon gibt es viele: etwa den Aufbau und die Funktionsweise von Protein-Komplexen zu verstehen oder die Prozesse in metabolischen Netzwerken zu modellieren. Tatsächlich bietet das Feld endlose Möglichkeiten – mit denen es immer weitergewachsen ist. Die klassische Bioinformatik begann mit der rückblickend einfachen Aufgabe, den Code der DNA zu entschlüsseln. Ausgangspunkt war im Grunde das Vorhaben, Gene in DNA-Strängen zu identifizieren, was nichts anderes ist als eine Sequenz von Buchstaben. Das Aufkommen der sogenannten omics-Technologien und anderer technischer Möglichkeiten, Organismen auf molekularer Ebene zu analysieren, verschaffte uns dann eine ungeheure Datenflut, Terabytes von Daten zu verschiedensten Ebenen der Organismen! Daraus ergab sich die Frage, wie wir diese Daten sinnvoll nutzen könnten. Etwa, um zu verstehen, welche Mechanismen den Prozessen oder Netzwerken zugrunde liegen. Und, daran anschließend: Wie können die Daten uns dabei helfen, Dinge zu erkennen, die selbst nicht gemessen wurden oder gar nicht messbar sind? Letzteres beschreibt gewissermaßen die zweite Welle der Bioinformatik, kombiniert mit dem Paradigma der Systembiologie.

Kommen Menschen, die Bioinformatik betreiben, eher aus der Informatik oder der Biologie?

Jene, die vor 40 Jahren mit der Bioinformatik anfingen, stammten explizit aus der Informatik, weil die gestellten Fragen sehr von der Informatik angetrieben waren. Aber je näher die Probleme an die Biologie heranrückten, desto mehr Biologen kamen dazu. Im Moment hält es sich die Waage. Aber ich gehe davon aus, dass mit der Weiterentwicklung der KI-Tools, die helfen, technische Barrieren abzubauen, immer mehr reine Biologen in die Bioinformatik wechseln werden.

Was ist Ihre eigene fachliche Heimat?

Die Informatik und angewandte Mathematik, speziell die Graphentheorie und Netzwerktheorie. Ich kam durch mein Interesse an der Ausbreitung von Krankheiten über Netzwerke in die Biologie. Ich habe untersucht, wie die Strukturen eines Netzwerks das Ausbreiten von Agenten ermöglichen oder verhindern, beschleunigen oder verlangsamen. Dabei ist egal, was der Agent eigentlich ist: ein Krankheitserreger oder ein Botenstoff, ein Neurotransmitter oder ein Tier. Mir wurde klar, dass die Erforschung von Netzwerken für viele Wissenschaftsbereiche wichtig ist und ihre Ergebnisse breit angewendet werden können. Seitdem widme ich mich u.a. der Analyse von zellularen Netzwerken und der Frage, wie sie miteinander interagieren.

Die Biologie profitiert hier also von den Mitteln der Informatik. Wie sieht es andersherum aus?

Vor etwa 20 Jahren gab es einen großen Schwenk hin zum biologisch inspirierten Design, das biologische Prinzipien nachahmen oder übertragen möchte, um die Informatik zu verbessern. Ein typisches Beispiel wären Algorithmen, die auf dem Konzept von Mutation und Evolution basieren. Aktuell sehen wir, dass Erkenntnisse, die wir über Netzwerke gewonnen haben, insbesondere aus biologischen Netzwerken, auf den synthetischen Bereich übertragen werden. In der synthetischen Biologie werden tatsächlich neue Systeme entwickelt, die auf grundlegenden biologischen Prinzipien basieren. Wie eine Brücke in die andere Richtung.

Ihre Forschung bewegt sich zwischen Computational Biology, Bioinformatik und Systembiologie. Können Sie die Unterschiede erklären?

In der Computational Biology versuchen wir, biologische Systeme mechanistisch zu beschreiben und zu simulieren, um bestimmte Phänotypen zu replizieren und vorherzusagen. In der Bioinformatik geht es darum, Genotypen zu Phänotypen in Beziehung zu setzen, zu verstehen, wie DNA-Modifikationen bestimmte Merkmale beeinflussen, wie Proteine strukturiert sind oder funktionieren. Und in der Systembiologie betrachten wir den Organismus als eine Kombination von vielen verschiedenen Systemen, zum Beispiel Genregulationsnetzwerke, Protein-Protein-Interaktionsnetzwerke und Stoffwechselnetzwerke. Wir versuchen zu verstehen, wie diese Netzwerke bestimmte Eigenschaften, Prozesse und Dynamiken des Systems beeinflussen – vor allem solche, die wir nicht beobachten und messen können. Man könnte also sagen, dass die drei Bereiche aufeinander aufbauen: angefangen bei der mechanistischen Simulation über das Kartieren von Genotypen auf Phänotypen bis hin zum Verständnis davon, wie diese verschiedenen Systeme zusammenwirken und höhere Teile des Systems generieren, die nicht unbedingt beobachtet wurden.

Sie fokussieren sich in Ihrer Arbeit auf sogenannte metabolische Netzwerke. Wie lassen sich diese hochkomplexen Systeme überhaupt erforschen?

Jede Forschung zu metabolischen Netzwerken beginnt mit dem Genom, also dem sequenzierten Erbgut eines Organismus. Dank 100 Jahren Biochemie sind für einige Pflanzen und Mikroorganismen die Gene und ihr Wirken relativ gut identifiziert. Wir wissen also, was diese Gene bewirken, welche Art von Proteinen sie bilden und welche Reaktionen diese Proteine katalysieren. Dieses Wissen, der gesamte Katalog der bisher bekannten enzymatischen Reaktionen, ist in großen biochemischen Datenbanken verfügbar. Für unsere Forschung ziehen wir diese Informationen aus den Datenbanken und kombinieren sie zu Netzwerken – und zwar nicht als hübsche Zeichnung an einer Tafel, sondern in Form einer Matrix. Mit dieser Matrix, einer Repräsentation der Netzwerke in unserem untersuchten Organismus, können wir berechnen, was in diesem passiert, und Vorhersagen treffen. Denn wir können Daten, die zu einzelnen Prozessen gemessen wurden, miteinander verknüpfen und simulieren, was nicht messbar ist. Auf diese Weise überbrücken wir im Modell eine Lücke – zwischen Struktur und Funktion –, die sich im Labor bislang nicht schließen lässt.

Dadurch werden auch Vorhersagen möglich über komplexere Merkmalen wie Wachstum, Ertrag, Krankheitsverlauf oder Reaktionen auf Veränderungen in der Umwelt. Langfristig ist natürlich das Ziel zu wissen, wo und wie man in das Stoffwechselnetz eingreifen muss, um einen Organismus mit der gewünschten Eigenschaft zu erhalten.

Mit welchen Organismen arbeiten Sie?

Wir arbeiten mit Mikroorganismen wie Hefe, Modellalgen und Pflanzen wie Mais, Reis und Tomaten. Wir forschen aber auch zum menschlichen Stoffwechsel und verschiedenen Krebszelltypen.

Warum so viele verschiedene?

Durch die Arbeit mit sehr unterschiedlichen Organismen gelingt es uns, universelle Gestaltungsprinzipien zu identifizieren, die dann in der synthetischen Biologie breit anwendbar sind. Die Stoffwechselnetz- werke funktionieren über die verschiedensten Organismen hinweg ähnlich, das zeigen unsere Modelle. Entsprechend können unsere Ansätze, Genotypen zu entwickeln, die bestimmte Aufgaben besser erfüllen, letztlich sehr vielseitig eingesetzt werden.

Würden Sie Ihre Forschung eher als grundlagen- oder anwendungsorientiert beschreiben?

Das variiert je nach Projekt. Manches, wie die Analyse und Beschreibung von Stoffwechselnetzwerken, erfordert Jahre theoretischer Arbeit, bevor konkrete Anwendungen auch nur denkbar sind. Forschungen zur Entwicklung von Zellfabriken können aber auch sofortige praktische Anwendungen haben, mit Ergebnissen, die innerhalb eines Jahres industriell nutzbar sind. Theoretische Forschung zur Robustheit und Plastizität von Organismen ist möglicherweise nicht direkt übertragbar, bringt jedoch Wissen, dessen Wert sich erst später erweist.

Wie das?

Ich denke, die interessanteste Frage, der wir bisher nachgegangen sind, ist beispielsweise, wie wir das Wissen über die natürliche Variabilität des Stoffwechsels nutzen können, um das Verhalten von Genotypen und Populationen vorherzusagen. Warum ist das wichtig? Weil ich, wenn ich Modelle für die natürliche Anpassungsfähigkeit von Organismen habe, die in der Natur vorhandenen Designs nutzen kann, um einen neuen Genotyp zu schaffen, der bei einer bestimmten Aufgabe besser abschneidet. Der etwa eine effizientere Photosynthese hat. Wir haben deshalb die natürliche Variabilität einer typischen C3-Pflanze wie Gerste mit einer photosynthetisch effizienteren C4-Pflanze wie Mais verglichen. Für beide haben wir umfangreiche Modelle zu ihrer Photosynthese-Tätigkeit erstellt. Das ermöglichte uns, die tatsächlichen Unterschiede in der DNA der beiden Pflanzen zu identifizieren, die dafür verantwortlich sind, dass ihre Photosynthese unterschiedlich effizient ist. Dieses Wissen kann nun auf diverse Weise genutzt werden; z.B. kann man im Labor die Eigenschaften des verantwortlichen Enzyms verbessern, weil man weiß, was man ändern muss. Tatsächlich haben wir auf Basis dieser Grundlagenforschung erst im Dezember 2023 ein Folgeprojekt zusammen mit der Uni Cambridge gestartet, in dem wir diese Untersuchung mit noch mehr Organismen wiederholen und erste Schritte im Bio-Engineering gehen werden.

Womit beschäftigen Sie sich aktuell noch?

Das Projekt „RESIST“ etwa bringt Partner aus Südafrika, Israel, Irland, Bulgarien und Deutschland zusammen. Inhaltlich untersuchen wir sogenannte Auferstehungspflanzen und ihre einzigartigen Fähigkeiten, Dürren zu überstehen und auch nach Monaten oder Jahren ohne jedes Wasser noch lebensfähig zu sein. Wenn wir herausfinden, wie diese Variabilität ihrer Stoffwechselnetzwerke zustande kommt, können wir sie auf andere Pflanzen übertragen und so dürreresistente Kulturen entwickeln.

Ein sehr anwendungsorientiertes Projekt…

Genau wie unser erst am 1. Januar 2024 gestartetes Vorhaben „Alphafuel“, in dem es darum geht, Flugzeugtreibstoff aus Cyanobakterien zu gewinnen. Im ersten Jahr wird meine Gruppe Vorläufersubstanzen für Düsentreibstoff entwerfen, die dann im zweiten Jahr entwickelt und getestet werden. Im dritten Jahr soll das Ganze dann für die industrielle Anwendung optimiert werden. Hier ist der Weg aus dem Labor in die Praxis sehr kurz.

Omics-Technologien

omics-Technologien sind abgeleitet vom Suffixomik, mit dem Teilgebiete der modernen Biologie markiert werden, die sich mit der Analyse von Gesamtheiten ähnlicher Einzelelemente beschäftigen. Dazu zählen etwa die Genomik, die sich den Genen eines Organismus widmet, die Proteomik, die Proteine erforscht, sowie die Metabolomik, die Stoffwechselnetzwerke untersucht.

Metabolische Netzwerke

Stoffwechsel oder Metabolismus beschreibt alle chemischen Umwandlungen von Stoffen im Körper von Lebewesen in Zwischenprodukte (Metaboliten) und Endprodukte. Da der Stoffwechsel ein komplexes Netzwerk einzelner Reaktionen ist, die einander bedingen und beeinflussen.

C3- und C4 –Pflanzen

Bei der Photosynthese von C3-Pflanzen wird Kohlenstoffdioxid in chemischen Komponenten mit drei Kohlenstoffatomen gebunden. Bei heißem oder trockenem Wetter verringert sich ihre Photosyntheseleistung, da sich die Spaltöffnungen schließen, um einer zu hohen Verdunstung von Wasser vorzubeugen. Bei gemäßigten Lichtverhältnissen und Temperaturen von 15 bis 25 Grad Celsius sind sie am effizientesten. C4-Pflanzen hingegen erreichen ihre optimale Photosystheseleistung bei 30 bis 47 Grad Celsius, sind resistenter gegen Hitze und Dürre. C3-Nutzpflanzen sind beispielsweise Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Kartoffel, Sojabohne, Hanf oder Reis sowie weltweit alle Baumarten, C4-Pflanzen sind etwa Mais, Zuckerrohr oder Hirse.

Der Forscher

Prof. Dr. Zoran Nikolski ist Leiter der Forschungsgruppe „Mathematical Modelling and Systems Biology“ am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie und seit 2017 Professor für Bioinformatik an der Universität Potsdam.
E-Mail: znikouni-potsdamde

Die Projekte

PlantaSYST
Das übergeordnete Ziel von „PlantaSYST“ ist die Einrichtung eines Zentrums für Pflanzensystembiologie und Biotechnologie (CPSBB) in Plovdiv, Bulgarien.
Beteiligt: Center of Plant Systems Biology and Biotechnology (CPSBB); Maritsa Vegetable Crops Research Institute (MVCRI); Institute of Microbiology, Laboratory of Metabolomics, alle Bulgarien; Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie; Universität Potsdam
Förderung: Europäische Union / HORIZON 2020 Laufzeit: 2017–2025

RESIST
Das Hauptziel von „RESIST“ besteht darin, die genetischen Determinanten der Austrocknungstoleranz bei Auferstehungspflanzen zu entschlüsseln und Ähnlichkeiten und Unterschiede zu Modell- und Nutzpflanzenarten zu ermitteln. Das Wissen soll dann auf wirtschaftlich wichtige Arten übertragen werden.
Beteiligt: Center of Plant Systems Biology and Biotechnology (CPSBB), Bulgarien (Koordination); Max- Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie; Universität Potsdam; Ben-Gurion University of the Negev (BGU), Israel; BioAtlantis Ltd., Irland; University of Cape Town (UCT), Südafrika.
Förderung: Europäische Union / HORIZON 2020 Laufzeit: 2020–2024

„Alphafuel“
Förderung: Europäische Union / Horizon Europe Laufzeit: 2024–2027

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2024 „Bildung:digital“ (PDF).