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„Für Historiker ist es enorm wichtig, solche Quellen einmal vor sich zu sehen“ – Warum Potsdamer Studierende eine römische Villa in Spanien ausgraben

Gruppenfoto
Auf der Ausgrabung
Museum Via del Pòrtic, Sagunt
Plaza de la Virgen, Valencia
Photo : Denise Simonetti
Photo : Filippo Carlà-Uhink
Auf der Ausgrabung
Photo : Tom Dera
Museum Via del Pòrtic, Sagunt
Photo : Lea Fürst
Plaza de la Virgen, Valencia

Studierende, die an der Universität Potsdam Geschichte oder Klassische Philologie studieren, kennen archäologische Grabungen normalerweise aus Büchern, Filmen oder Präsentationen. Filippo Carlà-Uhink wollte das ändern. Der Professor für Geschichte des Altertums organisierte im Rahmen der Hochschulallianz EDUC einen Austausch mit der spanischen Universität Jaume I, der eine Gruppe Studierender im Oktober 2023 nach Castellón de la Plana führte – und direkt auf eine Grabungsstätte, wo sie sich mit Eifer die Hände schmutzig machten. Matthias Zimmermann sprach mit Carlà-Uhink, seinem Mitarbeiter Dr. Eike Faber und dem Studenten Luca Alacán Friedrich, der mit nach Spanien reiste – über die Reise, wichtige Erfahrungen und das Besondere an EDUC.

Im Oktober reiste eine Gruppe Potsdamer Studierender unter Ihrer Leitung zu einer Exkursion nach Spanien. Was waren Anlass und Ziel der Reise?

Prof. Dr. Filippo Carlà-Uhink: Die Reise war Teil eines Austauschprogramms innerhalb der Hochschulallianz EDUC, in der neben der Universität Potsdam sieben Unis aus sechs Ländern vernetzt sind, darunter die Universität Jaume I im spanischen Castellón de la Plana. Unsere Studierenden konnten dort einige sehr spannende Tagesexkursionen – nach Sagunt und Valencia – unternehmen, vor allem aber an einer internationalen archäologischen Schulgrabung in Burriana teilnehmen. Studierenden, die bisher bei keiner archäologischen Grabung dabei gewesen waren, boten sie enorm wichtige Erfahrungen.

Luca Alacan Friedrich: Die Grabungen waren ein echtes Highlight! Hands on History gewissermaßen. Wir wurden fachlich angeleitet und unterstützt von Akteuren des lokalen archäologischen Museums und durften eine echte archäologische Grabung vorantreiben – obwohl wir Laien sind.

Carlà-Uhink: Die Anlage, auf der die Schulungsgrabung eigentlich stattfinden sollte, eine villa maritima, die seit 2008 von Archäologen bearbeitet wird, war aufgrund anhaltender Regenfälle nicht zugänglich. Aber dank des Engagements des Archäologischen Museums von Burriana und der regionalen Landesarchäologie konnte die Gruppe auf eine andere Ausgrabungsstätte ausweichen. Bei einem Straßenbauprojekt waren Nekropolen, eine Straße und ein Gebäude gefunden wurden, bei deren Freilegung die Studierenden mitwirken konnten.

Können Sie uns noch einmal virtuell mitnehmen auf die Reise?

Dr. Eike Faber: Die Reise dauerte vom 1. bis 7. Oktober, davon vier Tage Arbeit auf der Grabung und im Museum. Ein halber Tag in der Hitze, auf allen Vieren und mit surrenden Mücken ringsumher. Dieser Praxisschock war immens – und wichtig. Zu erkennen, wie schnell man als Laie etwas kaputt machen kann, zu lernen, wie man es nicht tut und stattdessen etwas birgt, mit dem die Archäolog*innen dann arbeiten können. Danach das Gefundene im archäologischen Labor zu bearbeiten, einzuordnen. Die Studierenden haben in den vier Tagen fast alles gemacht, was Archäologen über ein ganzes Jahr hinweg machen.

Alacán Friedrich: Alle Schritte archäologischer Arbeit mitzuerleben war toll! Anfangs wurden alle einem abgesteckten Feld zugewiesen, vielleicht fünf Quadratmeter, und erhielten eine Einweisung, wie man vorgeht: Schutt beiseite räumen, mögliche Funde vorsichtig freilegen … Die Freude, wenn man ein Stück Urne, einen Knochen oder Zahn findet. Artefakte, die für uns schon museumsreif wirken, an denen aber dann noch so viel gearbeitet wird. Dabei kommt man der Geschichte ganz nah!

Faber: Der zweite Teil ist enorm wichtig! Es war toll zu sehen, wie es bei den Studierenden klick macht. Man kann ihnen wochenlang davon erzählen, aber wenn sie selbst mit dem Spatel den Dreck abtragen und anschließend die Dokumentation erstellen, damit andere damit weiterarbeiten können – diese Praxis ist so wichtig. Das kann keine Checkliste ersetzen.

Carlà-Uhink: Beispielsweise haben die Studierenden mit Aschenurnen gearbeitet, die Überreste menschlicher Körper enthalten, die vor mehreren Tausend Jahren gestorben sind. Diese mit den eigenen Händen auszugraben und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln… Für Historiker*innen ist es enorm wichtig, solche Quellen einmal vor sich zu sehen. Die Universität Potsdam hat keine Archäologie und doch können unsere Studierenden dank der Kooperation solche Erfahrungen machen!

Alacán Friedrich: Ich studiere Chemie und Geschichte auf Lehramt und bin mir sicher, dass dieses Erlebnis mich enorm weiterbringt. Schade, dass das nicht allen zur Verfügung steht.

Carlà-Uhink: Ich denke, das hilft tatsächlich auch künftigen Geschichtslehrkräfte sehr. Und ich meine nicht nur, weil sie wissen, wie Archäologie funktioniert, sondern auch ganz konkret und sogar regional. Beispielsweise könnten Geschichtslehrer*innen Landesbodendenkmale in Brandenburg als Lernorte entdecken und ihren Schülerinnen und Schülern vorführen.

Dr. Eike Faber: Nicht zuletzt war die Schulgrabung eine tatsächlich internationale Veranstaltung: Neben spanischen und deutschen waren auch französische und italienische Studierende dabei.

Alacán Friedrich: Wir hatten ausgiebig Gelegenheit für Austausch und zum Netzwerken. Weil wir in den Tagen so lange und eng zusammen waren, war das in gewisser Weise viel intensiver, als es längere Auslandsaufenthalte sein können, bei denen man allein, allenfalls gemeinsam mit den anderen „Internationals“, an einer sonst fremden Uni studiert. Und wer weiß: Vielleicht hat der eine oder die andere durch die Gespräche schon eine Idee, wohin es für ein Erasmus-Semester gehen kann.

Reisetagebuch – wo und wie?

Alacán Friedrich: Es erschien uns sinnvoll, das zu dokumentieren – für uns, aber auch andere, die sich dafür interessieren. Ich finde, es ist ein schönes und visuelles Tagebuch geworden. Und es hat uns gezeigt, dass ziemlich viele Menschen dazu beigetragen haben, uns diese Exkursion zu ermöglichen.

Im November gab es dann einen Gegenbesuch spanischer Studierender in Potsdam …

Faber: Genau. Das Programm ist als Austausch angelegt. Einige Wochen nach unserer Reise nach Castellón kam eine Gruppe von der Universität Jaume I nach Potsdam. Für unsere Studierenden war es gewissermaßen Teil 2 der Reise, nur, dass sie diesmal Gastgebende waren und das Programm organisieren sollten. Das bestand zum einen aus unserer Lehre und Forschung, zum anderen aus der Berlin-Brandenburgischen Forschungslandschaft, die ja sehr umfangreich ist. Es gab als Ausflüge nach Brandenburg ins Archäologische Landesmuseum und nach Berlin etwa zur Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, aber auch direkt „vor unserer Tür“ in den Park Sanssouci, wo wir am Beispiel der Statuen mit antiken Motiven Schwerpunkte der Alten Geschichte an der Uni Potsdam vorführen und Aspekte der Rezeptionsgeschichte erläutern konnten.

Alacán Friedrich: Wir, die Studierenden, haben die Führungen selbst vorbereitet und geführt. Das war auch für uns aufschlussreich und eine weitere wichtige Erfahrung. Gezeigt haben wir unseren spanischen Gästen aber auch den Weihnachtsmarkt – beim ersten Schnee. Es gab viele leuchtende Augen!

Das Austauschprogramm wird von EDUC gefördert. Wie passt es in die Arbeit der Allianz?

Carlà-Uhink: Bei EDUC sind wir von Beginn an dabei, arbeiten eng mit Partnern in Pécs (Ungarn) und Cagliari (Italien) zusammen. Nach Italien haben wir beispielsweise auch schon Exkursionen organisiert (https://www.uni-potsdam.de/de/up-entdecken/upaktuell/up-unterwegs-reisetagebuecher/sardinien-2022). Es war für uns ein absoluter Glücksfall, als 2022 die Universität Jaume I zu EDUC hinzukam: Mein Vorgänger als Professor für Alte Geschichte, Prof. Dr. Dr. h. c. Pedro Barceló, war vor langer Zeit genau von der Region nach Deutschland gekommen und hat die Beziehungen zu seiner Heimatregion und den dortigen Institutionen, inklusive der Universität, über Jahre hinweg gepflegt – daran konnten wir anknüpfen. EDUC lebt von der Idee, studentische Mobilität innerhalb Europas zu fördern. Es ermöglicht maßgeschneiderte Formen, mal kürzer, mal digital, aber hoffentlich künftig auch ein ganzes gemeinsam organisiertes Studium.

Außerdem ist ein solches Programm dank EDUC nicht einmalig – und hat damit einen nachhaltigen Effekt. Die Studierenden sehen sich wieder, knüpfen längerfristige Bande. Und vielleicht entscheiden sie sich danach für einen Auslandsaufenthalt (etwa über Erasmus+) an unserer Partneruniversität in Spanien, oder für eine Abschlussarbeit, deren Zweitbetreuung durch die Kolleg*innen der Universität Jaume I angeboten wird. Ich finde das Austauschprogramm wichtig und bin sehr glücklich, dass ich als Dozent daran teilnehmen konnte. Die Flexibilität und die Vielfalt der Formen zur Vernetzung, die EDUC bietet, sind großartig – im Jahr 2025 organisieren wir z.B. auch ein „Blended Intensive Program“ mit den Universitäten Cagliari und Paris Nanterre.

Der Austausch findet also auch 2024 wieder statt. Wie läuft es dieses Jahr und wer kann dabei sein?

Carlà-Uhink: Ab 2024 organisieren wir mit, hoffentlich für einige Jahre. Wir wollen jetzt regelmäßig mit Potsdamer Studierenden dabei sein – und auch ich werde mich als Dozent einbringen. Fünf Studierende aus Potsdam im Oktober nach Spanien reisen. Mitmachen können eigentlich Studierende aller Fächer, aber letztlich werden wohl vor allem solche dabei sein, die einen fachlichen Bezug zur Geschichte und zu Grabungen aus der Römerzeit haben. Das Programm wird ähnlich sein wie 2023: Es gibt Ausflüge zu Museen, historischen Stätten – und natürlich eine Woche auf der Grabungsstätte. Wir freuen uns schon jetzt darauf!

 

Das Reisetagebuch zur Summer School in Burriana 2023: https://www.uni-potsdam.de/de/hi-altertum/summer-schools/summer-school-2023

Informationen zum Programm: https://www.uni-potsdam.de/de/hi-altertum/summer-schools