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Ohne Herzangst zurück in den Beruf – „AmPULS“ erprobt ein Programm, das nach kardiologischer Erkrankung und Rehabilitation die Rückkehr an den Arbeitsplatz unterstützt

Prof. Heinz Völler und sein Team
Eine Gruppe von Sportlern steht draußen und misst gemeinsam den Puls
Training im Innenraum auf Ergometern.
Photo : Thomas Roese
Prof. Heinz Völler und sein Team
Photo : Klinik am See/Gordon Below
Puls messen im Programm „AmPULS“
Photo : Klinik am See/Gordon Below
Angeleitetes Training

Das Seeufer hinter der Klinik lockt zum Spaziergang. Der Harzduft des nahen Waldes, frischer Wind, der übers Wasser weht – wer zur Rehabilitation nach Rüdersdorf kommt, darf tief durchatmen. Doch gerade das müssen viele Patientinnen und Patienten hier erst wieder lernen. Meist kommen sie direkt aus dem Krankenhaus, nach der Akutbehandlung eines Herzinfarkts zum Beispiel, nach einer schweren Operation oder – wie in letzter Zeit immer häufiger – mit den Langzeitfolgen einer Covid-Infektion. „Anfangs schaffen sie den Rundweg ums Gebäude nur ein einziges Mal“, berichtet Heinz Völler. „Als würde ihnen jemand auf der Brust stehen, als läge das Herz in Ketten“, beschreibt der Kardiologe ihren Zustand.

Prof. Dr. med. Heinz Völler ist Ärztlicher Direktor der auf Innere Medizin spezialisierten „Klinik am See“ und bekleidet zugleich die Professur für Rehabilitationsmedizin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Brandenburg. In diesem noch jungen Gemeinschaftsprojekt der Universität Potsdam mit der Medizinischen Hochschule Brandenburg und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus- Senftenberg gehört er zu den Professoren der ersten Stunde. Neueste Forschungsergebnisse unmittelbar in die Praxis zu transferieren und damit die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern, ist eines der wichtigsten Ziele, die sich die Fakultät in ihre Gründungspapiere geschrieben hat. Professor Völler vereint beide Seiten in einer Person. Fragen, zu denen er forscht, entstammen der medizinischen Praxis und können – wissenschaftlich beantwortet – dahin zurückwirken: von der individuell abgestimmten Rehabilitation bis zur unterstützten Wiedereingliederung in den Beruf.

Nach einer schweren Herzerkrankung Schritt für Schritt ins normale Arbeitsleben zurückzukehren, gelingt nicht immer, weiß der Mediziner. In einer aktuellen Interventionsstudie sollen entscheidende Einflussfaktoren identifiziert werden, die einen Wiedereinstieg begünstigen. Das Projekt mit dem sinnträchtigen Namen „AmPULS“ steht unter der Leitung von PD Dr. Annett Salzwedel von der Universität Potsdam, die hierfür mit der Universität Lübeck und sechs Rehabilitationskliniken zusammenarbeitet.

In Verbindung bleiben

Gemeinsames Anliegen ist es, die Erkrankten auch in der Zeit nach der kardiologischen Rehabilitation zu unterstützen. Und zwar per Telefon. Einmal im Monat werden sie vom sozialpsychologischen Dienst der Kliniken angerufen, um gesundheitliche und berufsbezogene Fragen zu besprechen. Erfasst wird dabei auch, welche Barrieren einer Rückkehr an den Arbeitsplatz im Wege stehen. Drei bis sechs Monate nach der Rehabilitation kommen die Teilnehmenden der Intervention dann noch einmal für fünf Tage in die Reha-Klinik zurück, um anhaltende Probleme wie die sogenannte Herzangst, aber auch den Umgang mit Stress und das eigene Gesundheitsverhalten zu thematisieren. Nach der Diagnostik ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit können sie hier mit therapeutischer Hilfe Strategien entwickeln, mit denen sich Arbeitsbelastungen künftig besser bewältigen lassen. Auch ein Arbeitsplatztraining, psychologische und Sozialberatung sollen helfen, den Schritt zurück in den alten Beruf oder aber nach vorn in eine neue Tätigkeit zu wagen.

Nach der aktuell laufenden Pilotphase soll die Wirksamkeit dieser Intervention in einer randomisierten kontrollierten Studie geprüft werden, kündigt Heinz Völler an. Dafür werden 3.000 Personen während der kardiologischen Rehabilitation, die direkt an den Krankenhausaufenthalt anschließt, auf das Risiko einer nicht gelingenden beruflichen Wiedereingliederung getestet. Diejenigen, die sich in einer solchen besonderen beruflichen Problemlage befinden, erhalten eine Einladung, an der Studie teilzunehmen. Nach dem Zufallsprinzip werden dann insgesamt 560 Personen einer Interventions- oder einer Kontrollgruppe zugeteilt. Geplant ist, beide Gruppen am Ende der Rehabilitation und noch einmal ein Jahr danach zu ihrer gesundheitlichen Situation und ihrem beruflichen Wiedereinstieg zu befragen. Die Gruppe, die die Intervention durchlaufen wird, soll zusätzlich gefragt werden, ob und wenn ja, wie ihnen die Telefongespräche und die zweite Reha-Phase geholfen haben. „Wir wollen den Anteil derjenigen, die es zurück in den Beruf schaffen, von derzeit 45 auf 60 Prozent erhöhen“, benennt Heinz Völler das klar formulierte Ziel. „Wenn das mit unserem Modell gelingt, könnte daraus ein berufsorientiertes Unterstützungsprogramm werden, das es für kardiologisch Erkrankte in dieser Form bislang noch nicht gibt“, so der Mediziner.

Chancen für einen Neuanfang

Ein Ergebnis der Intervention könnte dann auch sein, dass Betroffene ihre Lebenspläne grundsätzlich ändern. Ist das Herz einmal aus dem Takt geraten, erscheint es manchmal nicht sinnvoll, in den alten, als belastend empfundenen Alltag zurückzukehren. „Die meisten wollen wieder arbeiten, aber anders. Sie wollen einen Neuanfang“, sagt Doktorandin Nataliia Brehmer, die mit 25 Patientinnen und Patienten qualitative Interviews geführt hat. „Diejenigen, die keine besondere berufliche Problemlage hatten, wollten nichts verändern, gingen wieder arbeiten, auch aus finanziellen Gründen. Für die anderen jedoch war die plötzliche Erkrankung ein Schock. Sie wissen nicht, wie ihre Zukunft aussieht, sind sich aber relativ sicher, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher.“ Die entscheidende Frage sei, ob es ihnen gelingt, die während der Rehabilitation erlernten Entspannungstechniken, Sportübungen und Ernährungsweisen in den Alltag mitzunehmen. Schaffen sie es, sich nach und nach mehr zu belasten, ohne Angst zu haben, dass das Herz wieder schlappmacht? „Psychosoziale Aspekte spielen hier möglicherweise eine größere Rolle als medizinische“, meint die Wissenschaftlerin, die in ihrer Arbeit die bestimmenden Faktoren der subjektiven Erwerbsaussichten ermitteln will.

Den Hahn zudrehen

Nataliia Brehmer promoviert an der Professur für Rehabilitationsmedizin, obwohl sie keine Medizinerin ist. Als Absolventin des Masterstudienganges „Internationale Beziehungen“ mit Berufserfahrungen in der Gesundheitsökonomie bringt sie eine ganz andere fachliche Perspektive ein. Zudem stammt sie aus der Ukraine, hat in Polen studiert und schaut mit einem unverstellten Blick auf das deutsche Gesundheitssystem. „Ich habe mich immer gefragt, warum es Gesundheitssystem heißt, obwohl es sich doch mit Krankheiten beschäftigt“, sagt sie und sucht nach einem bildhaften Vergleich, der ihr Unverständnis ausdrückt: „Es ist, als würde Wasser überlaufen und man wischt und wischt, anstatt den Hahn zuzudrehen.“ Sie wollte eher dort arbeiten, wo der Wasserhahn zugedreht wird, und entschied sich für die Rehabilitationswissenschaft.

Die qualitativen Interviews boten ihr die Möglichkeit, den erkrankten Menschen erst einmal genau zuzuhören und ihren „beruflichen Problemlagen“ auf den Grund zu gehen. Häufig, so Nataliia Brehmer, verberge sich dahinter weniger ein Problem als vielmehr der Wunsch, den eigenen Lebensstil und die Arbeitssituation zu ändern, sich zu qualifizieren, umzuschulen oder von schwerer körperlicher Tätigkeit an den Schreibtisch zu wechseln. Solche Entscheidungen aber brauchen Zeit, Reflexion und Anregung. Umso wichtiger sei in der kardiologischen Rehabilitation ein ganzheitlicher interprofessioneller Ansatz und eine unterstützende Nachsorge, so, wie sie derzeit in der Pilotphase von „AmPULS“ erprobt wird.

Das Projekt

AmPULS – Programm zur Unterstützung der beruflichen Wiedereingliederung nach kardiologischer Anschlussrehabilitation, gefordert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“

Kooperation: Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg; Deutsche Rentenversicherung Nord; Klinik am See, Rüdersdorf; Mühlenbergklinik Holsteinische Schweiz, Bad Malente-Gremsmühlen; Universität zu Lübeck; Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH
Laufzeit: 2021–2026

Die Forschenden

Prof. Dr. med. Heinz Völler ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sozialmedizin, Professor für Rehabilitationsmedizin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Brandenburg an der Universität Potsdam und Ärztlicher Direktor der „Klinik am See“, Rehabilitationsklinik für Innere Medizin, Rudersdorf.
E-Mail: heinz.voellerfgw-brandenburgde

Nataliia Brehmer ist akademische Mitarbeiterin und Promovendin an der Professur für Rehabilitationsmedizin der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Brandenburg an der Universität Potsdam sowie Dozentin für Gesundheitsökonomie und Betriebswirtschaftslehre.
E-Mail: nataliia.brehmerfgw-brandenburgde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2023 „Lernen“ (PDF).