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Nach der Flut – Was man aus dem Wiederaufbau in den Flutgebieten an Ahr und Erft lernen kann

Blick über einen Fluss, der eine Überquerung weggerissen hat.
Photo : Philip Bubeck
In den Projekten "KAHR" und "HoWas2021" untersuchen Forschende, welche Lehren man aus dem Jahrhunderthochwasser ziehen kann und wie sich derart verheerende Schäden künftig vermeiden lassen.

Im Juli 2021 erlebten Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen eine der größten Naturkatastrophen Deutschlands nach 1945. Die Fluten an Erft, Ahr, Inde, Vicht und Wupper kosteten mehr als 180 Menschen das Leben und verursachten Schäden in Höhe von über 30 Milliarden Euro. Der Umweltwissenschaftler Dr. Philip Bubeck hat das Flutgebiet an der Ahr kürzlich besucht. „In der Innenstadt von Bad Neuenahr-Ahrweiler sind die Schäden immer noch deutlich zu sehen“, erzählt er. „Man sieht die Reste der zerstörten Brücken und die provisorischen Behelfsbrücken, nur einzelne Geschäfte haben geöffnet. Viele Gebäude sind von Wasserspuren gezeichnet und mit Sperrholz zugenagelt. Wir sind weit entfernt von einem Normalzustand.“ Aber der Wissenschaftler sah auch, dass der Wiederaufbau an vielen Stellen vorangeht: „Viele Straßen sind repariert und neu gemacht und in einer Pizzeria stand ein Schild, auf dem der Bürgermeister zur Wiedereröffnung gratulierte.“

Philip Bubeck ist Umweltwissenschaftler an der Universität Potsdam und Teil eines interdisziplinären Forschungskonsortiums, das einige Monate nach der Flut vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ins Leben gerufen wurde. 13 Institutionen begleiten im Forschungsprojekt KAHR – Klimaanpassung, Hochwasser, Resilienz – den Wiederaufbau im Katastrophengebiet. Ihre wasserwirtschaftliche, raumplanerische, städtebauliche und sozialwissenschaftliche Expertise fließt in die Aufarbeitung der Ereignisse ein und soll zu neuen Konzepten für ein besseres Risikomanagement und einen besseren Schutz in Hochwasserrisikogebieten führen.

Psychosoziale Folgen sind bisher wenig erforscht

„Wir wissen sehr wenig darüber, wie Wiederaufbau funktioniert und welche psychosozialen Konsequenzen so eine Katastrophe hat“, erklärt Philip Bubeck. Mithilfe von Fragebögen versucht er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, mehr darüber zu erfahren, was in den Betroffen vor sich geht und wie sie das Erlebte verarbeiten. Welche Schäden haben private Haushalte und Unternehmen erfahren? Wie hoch stand das Wasser? War es verschmutzt? Wie haben die Menschen versucht sich zu schützen, und werden sie Vorsorgemaßnahmen für die Zukunft treffen? „Derartig schwere Ereignisse stellen eine enorme psychische Belastung dar. Und diese kann jahrelang anhalten“, weiß der Forscher. Die mentale Gesundheit ist deshalb einer der Forschungsschwerpunkte des Teams – zumal die bisherige Datenlage dazu dünn ist. Aus den Umfrageergebnissen wollen die Forschenden Hotspotkartierungen erstellen, die zeigen, wo der Unterstützungsbedarf besonders groß ist.

Auch Prof. Dr. Christian Kuhlicke, Stadt- und Umweltsoziologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit an der Uni Potsdam, hat die Akteure vor Ort im Blick. „Von der Nachbarschaftsebene über die Kommunen bis zum Land, vom Bürgermeister über Unternehmen bis zur Raumplanung und Wasserwirtschaft: Über 200 Akteure sind in den Wideraufbau eingebunden“, erklärt er. Ihn interessiert, wie der Wideraufbau gestaltet wird und welche Faktoren die Art des Wiederaufbaus maßgeblich formen. Wer trifft welche Entscheidungen, welche Interessen setzen sich durch und welche Faktoren beeinflussen das? In den Pilotkommunen Stollberg, Eschweiler und Bad Neuenahr-Ahrweiler schaut er sich vor allem soziale Einrichtungen wie Schulen, Bibliotheken, Schwimmbäder oder Gasthäuser an. „Wir unterstützen den Aufbauprozess, versuchen aber auch möglichst umfassend den Wiederaufbau zu beobachten“, sagt Kuhlicke.

Wie das Reparieren, Instandsetzen, das Neubeginnen funktioniert, kann viel darüber zeigen, welche Hebel hier wirken. Politische und gesetzliche Rahmenbedingungen, finanzielle Unterstützung, aber auch kulturelle Muster prägen den Prozess und können ihn steuern. „Jetzt hat es einmal gerauscht und nun haben wir Ruhe für die nächsten Jahrzehnte.“ So sei die Stimmung bei vielen Menschen vor Ort, beschreibt Christian Kuhlicke. Häufig werde dann genauso aufgebaut, wie es vorher war – mit allen bekannten Risiken. Auch, weil die Zeit drängt und es schnell gehen muss. Temporäre Unterkünfte, die die Betroffen mit allem Notwendigen versorgen, könnten den Druck etwas mildern und mehr Raum für die notwendige Suche nach neuen Lösungen schaffen.

Aus ihren Beobachtungen und Analysen wollen die Forschenden lernen, wie es auch anders gehen kann, um die Widerstands- und Zukunftsfähigkeit der Gemeinden zu stärken. Ihre Ergebnisse werden sie an die Landes- und Bundespolitik und die Kommunen weitergeben, um daraus schließlich Empfehlungen abzuleiten, wie man vor Ort und in Zukunft besser reagieren und sich gegen künftige Katastrophen wappnen kann. Denn die Hochwassergefahr wird bleiben.

Umdenken im Hochwasserschutz

Droht ein solches Extremszenario alle 1000, alle 100 oder doch alle zehn Jahre? Das versucht Prof. Dr. Bruno Merz, Hydrologe am Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) und Professor für Ingenieurhydrologie und Management von Georisiken an der Uni Potsdam, herauszufinden. „Es war ein sehr ungewöhnliches Ereignis“, sagt er über die vergangene Flut. Es gab sehr hohe Niederschlagsmengen in kurzer Zeit, gleichzeitig gesättigte Böden, die wenig Wasser aufnehmen konnten und eine ungünstige Topgrafie: An den steilen Hängen konnte das Wasser rasch ablaufen, sich in den schmalen Tälern sammeln, eine enorme Hochwasserwelle aufbauen und mit zerstörerischer Kraft abfließen. „95 Prozent aller Hochwasserereignisse verlaufen anders, aber gerade diese seltenen, besonderen Ereignisse müssen wir besser verstehen“, betont Bruno Merz. Deshalb müsse man im Hochwasserschutz umdenken und auch solche Szenarien stärker berücksichtigen.

Dafür liefert Bruno Merz die notwendigen Daten – mithilfe eines Wettergenerators und einer Modellkette. „Unser Wettergenerator ist ein Modell, das künstlich Wetter generiert“, erklärt Bruno Merz. Basierend auf Wetterdaten der Vergangenheit und der Gegenwart simulieren die Forschenden in den drei stark betroffenen Flussgebieten von Ahr, Erft und Rur das Wetter für 10.000 Jahre – mit einer Auflösung von einer Stunde. Die Daten speisen die Forschenden in eine Kette von weiteren Modellen ein, die den Wasserabfluss im Einflussgebiet, Überflutungsflächen und daraus resultierende Schäden abbilden.

„Wir erzeugen mit dieser Modellkette riesige Datenmengen, aus denen wir seltene, extreme Hochwasserereignisse extrahieren. Damit können wir besser abschätzen, was in der Region im Hinblick auf Hochwasser geschehen könnte und welche Schäden auftreten könnten“, erklärt Bruno Merz das Ziel der Berechnungen. Im nächsten Schritt wird das Forschungsteam das Modell auch auf andere Gebiete ausweiten und außerdem den Klimawandel mit einbeziehen. „Viele Studien zeigen, dass Starkregenereignisse schon jetzt zugenommen haben, und die Klimamodelle sagen das auch für die Zukunft voraus“, so Merz. In den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten könnten Überflutungen in vielen Gebieten häufiger auftreten und stärker werden.

Extremereignisse und Folgen besser verstehen

Für die Hochwasserschutzbehörden wirft das einige neue Fragen auf, die nicht so leicht zu beantworten sind. Gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst, Landesministerien, Wasserverbänden und dem Landesumweltamt ist das Team um Bruno Merz an einer Arbeitsgruppe in Nordrhein-Westfalen beteiligt, die ermittelt, ob die bisher gültige Hochwasserstatistik überholt ist und mit neuen Daten angepasst werden muss. Für sämtliche Flusseinzugsgebiete in Deutschland existieren Berechnungen dafür, mit welchen Hochwässern alle 100 Jahre zu rechnen ist. Für die daraus ermittelten Überflutungsgebiete gelten strenge Regelungen. Sie dürfen beispielsweise nicht neu bebaut werden. Müssen die Bemessungswerte nun erhöht werden? Und wenn ja, wie stark? „Das ist keine einfache Diskussion“, betont Bruno Merz. Denn das hat großen Einfluss auf die Hochwassergefahrenkarten und Maßnahmen des Hochwasserschutzes wie Talsperren oder Deiche, aber auch auf die Bebauungspläne der betroffenen Gebiete. Die Ergebnisse aus der Modellierung sollen nun für mehr Klarheit sorgen.

Mit schnellen Computermodellen und großen Datensätzen ist auch in der Hochwasservorhersage noch mehr möglich als bisher, ist Bruno Merz überzeugt. Derzeit liefern die Vorhersagen und Warnungen Wasserstände an bestimmten Flusspegeln. Mathematische Modelle können aber auch flächendeckende Informationen zu möglichen Überflutungen bereitstellen und für Gebiete weitab der Vorhersagepegel errechnen, welche Wasserstände und -tiefen, welche Fließgeschwindigkeiten und Schäden an Gebäuden oder Brücken zu erwarten sind. Sie können „das etablierte Warnsystem auf die nächste Stufe heben“, erklärt Bruno Merz.

Am Ende des KAHR-Projekts, das bis 2024 finanziert ist, hoffen die drei Forscher, nicht nur ein genaueres Bild darüber zu haben, welche Sachschäden und gesellschaftlichen Auswirkungen die Flut in Rheinland-Pflanz und Nordrhein-Westfalen hinterlassen hat. Sondern auch, wie man die notwendigen Akteure für die Bewältigung der Krise zusammenbringt, wie das Risiko besser kommuniziert werden kann, die Warnungen rechtzeitig bei den Menschen ankommen und der Wiederaufbau besser gestaltet werden kann. Dabei prallen häufig unterschiedliche Erwartungen und Interessen aufeinander: „Die Leute sind oft mit ganz praktischen Problemen beschäftigt“, erzählt Philip Bubeck. „Wo bekomme ich einen Handwerker und Baumaterial her?“ Die Behörden müssen parallel dazu die Krise insgesamt managen und wichtige Weichen stellen. „Die Wasserwirtschaft schaut natürlich ganz anders darauf als eine betroffene Privatperson oder der Betreiber einer sozialen Einrichtung“, erklärt Christian Kuhlicke. Der Hochwasserschutz soll verbessert werden, um die Gebäude zu schützen, hat gleichzeitig aber Grenzen. Darüber müssen Bevölkerung und Unternehmen informiert werden. „Wir können vor Ort eine gewisse Transparenz darüber herstellen, wie die verschiedenen Akteure auf den Wiederaufbau gucken und die Kommunikation untereinander unterstützen“, sagt Christian Kuhlicke.

Vor allem aber sei es das große Ziel der Forschung im Katastrophengebiet, wissenschaftliche Erkenntnisse über den Wiederaufbau zu erlangen, um langfristig auf ähnliche Ereignisse besser vorbereitet zu sein. Das wollen die Forschenden künftig auch in einem eigenen Exzellenzcluster „Wasserextreme“ untersuchen, den sie 2023 beantragen. „Diese umfangreiche Forschung ist notwendig, um die Zusammenhänge und die gesamte Komplexität von Extremereignissen und den Folgen zu verstehen“, betont Bruno Merz. „Wir werden so etwas auch in Zukunft nicht verhindern können“, sagt Philip Bubeck. „Aber wir können lernen, wie wir besser darauf reagieren, um am Ende weniger Schäden und weniger menschliches Leid zu haben.“

Das Projekt

KAHR (Klimaanpassung, Hochwasser, Resilienz) ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung nach der Flutkatastrophe vom Juli 2021 initiiertes Forschungskonsortium. Die 13 teilnehmenden Institutionen begleiten den Wiederaufbau in der Region und tragen mit wissenschaftlicher Expertise dazu bei, das Hochwasserrisikomanagement zu verbessern und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Hochwasser zu erhöhen.
Laufzeit: 2021 – 2024
Beteiligt: Hochschule Koblenz, Deutsches Institut für Urbanistik, Technische Universität Kaiserslautern, Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum, HochwasserKompetenzCentrum, Institut für qualifizierte Innovationsforschung und -beratung, Universität Stuttgart, Technische Universität Dortmund, Universität Potsdam, RWTH Aachen, Landkreis Ahrweiler, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Wasservebrand Eifel-Rur

https://hochwasser-kahr.de/index.php/de/

Die Forscher

Dr. Philip Bubeck studierte Politik an der Universität Freiburg und Umwelt- und Ressourcenmanagement an der Vrije Universiteit Amsterdam. In der Arbeitsgruppe Geographie und Naturrisikenforschung erforscht er als Postdoc soziale Auswirkungen von Hochwasserereignissen, Klimaanpassung und Vorsorge.
E-Mail: philip.bubeckuni-potsdamde

Prof. Dr. Christian Kuhlicke studierte Humangeografie, Soziologie und Geologie in Potsdam. Er leitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig das Department für Stadt- und Umweltsoziologie und ist Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit an der Universität Potsdam.
E-Mail: christian.kuhlickeufzde

Prof. Dr. Bruno Merz studierte Bauingenieurwesen an der Universität Karlsruhe. Er leitet am Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) die Sektion für Hydrologie und ist Professor für Ingenieurhydrologie und Management von Georisiken an der Universität Potsdam.
E-Mail: bruno.merzgfz-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2023 „Exzellenz (PDF).