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Natürliche Hochwasservorsorge – mehr Zustimmung durch bessere Kommunikation

Hochwasser 2013 an der Elbe bei Dessau-Rosslau.
Photo : André Künzelmann / UFZ
Hochwasser 2013 an der Elbe bei Dessau-Rosslau.

Vielerorts werden heute Deiche rückverlegt und Auenlandschaften wiederbelebt, um dem Fluss mehr Raum zu geben, sich bei Hochwasser auszubreiten. Auf diese Weise soll der Hochwasserschutz effektiver, und das Risiko von Überflutungen bewohnter Gebiete gesenkt werden. Dennoch stoßen Vorhaben der natürlichen Hochwasservorsorge häufig auf Widerstände in der Bevölkerung. Warum ist das so? Dieser Frage sind Forscherinnen und Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Potsdam in einer sozialwissenschaftlichen Studie nachgegangen. Sie fanden heraus, dass Ängste, Fluterfahrungen und ein Mangel an Information dabei eine besondere Rolle spielen. Bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen sollte die Bevölkerung deshalb möglichst frühzeitig eingebunden und umfassend informiert werden, empfiehlt das Forschungsteam. Die Studie ist kürzlich im Fachmagazin Risk Analysis erschienen.

Flutkatastrophen durch Hochwasser gab es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland immer wieder, etwa 2002 und 2013 an der Elbe und im Jahr 2021 in der Eifel. Mit dem fortschreitenden Klimawandel werden schwere Hochwasser- und Überflutungsereignisse in Zukunft voraussichtlich häufiger auftreten. Wichtig ist daher eine schnelle Umsetzung wirksamer Schutzmaßnahmen in gefährdeten Gebieten.

In der Vergangenheit wurde im Hochwasserschutz insbesondere auf technische Lösungen wie das Errichten von flussnahen Deichen oder den Bau von Wasserrückhaltebecken gesetzt. Das reicht aber oftmals nicht mehr aus, um effektiv vor Überschwemmungen zu schützen. Deutschland- und europaweit rücken daher nun vermehrt sogenannte naturbasierte Lösungen wie Deichrückverlegung und Auenrenaturierung in den Fokus. „Das Ziel solcher Vorhaben ist es, dem Fluss mehr Raum zu geben, damit er sich bei Hochwasser in der Fläche ausbreiten kann, und die wiederbelebten Auenlandschaften ihre wasseraufnehmende Wirkung voll entfalten können“, sagt Prof. Christian Kuhlicke, Leiter des Departments Stadt- und Umweltsoziologie am UFZ. „Die natürliche Hochwasservorsorge schlägt dabei gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie senkt das Überflutungsrisiko nachhaltig, stellt das natürliche Bild der Flusslandschaft wieder her, erhöht die biologische Vielfalt und kann auch die Lebensqualität in der Region steigern.“

Doch häufig steht die ortsansässige Bevölkerung natürlichen Hochwasserschutzmaßnahmen skeptisch oder kritisch gegenüber. So gibt es etwa Befürchtungen, dass sie nicht so effektiv sein könnten wie der herkömmliche technische Hochwasserschutz. Die Eingriffe in die Landschaft erscheinen gravierend, und es gibt Unsicherheiten, ob sich das Landschaftsbild zum Positiven verändern wird. Auch die neue Nähe zum sich ausbreitenden Fluss kann bedrohlich wirken. „Durch den rückverlegten Deich gelangt das Wasser bei Hochwasserständen womöglich viel näher an das eigene Haus. Dass der Fluss nun sichtbarer ist, kann insbesondere Menschen, die schon häufiger von Hochwasser betroffen waren, Angst machen – obwohl die Sicherheit durch die neuen Maßnahmen tatsächlich höher sein kann als zuvor“, erklärt Kuhlicke.

In seiner Studie wollte das UFZ-Team herausfinden, wie die Menschen, die in der Nähe von Deichrückverlegungsgebieten wohnen, die natürlichen Hochwasserschutzmaßnahmen wahrnehmen, und wie gut sie sich informiert fühlen. Das Forschungsteam befragte dafür 304 Menschen aus insgesamt fünf Orten bzw. Städten in Sachsen-Anhalt an der Elbe (Lödderitz, Kühren, Aken, Rosslau, Vockerode), in deren Nähe Maßnahmen zur Deichrückverlegung bzw. Auenrenaturierung durchgeführt wurden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelten dafür einen Fragebogen, der auf einem neuen sozialwissenschaftlichen Forschungsmodell basiert (PRAM-Modell, engl.: place-based risk appraisal model), das die Vergleichbarkeit der Befragungen erleichtert. Der Fragebogen umfasste 18 Fragen bzw. Aussagen, zu denen die Teilnehmenden ihre Zustimmung oder Bewertung auf einer Skala von 1 bis 7 angeben sollten. Zum Beispiel: Wie ist Ihre Einstellung zu dem Deichrückverlegungsprojekt? Wie machtlos haben Sie sich bei dieser Überschwemmung gefühlt? Ich kann mich vollständig auf den öffentlichen Hochwasserschutz in meiner Gemeinde verlassen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das Auftreten einer schweren Überschwemmung innerhalb der nächsten fünf Jahre in Ihrer Gemeinde?

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich sowohl Menschen, die sich mit ihrem Heimatort besonders verbunden fühlen, als auch diejenigen, die sich stark vom Hochwasser bedroht fühlen, den Maßnahmen eher ablehnend gegenüberstehen. Das war insbesondere der Fall, wenn sie bereits Fluterfahrungen gemacht hatten. Studienteilnehmende, die sich gut informiert fühlten und dem lokalen Risikomanagement vertrauten, unterstützten dagegen die naturbasierten Maßnahmen eher“, erläutert Dr. Sungju Han, Mitarbeiterin am UFZ-Department Stadt- und Umweltsoziologie, ehemalige Doktorandin an der Universität Potsdam und Erstautorin der Studie.

Doch was bedeuten die Ergebnisse für die Planung künftiger Hochwasserschutzprojekte? „Die Ängste und Sorgen der Bevölkerung sollten unbedingt ernstgenommen werden. Durch bessere Information und Kommunikation – am besten schon ganz zu Anfang der Planungsphase – können viele Befürchtungen ausgeräumt werden“, sagt Kuhlicke, der Letztautor der Studie ist. „Wichtig ist dabei insbesondere, zu verdeutlichen, dass es auch bei der natürlichen Hochwasservorsorge zuallererst darum geht, die Bevölkerung effektiv vor den Auswirkungen großer Hochwasserereignisse zu schützen. Und zwar durch mehr Raum für den Fluss. Alles andere – die naturnähere Flusslandschaft oder die Erhöhung der biologischen Vielfalt – sind positive Nebeneffekte, jedoch nicht das primäre Ziel.“ Han ergänzt: „Nimmt man die Bevölkerung nicht mit und bindet sie nicht ein, können Vorhaben zum Hochwasserschutz oftmals nur gegen große Widerstände realisiert werden, was meist mit erheblichen Zeitverlusten einhergeht. Und das kann gefährlich werden, denn man weiß nie, wann es zum nächsten Hochwasser kommt.“

Publikation:
Sungju Han, Philip Bubeck, Annegret Thieken, Christian Kuhlicke, Risk Analysis (2023):
A place-based risk appraisal model for exploring residents’ attitudes toward nature-based solutions to flood risks, DOI: 10.1111/risa.14118, https://doi.org/10.1111/risa.14118

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian Kuhlicke
Leiter UFZ-Department Stadt- und Umweltsoziologie
E-Mail: christian.kuhlickeufzde

Prof. Dr. Annegret Thieken, Institut für Umweltwissenschaften und Geographie
Tel.: 0331 977-2984
E-Mail: annegret.thiekenuni-potsdamde