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Land und Menschen verbunden – Monika Wienfort ist neue Professorin für Brandenburgisch-preußische Geschichte

 

Prof. Dr. Monika Wienfort
Photo : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Monika Wienfort

Was verbindet den Adel, Landarbeiter, die Verfassungsgeschichte, die Monarchie und die Ehe miteinander? Diese Frage kann wohl nur Monika Wienfort beantworten. Die Historikerin hat zu all diesen Themen gearbeitet und sagt: „All meine Forschung hat mit Preußen zu tun.“ Seit 2022 ist die gebürtige Rheinländerin Professorin für Brandenburgisch-preußische Geschichte an der Universität Potsdam. Ihr Büro befindet sich im Nord-Commun, einem der beiden ehemaligen Wirtschaftsgebäude des Neuen Palais, dem vielleicht preußischsten Arbeitsort, den eine Historikerin haben kann. Sie sagt: „Preußenforschung kann man nur im globalen Rahmen machen.“

Geschichte liegt Monika Wienfort im Blut, könnte man sagen: „Früher wollte ich Archäologin werden, auf Ausgrabungen überall auf der Welt arbeiten.“ Dann entschied sie sich aber doch für ein Geschichtsstudium. „Das bot mir viele Möglichkeiten, etwa journalistisch zu arbeiten, in einem Museum oder der Verwaltung.“ Die Wissenschaft hatte sie anfangs gar nicht auf dem Zettel. Nach dem Grundstudium in Bochum ging sie nach Bielefeld, damals eines der Zentren einer neuen Geschichtswissenschaft: „Man wollte weg von einer Geschichte der ‚großen Männer‘ und hin zu einer Sozialgeschichte breiter Gruppen, etwa dem Arbeiter- und dem Bürgertum.“ Ihren heutigen Fokus auf Preußen verdankt sie einem ihrer wichtigsten Lehrer, Reinhart Koselleck, der damals in Bielefeld tätig war. Sein Buch „Preußen zwischen Reform und Revolution“ sei für sie „in jeder Hinsicht prägend“ gewesen, so die Forscherin. „Vor allem gefiel mir der Ansatz, Sozialgeschichte zu schreiben, die sich mit dem Verhalten auch von einfachen Leuten beschäftigt.“ Preußen bot dafür einen idealen räumlichen Rahmen.

Anfangs reizte sie das Unbekannte: „Als Rheinländerin aus der Industriestadt Essen waren die alten preußischen Provinzen im Osten sehr fremd für mich. Das faszinierte mich.“ Doch wie sich zeigte, bot Preußen mehr. Bis heute ist Monika Wienfort begeistert von der großen Vielfalt ihres Forschungsgegenstands: „Es gab industrialisierte neben ländlichen Regionen, Adel neben Arbeiterschaft, gänzlich verschiedene soziale Landschaften und kulturelle Traditionen. Daraus ergaben sich immer neue Fragen.“ Wie entwickelte sich Preußen als staatlicher Raum? Welche Rolle spielte die Monarchie in der preußischen Gesellschaft? Was geschah mit den städtischen und den ländlichen Gemeinschaften im Zuge der Industrialisierung?

Die „Monarchie in der bürgerlichen Gesellschaft“, „Patrimonialgerichte“ oder der „Adel in der Moderne“ – je genauer sie hinsah, desto mehr spannende Themen entdeckte Monika Wienfort. Und so blieb sie dabei, bis heute. Dabei ist ihr jede Form der „Preußenbewunderung“ fremd. „Manche erwarten, dass ich eine besondere Verehrung für den Gegenstand habe, so die Historikerin. „Aber ich sehe Preußen nicht Reflexzone für Topoi von Tugend. Für mich ist es ein besonders vielschichtiger historischer sozialer Raum.“ Deshalb war ihr auch stets der vergleichende Blick wichtig, vor allem nach Großbritannien, aber auch Frankreich. So schaue sie etwa auf die Geschichte der kolonialen Empires, wenn es darum geht, die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen zu untersuchen. . Oder vergleiche die Stellung von Männern und Frauen im 19. Jahrhundert im deutsch-französischen Vergleich. „In meiner Vorlesung lachen meine Studierenden schon, wenn ich dann wieder sage: ‚Und in Frankreich war das anders …‘“

Der Stellenwert Preußens sei in der Geschichtswissenschaft durchaus nicht überall gleich, betont Monika Wienfort, die nach ihrer Promotion und Habilitation an zahlreichen Universitäten tätig war. „Während man Preußen in Berlin und Potsdam sicher eine zentrale Bedeutung einräumt, sieht man das in München vielleicht nicht so“, sagt die Forscherin. „Wichtig ist meines Erachtens, dass preußische Geschichte immer zugleich im europäischen und globalen Kontext, aber zugleich auch als regional identitätsstiftend betrachtet werden sollte.“

Dass sie nun vis à vis vom Neuen Palais brandenburgische und preußische Geschichte erforscht, findet Monika Wienfort „too good to be true“. Und sie hat viel vor. Nach Beiträgen in Veranstaltungen zum Verhältnis von Monarchie und Mythos oder zu den preußischen Provinziallandtagen im Vormärz möchte sie ein Projekt auf den Weg bringen, das der Frage nachgeht, wie in Brandenburg im 19. Jahrhundert mit Grundbesitz umgegangen wurde: „Das ist wieder so ein Klammerthema, das verschiedene soziale Gruppen und Verhältnisse in den Blick nimmt“, erklärt die Geschichtswissenschaftlerin. Wie gehen Adel und Großgrundbesitzer mit ihrem Land um – und wie Bauern oder Pächter? Welches Verhältnis zu Arbeits- und Lebensort entwickelten Landarbeiter und Landarbeiterinnen? Wie überhaupt konnten Männer und Frauen dabei agieren? Und wie wurde Grundbesitz ge- und verkauft, ver- und geerbt?

In Fahrt kommen soll auch die Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen in der Region, die sich mit preußischer Geschichte befassen. Mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) etwa verbindet die Hochschule das 2016 gemeinsam mit der Europa-Universität Viadrina gegründete Research Center Sanssouci, kurz RECS. „Hier wollen wir im Frühjahr 2023 einen Workshop durchführen, der sich mit den Schlössern und Gutshäusern in der Region beschäftigt“, erklärt sie. „Wie wird das kulturelle Erbe wahrgenommen – und wie genutzt? Welche Forschungen können helfen, heutigen BewohnerInnen und auswärtigen Gästen die Geschichte näherzubringen?“ Im Austausch mit Expertinnen und Experten aus anderen Ländern sollen dafür auch neue Konzepte entstehen.

Und wie hat sie zur „Ehe“ in Preußen gefunden? Bei der Recherche für ihre Forschung zu preußischen Patrimonialgerichten, den gutsherrschaftlichen Gerichten der adeligen Grundherren. „Ich stieß in den Archiven auf ganze Kisten mit Briefen von adeligen Frauen, die noch niemand für die Forschung durchgesehen hatte“, so die Wissenschaftlerin. Sie seien zwar Vertreterinnen der Oberschicht gewesen, aber politisch und gesellschaftlich genauso entrechtet wie alle anderen Frauen. Immerhin hätten sie aber Zeugnisse hinterlassen. „Als ich sah, dass ich so zu Frauen aus der Zeit forschen konnte, fing ich an!“ Aus  vielen Briefen und den zahlreichen Eheverträgen, die sie ebenfalls ausfindig gemacht hat, hat sie „Eine Geschichte der Ehe seit der Romantik“ rekonstruiert – von ihrer rechtlichen Konstruktion und Bedeutung für die Diskriminierung von Frauen bis zur kulturgeschichtlichen Bedeutung von Empfängnis(verhütung) und Kindererziehung. Eine Geschichte, die sie heute, sieben Jahre nach der Veröffentlichung des Buches, schon wieder anders erzählen würde, wie sie selbst sagt. „So wäre der Blick auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften natürlich wichtig.“ Zu tun gibt es also genug. Denn auch wenn es Preußen seit 1945 nicht mehr gibt, ist die Erforschung seiner Geschichte noch lange nicht abgeschlossen.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2022 „Artensterben“ (PDF).