„Überall auf der Welt gibt es zunehmende Proteste gegen Massentourismus: ob in Venedig, Amsterdam, Machu Picchu, Kyoto oder New York“, sagt der aus Costa Rica stammende Soziologe. Oft steht dabei die Luftfahrtbranche im Fokus. In Europa formen sich Bewegungen wie „Am Boden bleiben“ in Deutschland, „Schiphol Watch“ in den Niederlanden oder „Zeroport“ in Spanien, die gegen den Neu- und Ausbau von Flughäfen und das steigende Flugaufkommen protestieren. Alexander Araya Lopez wird als Marie-Curie-Stipendiat und Gastwissenschaftler an der Uni Potsdam diesen Widerstand am Beispiel von Berlin, Amsterdam, Barcelona und Bristol in den kommenden zwei Jahren im Projekt „PROTEST-AIRT“ genauer untersuchen: Warum und in welcher Form protestieren die Menschen? Welche Folgen hat die Luftfahrtindustrie für lokale Gemeinschaften? Und wie gehen Behörden und Flughafenbetreiber mit den Konflikten um?
„Flughäfen sind sehr komplex und beeinflussen ihre direkte Umgebung auf verschiedene Arten“, sagt Alexander Araya Lopez. Zum einen ist da der Platzbedarf für Gebäude und Landebahnen. Ihnen müssen Ackerflächen, Wiesen oder Wälder weichen. Hinzu kommt der Fluglärm, unter dem Anwohnerinnen und Anwohner leiden, deren Grundstücke zudem an Wert verlieren. Ein Flughafen braucht gut ausgebaute Verkehrswege, auf denen Waren und Passagiere zu ihm gelangen. Er produziert viel Müll und sorgt nicht zuletzt für hohe CO2-Emissionen, die das Klima schädigen. „Es gibt weltweit viele expandierende Flughäfen an Orten, wo die Leute das nicht wollen“, fasst der Forscher zusammen.
Dagegen regt sich Widerstand, wie er etwa Ende Juli 2022 auf dem Flughafen Leipzig/Halle zu beobachten war. 500 Millionen Euro sollen hier investiert werden, um den Frachtflugverkehr auszubauen. Das Aktionsbündnis „Transform LEJ“ hatte zu einer Demonstration gegen den Ausbau aufgerufen, dem rund 300 Menschen folgten. „Die Demonstration war sehr friedlich, es gab Familien mit Kindern, Leute mit Fahrrädern und Hunden, aber natürlich auch viel Polizei“, beschreibt Alexander Araya Lopez die Situation. Er beobachtete die Menschen vor Ort und sah auch viele betroffene Anwohnerinnen und Anwohner, die „einfach für ihr Recht zu schlafen“ eintraten. Ihn interessiert, welche Motive die Protestierenden mitbringen, wie Sicherheitspersonal und Polizei darauf reagieren und wie sich die Akteure untereinander vernetzen. Der Forscher weiß: Manchmal sind die Proteste spielerisch kreativ, manchmal aber auch radikaler: Aktivistinnen und Aktivisten klebten schon ihre Hände an Flugzeuge, blockierten Straßen oder lackierten Flugzeuge grün.
„Je größer die Krisen werden, desto mehr Proteste wird es geben. Wir brauchen wissenschaftliche Untersuchungen dazu“, betont der Forscher. Seine Arbeit beginnt mit einer Analyse von Zeitungsartikeln, Fernsehdokumentationen und Online-Beiträgen. Wie werden die Konflikte in den Medien dargestellt? Wer wird in den Zeitungen zitiert und wer nicht? Die Medien sieht der Forscher in der Verantwortung: Sie müssten Sachverhalte besser vermitteln und gut aufbereitete Informationen liefern, um eine öffentliche Debatte zu ermöglichen. „Die meisten Menschen sind sich der Auswirkungen des Fliegens gar nicht bewusst und sie wissen nicht einmal, dass es diese Proteste gibt.“
In Interviews wird er zudem erfragen, welche Motive und Ziele die Proteste haben, aber auch, wie mögliche Lösungsvorschläge vonseiten der Luftfahrt aussehen. Gibt es eine rote Linie bei den Aktionen – etwa, wenn es um Gewalt geht? Schließlich sollen auch Tagebucheinträge der Protestierenden dabei helfen, ihre Motive, Gefühle und Erlebnisse zu dokumentieren und zu analysieren.
„Viele Aktivistinnen und Aktivisten sind sehr gut vernetzt und haben richtiges Expertenwissen“, erklärt Alexander Araya Lopez. Eine Gruppe in Amsterdam entwickelte etwa die App „ExPlane“, mit der der Fluglärm dokumentiert werden kann. Die gemessenen Daten fließen in eine Datenbank, die detailliert aufzeigt, welcher Flug wie viel Lärm verursacht hat. Andere schauen den Konzernen ganz genau auf die Finger und überprüfen, ob etwa CO2-Emissionen wirklich kompensiert werden oder ob Greenwashing betrieben wird.
„Zu manchen Flügen gibt es tatsächlich keine Alternative“, sagt der Marie-Curie-Stipendiat. Per Luftfracht werden etwa Medikamente oder Hilfsgüter transportiert, weite Strecken über Kontinente hinweg sind mit anderen Verkehrsmitteln kaum zu bewältigen. „Dennoch müssen wir eine ernsthafte Diskussion darüber führen, wie wir den Luftverkehr künftig einschränken können – in Europa, aber auch anderswo.“ Gerade innerhalb Europas gäbe es Alternativen. Das Schienennetz ist gut ausgebaut und es gibt einen funktionierenden öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Europa könnte anderen Regionen der Welt als Vorbild dienen, meint Araya Lopez. Er selbst fliegt inzwischen übrigens viel weniger als früher.
Link zum Projekt: https://www.uni-potsdam.de/en/protest-airt/index
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2022 „Artensterben“ (PDF).