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„Religiöse Vielfalt im Nordirak“ – Eine deutsch-irakische Zusammenarbeit

Portrait von Prof. Dr. Johann Ev. Hafner. Das Foto ist von Tobias Hopfgarten.
Das Bild zeigt die Jalil Khayat Moschee in Erbil. Das Foto ist von René Loibl.
Photo : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Johann Ev. Hafner
Photo : René Loibl
Jalil Khayat Moschee in Erbil

Ende September 2021 machten sich drei Wissenschaftler und neun Studierende des Instituts für Religionswissenschaft der Universität Potsdam auf in den Irak, genauer gesagt die autonome Region Kurdistan. In ihrer Hauptstadt Erbil stand eine wissenschaftliche Kartierung der besonderen Art auf dem Programm: Im Projekt „Religious Mapping Erbil“ erfassen und dokumentieren die Potsdamer Forschenden gemeinsam mit Partnern vor Ort die religiöse Vielfalt in einer der ältesten durchgehend bewohnten Siedlungen weltweit. Matthias Zimmermann sprach mit dem Leiter des Projekts, dem Religionswissenschaftler Prof. Dr. Johann Hafner, über die Ziele und Tücken des Vorhabens sowie die Frage, wie sich eine solche Karte lesen lässt.

Wozu dient das Projekt „Religious Erbil Mapping“?

In Erbil gab es wegen seiner Lage zwischen dem Osmanischen Reich, dem Iran und arabischen Reiche nimmer rege Migration. Aber in den vergangenen Jahren hat sie sich verstärkt. Viele Menschen sind hierhergekommen aus dem Süden, aus Bagdad aufgrund des Drucks auf religiöse Minderheiten, aus Syrien auf der Flucht vor dem „Islamischen Staat“ (IS), aus der Ninive-Ebene, um die es Auseinandersetzungen zwischen dem Zentral-Irak und Irakisch-Kurdistan gibt. Wir wollten erheben, welche verschiedenen Religionen es in Erbil gibt und wie aktiv ihre Gläubigen sind. Dazu zählt natürlich der Islam, angefangen mit den304 Moscheen, die es laut dem Ministry of Endowment and Religious Affairs in der Stadt gibt. Unsere irakischen Kollegen meinten, da gebe es nicht viel zusehen, es werde überall dasselbe gebetet. Das bezweifelten wir: Es gibt Moscheen, die von Reichen besucht werden, und solche, in die eher die Armen gehen, es gibt eher fortschrittliche und sehr konservative, politisch involvierte und unpolitische … Dazu kommen etwa15 verschiedene christliche Denominationen, darunter die ganz alten, angestammten – die armenische, die chaldäische, die syrisch-orthodoxe und die Apostolische Kirche des Ostens. Sie waren schon lange vor dem Islam vertreten, seit dem 2. Jahrhundert, und sie besitzen denselben theologischen Stellenwert wie die römisch-katholische Kirche im Westen. Jede von ihnen hat einen eigenen „Papst“, der dort Katholikos genannt wird – bis heute! Über westliche Zuwanderer sind auch Freikirchen, wie die Methodisten, evangelikale Gemeinden und eine Pfarrei mit lateinischem Ritus entstanden. Diese Christentümer zählten in Syrien und im Irak vor zehn Jahren noch 1,2 Millionen Gläubige. Jetzt sind sie auf 200.000 zusammengeschrumpft. Ihr sich abzeichnendes Verschwinden wäre ein dramatischer Kulturverlust. Sie verfügen über ganz eigene Liturgien, ein eigenes Kirchenrecht, prächtige Gebete. Dazu kommen Mandäer, eine vorislamische Religionsgemeinschaft gnostischen Ursprungs, eine neo-zoroastrische Bewegung, und auch eine kleine jüdische Gruppe, die sich wie die Baha’i nur privat treffen. Diese religiöse Vielfalt soll das Projektdokumentierten. Nicht zu finden waren übrigens die Jesiden, von denen einige Tausend auf der Fluchtvor dem IS nach Erbil gekommen waren. Da sie sich religiös auf ein Heiligtum in ihrem Stammesgebiet orientieren, haben sie sich im Exil nicht religiös vergemeinschaftet…

Wie kam es zu der Forschungsreise nach Erbil?

Dahinter steckt das Projekt „Religiöse Vielfalt im Nordirak“, das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wird und bei dem wir mit drei Universitäten in Erbil zusammenarbeiten: der Tishk University, der Catholic University und der Salahaddin University. Wir wollen auf diese Weise den Studierenden zeigen, dass es auch ein anderes Christentum gibt als das katholische und das reformierte. Außerdem sollten sie die darüberhinausgehende religiöse Vielfalt vor Ort kennenlernen. Das gilt übrigens auch für unsere drei Kooperationspartner, denn siekannten sich und die religiösen Hintergründe der anderen nicht. Viele muslimische Kollegen waren noch nie in einer Kirche und die Traditionschristen in keinem evangelikalen Gotteshaus. Da der Irak auf der Landkarte wissenschaftlicher Zusammenarbeit kaum auftaucht, war unser Vorhaben beim DAAD sehr willkommen.

Woran waren Sie interessiert?

Wir wollten über die Religionsgemeinschaften bestimmte Dinge herausfinden: Welche Struktur hat die Gemeinde? Wie viele Angestellte und Ehrenamtliche sind beschäftigt? Wie aktiv sind ihre Mitglieder, also: Wer kommt wann wie oft wozu? Welche Jahresfeste feiern sie? Wie laufen Gottesdienste und andere religiöse Praktiken ab? Um all das zu erfassen, hatten wir uns vorgenommen, möglichst viele zu besuchen. Schon vor zwei Jahren zum Beginn des Projekts haben wir dafür repräsentative Samples ausgewählt, denn wir können beispielsweise keinesfalls alle Moscheen besuchen. Unsere Partner vor Ort haben im Laufe der vergangenen Monate schon 50 Gemeinschaften beschrieben. Bei unserem Besuch haben wir diese Vorarbeiten fortgeführt und beendet, um sieanschließend auszuwerten und aufzuarbeiten.

Wie sind Sie konkret vorgegangen?

Wir haben gemischte deutsch-irakische Zweiergruppengebildet und sind losgezogen – zu Moscheen und Kirchen, die wir uns vorher rausgesucht haben. Wir haben an Gottesdiensten beobachtend teilgenommen, mit Vertretern der Gemeinden und mit Gläubigen anhand eines Leitfadens gesprochen. Ich selbst war in einer der strengen Moscheen. Funfact: Der Imam dort hat 20 Minuten lang bei seiner Predigt gestikuliert und geschrien, dass ich dachte, er ruft zum Djihad auf. Laut meinem Übersetzer ging die Predigtüber Verzeihen, Sanftmut und Bescheidenheit, u.a. mit dem Hinweis, dass dies in europäischen Ländern viel besser geübt würde. Auf meine Nachfrage hin, wie Stil und Inhalt zusammenpassten, wurde mir erläutert, dass eine gute Predigt – dem Vorbild Mohammeds folgend – so impulsiv sein solle, dass dem Imam die Halsadern schwellen.

Wie wollen Sie die religiöse Vielfalt Erbils präsentieren?

Wir haben alle gesammelten Informationen nach einem vorher festgelegten Muster verschriftlicht und in eine Datenbank eingetragen. Auf deren Grundlage ist eine Webseite entstanden. Deren Herzstück ist eine Karte von Erbil, auf der mit Symbolen eingetragen ist, wo sich die Moscheen und Gotteshäuser befinden. Dahinter verbergen sich Kurzbeschreibungen zu jeder besuchten Gemeinde. Die Langfassungen und wissenschaftlichen Analysen werden zu einem Buch zusammengefasst, das 2022 erscheinen soll. Für mich ist besonders interessant, dass wir mithilfe der Befragungen schauen wollen, wie hoch die religiöse Aktivität in Erbil wirklich ist. Auf der Grundlageunseres Samples mit konkreten Daten dazu, wie viele Gläubige die Gebete und Gottesdienste besuchen, können wir gut begründete Schätzungen dazu anstellen, wie aktiv welche religiösen Gruppen tatsächlich sind. Das lässt dann wiederum Schlussfolgerungen zum Grad der Säkularisierung zu. Doch diese Auswertung wird noch einige Zeit dauern.

Das Projekt

„Religiöse Vielfalt im Nordirak“

Beteiligt: Universität Potsdam: Leitung: Prof. Dr. Johann Ev. Hafner, Koordinatoren: Dr. Stefan Gatzhammer, Dr. Michael Haußig, Imam Kadir Sanci M.A.; Partneruniversitäten: Ishik University, Salahaddin University, Catholic University in Erbil
Förderung: Deutscher Akademischer Austauschdienst(DAAD)

Der Forscher

Prof. Dr. Johann Ev. Hafner ist Professor für Religionswissenschaft/Schwerpunkt Christentum am Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft der Universität Potsdam.
E-Mail: hafneruni-potsdamde

 

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Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2022 „Zusammen“.