Skip to main content

Antike Texte sichern unser kulturelles Erbe – Dr. Hedwig Schmalzgruber folgt einer besonderen Mission

Dr. Hedwig Schmalzgruber
Nahaufnahme von Büchern in einem Bücherregal.
Photo : Tobias Hopfgarten
Dr. Hedwig Schmalzgruber
Photo : Tobias Hopfgarten

Schon im schulischen Lateinunterricht entdeckte Dr. Hedwig Schmalzgruber ihre Leidenschaft für antike Sprachen und Texte. Später unterrichtete sie selbst als Studienrätin an einem Gymnasium in Passau Deutsch, Latein und Griechisch, ehe sie der Schule den Rücken kehrte, um ganz in die Wissenschaftein zutauchen. Im August 2017 kam die Philologin an die Universität Potsdam, um ihre Habilitation zu schreiben. Darin analysiert sie lateinische und griechische Fabelsammlungen in Versform.

„Wenn ich einen großen Gutshof in Brandenburg hätte, würde ich Ziegen halten. Ich liebe Ziegen“, schwärmt Dr. Hedwig Schmalzgruber. „Sie sind witzig, klettern fleißig, haben Charakter und sind nützlich.“ Nach einer kurzen Pause überrascht sie mit dem Nachsatz: „Und ich mag auch ihren Geruch gerne.“ Dass die Wissenschaftlerin über Tiere in antiken Fabeln forschen würde, war so allerdings nicht geplant. Eigentlich wollte sie Fabeln in Verbindung mit Gender Studies analysieren. Als sie das Thema aus Wuppertal, wo sie promoviert wurde und als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war, mitbrachte, riet ihre neue Chefin in Potsdam, für die Qualifikationsarbeit einen weniger polarisierenden Ansatz zu wählen. „Da habe ich überlegt: Was ist innovativ?“ Auf der Suche nach einem geeigneten Thema rückten die so genannten „Human-Animal-Studies“ (HAS) in ihren Fokus und Schmalzgruber entschied, diese Methode in der Klassischen Philologie einzusetzen. „Die Tier-Perspektive auf Fabeln anzuwenden, das gibt es bislang so gut wie gar nicht“, erzählt die Wissenschaftlerin. „Bisher hätte man gefragt, welche Lehren aus Fabeln zu ziehen sind oder welche Symbole die Tiere darstellen. Sich jedoch in die Perspektive der Tiere hineinzuversetzen, um das Verhältnis zum Menschen genauer zu charakterisieren, ist ein gewinnbringender Impuls für die Forschung“, betont sie.

Als Lehrerin zurück in die Wissenschaft

Hedwig Schmalzgruber kommt aus einer oberfränkischen Lehrerfamilie. In Erlangen studierte sie zunächst Latein und Deutsch auf Lehramt. Später kam noch Griechisch hinzu. Nach über fünf Jahren als Lehrerin an bayerischen Gymnasien bemerkte sie, dass sie im Schuldienst nicht glücklich werden würde, „weil ich mich inhaltlich und wissenschaftlich mit Texten befassen wollte.“ Die Entscheidung, zurück in die Forschung zu gehen, sei ihr nicht leichtgefallen, erinnert sie sich. Sie musste die Sicherheit des Schuldienstes aufgeben und das Beamtenverhältnis lösen. „Doch ich habe das durchgezogen“, berichtet die Literaturwissenschaftlerin und ihre Augen leuchten. An der Universität Wuppertal promovierte Schmalzgruber über ein lateinisches Bibelepos aus dem 5.Jahrhundert n. Chr., in dem das Alte Testament in Hexametern aufgearbeitet wird. Ihre Doktorarbeit hat inzwischen weitere Studien nach sich gezogen, „ein Meilenstein in der Forschung“, resümiert die Wissenschaftlerin nicht ohne Stolz.

Tiere und Menschen in antiken Fabeln

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin kam sie 2017 an den Lehrstuhl Klassische Philologie der Universität Potsdam. In ihrem Habilitationsprojekt erforscht sie hier die „Mensch-Tier-Beziehung und Mensch-Tier-Grenze in antiken Fabelsammlungen“. Für das Corpus hat sie zwei Fabeldichter ausgewählt: den relativbekannten lateinischen Dichter Phaedrus aus dem 1.Jahrhundert n. Chr. und den unbekannten griechischen Autor Babrios, der vermutlich im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte. In den Texten untersucht die Wissenschaftlerin, welche Formen der Interaktion zwischen Mensch und Tier es gibt und wie sie miteinanderkommunizieren. Neben diesen zentralen Fragenbeleuchtet Hedwig Schmalzgruber die Beziehungen und die Machtverhältnisse. „Sind die Beziehungen z.B. durch Ausbeutung zu ökonomischen Zwecken gekennzeichnet oder spielt emotionale Zuwendung eine Rolle?“ Überrascht hat die Philologin, dass die Autoren ein wirkliches Interesse an Tieren zeigen. „In einer Fabel beschreibt Babrios detailliert den Alltageines Esels, der Lasten trägt und als Nutztier seine Rolle hat, bis er sich in den Esel regelrecht hineinversetzt. Dabei wird deutlich“, führt sie aus, „dass der Esel wie das Haushündchen seines Herren behandelt werden möchte. Der Esel sehnt sich nach Liebe und Zuwendung, bricht aus seinem Stall aus, rennt in das Zimmer seines Herrn und wirft sich ihm an den Hals.“ Das führt am Ende dazu, dass eine große Panikentsteht und der Esel erschlagen wird. Für Hedwig Schmalzgruber sagt dieser Text viel aus.

„Oder eine alte Witwe hält sich ein Schaf“, berichtet sie aus einer anderen Fabel des Dichters. „Siemöchte möglichst viel Wolle von ihrem Schaf bekommen. Doch sie setzt ihre Schere so nah an der Haut an, dass sie das Schaf verletzt.“ Daraufhin erhebt das Tier seine Stimme: „Wenn Du mein Fleisch willst, dann hole bitte einen Metzger, der macht das richtig. Wenn Du nur meine Wolle willst“, fasst die Philologin zusammen, „dann hol einen Scherer, der mit dem Werkzeug umzugehen weiß.“ Eine ihrer Lieblingsfabeln, wie Schmalzgruber betont. „Daran finde ich einerseits frappierend, wie das Schaf fordert, als Tier angemessen behandelt zu werden. Andererseits zweifelt das Schaf überhaupt nicht daran, dass es zum Nutzen der Witwe da ist.“

Als kulturelle Botschafterin in der Forschung

Hier lassen sich Ansätze einer artgerechten Haltung erkennen. Auch zeige das Beispiel, dass Frauen in der antiken Fabel oft schlecht wegkommen. „Sie gehen mit ihren Tieren grob und rücksichtslos um“, erläutert Schmalzgruber. In ihrer Stimme klingt Erleichterung mit, dass sie den Ansatz der Gender Studies nicht weiterverfolgt hat. „Der jetzige Zugriff über die Tierperspektive ist facettenreich und vielschichtig“, resümiert sie. „Die Genderfrage wäre insgesamt nicht so ergiebig gewesen.“

Dr. Hedwig Schmalzgruber hofft, Mitte 2022 ihre Habilitation abzuschließen. „Ich möchte in der Wissenschaft bleiben, das ist meine Leidenschaft“, stellt sie klar. In jedem Fall verfolgt sie neben ihren Forschungsthemen noch eine weitere Mission: „Latein darf nicht aus den Lehrplänen verschwinden“, mahnt sie mit Blick auf unser kulturelles Erbe. „Forschung zum Corona-Virus ist jetzt zwar wichtiger als eine Studie über antike Fabeln. Doch langfristig gilt es, die Wurzel unserer Kultur, zu der Lateinlernen gehört, nicht abzuschneiden.“

Die Forscherin

Dr. Hedwig Schmalzgruber studierte Latein, Deutsch sowie Griechisch an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2017 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Klassische Philologie der Universität Potsdam.
E-Mail: hedwig.schmalzgruberuni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2022 „Zusammen“.

Published

Online editorial

Sabine Schwarz