Was haben Sie gemacht, bevor Sie Ihr Stipendium an der Universität Potsdam angetreten haben?
Bevor ich hierherkam, war ich Postdoc-Stipendiatin in der Forschungsgruppe „Astrophysik Binärer Schwarzer Löcher“ an der Universität Mailand-Bicocca. Ich habe dort an der Anwendung und Entwicklung von Bayesschen Analysemethoden gearbeitet. Mit solchen Methoden aus der Wahrscheinlichkeitstheorie können die Daten der beiden Gravitationswellendetektoren LIGO und Virgo ausgewertet werden. Während meiner Zeit in Mailand habe ich die Bayessche Statistik bei der Analyse von Daten angewendet, die aus Netzwerken gleichmäßig rotierender Pulsare stammen. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Art von Neutronensternen, die Radiowellen aussenden und als Gravitationswellendetektoren im galaktischen Maßstab genutzt werden.
Was leisten diese beiden Detektoren? Können Sie die von Ihnen verwendete Methode näher erläutern?
Es handelt sich bei diesen Instrumenten um gigantische Laser-Messgeräte, die Gravitationswellen aufspüren können – also Verzerrungen der Raumzeit, die von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagt werden. Der Detektor LIGO wird von Caltech und MIT in den USA betrieben, Virgo befindet sich am European Gravitational Observatory bei Pisa in Italien. Gravitationswellensignale verursachen Längenänderungen des uns umgebenden Raumes, die ungefähr 10.000 Mal kleiner sind als ein Atomkern. Deswegen besteht LIGO aus zwei L-förmigen Detektoren mit einer Länge von jeweils vier Kilometern, die aufeinander abgestimmt werden, obwohl sie 3.000 Kilometer weit auseinanderliegen. Bei diesen Detektoren handelt es sich um die größten optischen Präzisionsinstrumente der Welt. Virgo ist mit einer Armlänge von drei Kilometern nicht weniger beeindruckend. Seit 2017 führen die Teams von Virgo und LIGO gemeinsame Beobachtungsläufe durch. Sie sind dadurch sehr erfolgreich beim Aufspüren der winzigen Wellensignale.
Die von mir verwendete Methode, die Bayessche Analyse, basiert auf Statistik zur Schätzung unbekannter Parameter. Insbesondere verwende ich Gravitationswellendaten von Signalen, die von zwei sich umkreisenden schwarzen Löchern oder Neutronensternen abgegeben werden. Ziel ist es, den Gültigkeitsbereich der Allgemeinen Relativitätstheorie einzuschränken und Parameter für Gleichungen zu finden, mit denen sich ein physikalischer Zustand, wie gas- oder plasmaförmig, mathematisch beschreiben lässt.
An welchem Forschungsprojekt werden Sie in Potsdam arbeiten?
Auch hier werde ich mit LIGO- und Virgo-Daten von Neutronensternen arbeiten. Ein Neutronenstern besitzt mehr Eigenschaften im Vergleich zu einem schwarzen Loch und ist dadurch als Forschungsobjekt interessanter. Ich plane die Entwicklung von Modellierungstechniken zur Unterscheidung zwischen einer binären Neutronensternquelle und einem „Nachahmer“, also einem Objekt, das ein ähnliches Signal aussendet. Was ich an meiner Forschung spannend finde: Ohne das Gravitationswellensignal wüsste man nicht, dass ein bestimmtes Ereignis wie die Kollision zweier Neutronensterne stattgefunden hat, falls es nicht von elektromagnetischen Signalen begleitet wird.
Ihr Gastgeber an der Universität Potsdam ist Prof. Tim Dietrich, Leiter der Arbeitsgruppe Theoretische Astrophysik. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit ihm ergeben?
Bevor ich die Stelle an der Universität Mailand-Bicocca bekam, war ich Junior-Postdoc am NIKHEF, dem National Institute for Subatomic Physics in Amsterdam. Zur selben Zeit war Tim Dietrich als Postdoc mit einem Marie-Curie-Stipendium dort und hat an Zustandsgleichungen gearbeitet. Wir haben beide Daten von Gravitationswellen analysiert, die durch binäre Neutronensternsysteme ausgesendet wurden, allerdings ist meine Expertise die Datenanalyse und seine die theoretische Modellierung von Wellenformen.
Abgesehen vom Stipendium – wie unterstützt Sie die Humboldt-Stiftung?
Ich bin bereits Ende Oktober letzten Jahres angekommen und mir wurde zu Beginn ein Deutschkurs angeboten. Das war sehr nützlich, um die Sprache etwas zu lernen. Außerdem hatte ich erst einmal Ruhe und Zeit, um alles zu organisieren. Die Humboldt-Stiftung hat sich auch um den Umzug gekümmert. Zusätzlich zu meinem Stipendium erhalte ich finanzielle Unterstützung für Geräte und Reisekosten. Sogar Kurzaufenthalte an anderen Institutionen innerhalb Europas werden bis zu einer Dauer von sechs Monaten übernommen, wenn sie der Fertigstellung meiner beantragten Forschung dienen. Das ist ein großer Vorteil, um eine Zusammenarbeit zu etablieren.
Wie war Ihre Ankunft hier in Potsdam? Wie haben Sie die ersten Wochen in Ihrer neuen Arbeitsgruppe erlebt?
Ich wohne in einer Wohnung in der Nähe von Potsdam. Das Welcome Center Potsdam hat mir geholfen, diese Wohnung zu finden und auch bei vielen anderen organisatorischen Fragen. Ohne diese wertvolle Unterstützung wäre es nicht so einfach gewesen. Da sich der Forschungsschwerpunkt meiner Arbeitsgruppe etwas von meiner eigenen Forschungsrichtung unterscheidet, gibt es noch nicht so viele Anknüpfungspunkte. Seit kurzem habe ich jedoch begonnen, eine Studentin aus meiner ehemaligen Gruppe in Mailand zu betreuen, die über das Erasmus-Programm zu Gast ist und hier ihre Masterarbeit anfertigen wird.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2022 „Diversity“ (PDF).