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Im Namen der Evidenz – Das „Center for Economic Policy Analysis“ (CEPA) bündelt empirische Wirtschaftsforschung

Auf dem Foto ist Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Marco Caliendo zu sehen. Das Foto ist von Sandra Scholz.
Photo : Sandra Scholz
Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Marco Caliendo

Mit welchen Mitteln kann die Politik den Arbeitsmarkt am wirksamsten steuern? Kommen staatliche Hilfen in der Corona-Pandemie bei denen an, die sie wirklich brauchen, und helfen sie auch tatsächlich weiter? Wie lassen sich effiziente Klima- und Wirtschaftspolitik vereinen? Wie hoch ist der Gender Pay Gap und wie lässt er sich verringern? Dort, wo volkswirtschaftliche Forschung und politische Praxis sich berühren, setzt das CEPA, das „Center for Economic Policy Analysis“, an. Das 2018 gegründete Zentrum ist ein Think Tank, in dem gesellschaftlich relevante Forschung gebündelt und in den politischen Raum kommuniziert wird. CEPA vernetzt Forschende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam mit externen Partnerinnen und Partnern in Potsdam und Berlin. Vor allem aber führt es Studierende frühzeitig an Forschung heran – und vermittelt ihnen, was wissenschaftliche Expertise leisten kann.

„Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, dass Weiterbildung und lebenslanges Lernen aufgrund der sich ständig wandelnden Anforderungen am Arbeitsmarkt in der Zukunft immer wichtiger werden“, sagt Marco Caliendo. „Gleichzeitig wissen wir, dass manche Personen systematisch weniger an Fortbildung teilnehmen als andere – obwohl sie davon profitieren würden. Woran liegt das?“ Caliendo ist Wirtschaftswissenschaftler und forscht zu Fragen wie diesen, denen sich auch das CEPA widmet. Das Zentrum hat der Professor für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Potsdam gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen gegründet, um Forschung und Lehre mit dem Transfer in Politik und Gesellschaft zu verbinden. So zählen zu den Fellows Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fakultät, aber auch anderer fachlich verwandter Institute in Potsdam und Berlin wie dem Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung (PIK), dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW), dem Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und der Berlin School of Economics (BSE). Einige von ihnen sind gemeinsam berufene Professorinnen und Professoren an der Uni Potsdam – wie Matthias Kalkuhl vom MCC, Katharina Wrohlich und Alexander Kritikos vom DIW oder Elmar Kriegler vom PIK. „Wir bündeln unsere Forschung in einem exzellenten, aber eben auch kompetitiven Forschungsumfeld der Metropolregion“, erklärt Caliendo. „Das macht uns nicht zuletzt sichtbarer und attraktiver für Studierende und Promovierende.“ Denn diese sind im CEPA ebenso wichtiger Bestandteil wie die Senior Members, zu denen vor allem Postdocs sowie Professorinnen und Professoren gehören.

Wirtschaftswissenschaftliche Thesen empirisch belegen

Sie alle verbindet das Interesse an empirischer Forschung und gesellschaftspolitisch relevanten Fragestellungen. Die meisten Mitglieder stammen aus den Wirtschaftswissenschaften wie Marco Caliendo oder verwandten Disziplinen. Caliendo untersucht schon seit vielen Jahren, mit welchen Instrumenten der Arbeitsmarkt unterstützt und gesteuert werden kann. Beispielsweise analysierte er, wie sich die Einführung von Mindestlöhnen auswirkte. Schon 2017 konnte er gemeinsam mit Kollegen vom DIW zeigen, dass der Mindestlohn zwar eine starke Steigerung niedriger Löhne bewirkte, aber dass längst nicht alle, die einen Anspruch darauf hatten, ihn auch bekamen. Konkret habe die Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 dazu geführt, dass bei den zehn Prozent der Beschäftigten, die am wenigsten verdienen, die Löhne zwischen 2014 und 2016 um 15 Prozent gestiegen sind. Gleichzeitig errechneten die Forschenden, dass zwei Jahre nach der Einführung des Mindestlohns noch bis zu 1,8 Millionen Erwerbstätige weiterhin unter 8,50 Euro pro Stunde verdienten. „Das Instrument funktioniert also dahingehend, dass es niedrigen Löhnen einen Schub verleiht“, resümiert Marco Caliendo. „Gleichzeitig muss die Politik aber auch dafür sorgen, dass der Mindestlohn bei allen ankommt, die Anspruch darauf haben.“

Möglich wird ein solches empirisches Projekt, das Aussagen über mehr als 44 Millionen arbeitende Menschen in Deutschland trifft, dank umfassender Erhebungen wie dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), der größten und am längsten laufenden multidisziplinären Langzeitstudie in Deutschland. „Dass in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften immer mehr Daten gesammelt und verfügbar gemacht werden, hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einer kleinen empirischen Revolution in der VWL geführt“, erklärt Caliendo. „Unser Ziel ist es, wissenschaftliche Thesen, die wir entwickeln, empirisch zu belegen.“ Wissenschaft fassbar zu machen, sie aus den Sphären der Theorie in die Praxis zu führen, das verbinde die Forschenden im CEPA, so der Ökonom. Ein direkter Weg führe dabei in den Einflussbereich der Politik. Immerhin könne Wissenschaft zu einer evidenzbasierten Politik beitragen, also mithilfe empirischer Daten belegen, welche Maßnahmen der Politik greifen und welche nicht. Ein Ziel, das auf starkes Interesse der Gegenseite stößt: Das Mindestlohn-Projekt entstand in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg und dem SOEP am DIW in Berlin.

Politik evidenzbasiert beraten

Diesen Austausch holt das CEPA an die Universität, etwa in Form der „CEPA Policy Lecture Series“. Regelmäßig sind dafür Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft für Vorträge und Diskussionen zu Gast, wie zuletzt Stefanie Hiesinger vom Klimakabinett der EU-Kommission, die Vizepräsidentin der Bundesbank, Prof. Dr. Claudia M. Buch, oder Prof. Dr. Andreas Peichl, der Leiter des Zentrums für Makroökonomik und Befragungen am ifo-Institut in München. „Wir wollen unseren Junior Members und Studierenden die Gelegenheit geben, mit politischen Entscheidern und Politikberatern in Austausch zu kommen. Und ihnen auch mitgeben, wie wichtig so ein Austausch ist – für beide Seiten“, so Caliendo. Immerhin hat sich das CEPA auf die Fahnen geschrieben, (Wirtschafts-)Politik nicht nur – nachträglich – zu analysieren und zu bewerten. Man wolle sich als wissenschaftliche Institution auch in Stellung bringen, um bei der Gestaltung zukunftsweisender politischer Rahmen und Programme selbst beraten zu können. „Damit wollen wir dazu beitragen, evidenzbasierte Politikgestaltung als Tradition in Deutschland zu etablieren“, so Caliendo, der Sprecher des CEPA ist. Bei der Vermittlung von Wissenschaft zielt das CEPA aber auch auf eine breitere Öffentlichkeit. „In Forschung und Lehre kennen wir uns aus, aber wenn es um Outreach geht, verlassen wir unsere Komfortzone“, räumt der Forscher ein. „Dabei ist die VWL, in der häufig quantitativ gearbeitet wird, eigentlich sehr gut zu visualisieren und zu kommunizieren. Wir sehen jedenfalls noch Luft nach oben und es gibt viel zu tun!“

Ausgangspunkt und Kernziel des Zentrums ist aber, über Forschung ins Gespräch zu kommen oder gar gemeinsame Projekte auf den Weg zu bringen. Etwa beim wöchentlichen „Potsdam Research Seminar in Economics (PRSE)“, wo alle Mitglieder regelmäßig ihre aktuellen Projekte zur Diskussion stellen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Doktorarbeit oder ein großes Drittmittelprojekt handelt. Beim „CEPA Flash Talk“ geht es sogar explizit darum, Vorhaben in einem frühen Stadium oder erste Ideen vorzustellen und sich Anregungen zu holen. „Natürlich sind solche Formate besonders wertvoll für unsere Junior Members, die sich darin üben zu präsentieren und dabei ihre Projekte entscheidend verbessern können“, sagt Marco Caliendo. Dabei läuft der Wissenstransfer aber keinesfalls nur in eine Richtung. „Auch für die erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das Feedback enorm wichtig.“ Um spannende Ergebnisse über das CEPA hinaus frühzeitig bekannt und einer größeren Forschungscommunity zugänglich zu machen, wurde eine „Discussion Paper Series“ initiiert, die im Universitätsverlag Potsdam erscheint. Alle CEPA-Mitglieder können darin Arbeitspapiere publizieren, deren Veröffentlichung aufgrund des langwierigen Reviewprozesses in den ökonomischen Fachzeitschriften mitunter zwei bis drei Jahre dauert. „Das hilft vor allem dem wissenschaftlichen Nachwuchs, frühzeitig sichtbar zu sein. Für den weiteren Karriereweg kann das auch schon mal entscheidend sein“, sagt Caliendo. Um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, werden im CEPA immer neue Formate entwickelt. Im September 2021 findet bereits der siebte „PhD-Workshop in Empirical Economics“ statt, im April 2021 gab es ein „Coding-Bootcamp“, bei dem anhand praktischer Beispiele gezeigt wurde, wie sich große Datenmengen durch das computergestützte Auslesen von Webseiten gewinnen lassen.

Wer investiert in Weiterbildung?

Aus welcher Motivation heraus sich jemand dafür entscheidet, Zeit und Ressourcen in Weiterbildung zu investieren, beschäftigt Marco Caliendo seit einiger Zeit besonders intensiv. „Ich untersuche in gleich mehreren Projekten sogenannte Humankapitalinvestitionen. Konkret gehe ich der Frage nach, wie die Persönlichkeit von Menschen ihre Entscheidung, an Weiterbildungen teilzunehmen, beeinflusst.“ Auf dem Arbeitsmarkt gefragte Fertigkeiten ändern sich schnell, lebenslanges Lernen gilt längst als unverzichtbar. Und doch konnten Marco Caliendo und sein Team nachweisen, dass Menschen keineswegs gleichermaßen bereit sind, sich weiterzubilden. Verantwortlich sind spezifische Persönlichkeitsmerkmale, z.B. die sogenannte Kontrollüberzeugung. Menschen mit internaler Kontrollüberzeugung sind der Ansicht, dass ihr eigenes Handeln sich auf ihr Leben auswirkt, sie also durchaus Kontrolle darüber haben. Menschen, die eher zu externaler Kontrollüberzeugung neigen, sind überzeugt, dass vor allem externe Faktoren über ihren Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Da sich die Kontrollüberzeugung mithilfe standardisierter Fragebögen relativ gut bestimmen lässt, konnten die Forschenden zeigen, dass Menschen mit internaler Kontrollüberzeugung sich eher weiterbilden lassen. Der Grund: Sie erwarten einfach, dass der Nutzen die Kosten übersteigt. „Erkenntnisse wie diese sind natürlich für Personaler ebenso wichtig wie für Arbeitsvermittler der Arbeitsagentur“, erklärt Caliendo. „Denn sie zeigen klar, dass die Persönlichkeitstypen bei der Vermittlung von Weiterbildung unterschiedlich angesprochen und unterstützt werden sollten.“

In einem Anschlussprojekt untersucht Caliendo nun, wie sich die Persönlichkeit von Managerinnen und Managern, die für die Weiterbildung ihrer Beschäftigten zuständig sind, darauf auswirkt, wer zum Training geschickt wird. Sobald erste Ergebnisse vorliegen, will er diese auch im CEPA zur Diskussion stellen.

Das Projekt

Das „Center for Economic Policy Analysis“ wurde 2018 an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam gegründet und bietet ein attraktives Studien- und Forschungsumfeld: Seine evidenzbasierte Forschung ist eingebettet in die wirtschaftspolitische Sphäre der Region Potsdam-Berlin. Inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf der politikrelevanten Wirtschaftsforschung, dazu gehören Arbeitsmärkte, Ungleichheit, menschliches Verhalten, Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit. Wesentlicher Bestandteil des CEPA ist ein anspruchsvolles wirtschaftswissenschaftliches Curriculum für Bachelor-, Master- und PhD-Studenten (in Kooperation mit der Berlin School of Economics). Zusätzlich können Studierende der Universität Potsdam durch das CEPA-Praktikumsprogramm bei den Partnerinstitutionen Fähigkeiten in der wirtschaftspolitischen Analyse erwerben.

https://www.uni-potsdam.de/en/cepa
@cepa_unipotsdam

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP ist im DIW Berlin Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland und wird unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft (WGL) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Ländern gefördert. Für das SOEP werden seit 1984 jedes Jahr vom Umfrageinstitut Kantar Public mehrere Tausend Menschen befragt. Zurzeit sind es etwa 30.000 Befragte in etwa 15.000 Haushalten. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Persönlichkeitsmerkmale, Bildung, Gesundheit, Einkommen, Erwerbstätigkeit und Lebenszufriedenheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.

Der Forscher

Prof. Dr. Marco Caliendo studierte Volkswirtschaftslehre an der Goethe-Universität Frankfurt und der University of Manchester. Seit 2011 ist er Professor für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Potsdam und am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn als Programmdirektor für den Bereich „Evaluation von Arbeitsmarktpolitik“ zuständig.
E-Mail: marco.caliendouni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2021 „Aufbruch“ (PDF).