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Sorge – die unsichtbare Arbeit – Der Soziologe Roland Verwiebe über Care Work

Mann mit zwei Kindern steht in der Küche und wäscht ab. Das Foto ist von AdobeStock/Halfpoint.
Auf dem Foto ist Prof. Dr. Roland Verwiebe im Gespräch zu sehen. Das Foto ist von Kaya Neutzer.
Photo : AdobeStock/Halfpoint
Haushaltführung und Betreuungsarbeit kosten insbesondere Eltern sehr viel Zeit.
Photo : Kaya Neutzer
Prof. Dr. Roland Verwiebe

Es ist 20.30 Uhr und die Kinder müssen ins Bett. Bis sie endlich schlafen, ist meist eine Stunde vergangen. Ein Anruf bei der alleinstehenden Mutter steht an; der älteste Sohn hat Ärger mit den Klassenkameraden und sucht Trost bei den Eltern. Und wer wischt eigentlich den Küchentisch nach den drei täglichen Mahlzeiten ab? Sorgearbeit oder auch Care Work umfasst eine Vielzahl kleinerer und größerer Handlungen, die für viele erst einmal gar nicht als Arbeit erscheinen – und die doch sehr viel Zeit und auch Kraft kosten. Während die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern seit einigen Jahren zunehmend diskutiert wird, ist die Arbeit, die zu Hause, im Privaten, geleistet wird, bisher kaum ein öffentliches Thema. Im Interview erklärt Roland Verwiebe, Professor für Sozialstrukturanalyse und soziale Ungleichheit, warum das so ist.

Was versteht man unter Care Work?

Hier geht es einerseits um Versorgung und Pflege von älteren Familienmitgliedern, die im Lebensalltag eine Unterstützung in Anspruch nehmen müssen, und andererseits um die Betreuung, Erziehung und aktive Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen. Dazu gehören aber auch die informellen Hilfen für andere Haushalte, etwa für ältere Nachbarn, und Tätigkeiten der Haushaltsführung wie Reparaturarbeiten, organisatorische Aufgaben, Gartenpflege etc.

Wie wirken sich diese Sorgeaufgaben auf diejenigen aus, die sie übernehmen?

Betreuungsarbeit kann sehr viel Stress bedeuten und sich auf die psychische und physische Gesundheit niederschlagen. Eltern mit kleinen Kindern schlafen jahrelang sehr schlecht. Dazu können hohe berufliche Anforderungen kommen. Frauen sind stärker betroffen von diesen Mehrfachbelastungen, da sie deutlich mehr Betreuungsarbeit als Männern leisten.

Warum sind es denn vor allem Frauen, die diese Aufgaben übernehmen?

Es gibt Studien, die zeigen, dass in Haushalten mit Kindern die Betreuungsarbeit bei zehn bis zwölf Stunden pro Tag liegen kann. Das sind Durchschnittswerte. Individuelle Haushalte können davon abweichen. Frauen übernehmen in der Bundesrepublik einen noch immer deutlich größeren Anteil dieser Aufgaben. Je nach Erwerbssituation des Haushaltes erledigen Frauen zwischen 35 und 150 Prozent mehr Betreuungsarbeit als Männer. Das hat verschiedene Gründe. Gesellschaftliche Normen und Rollenbilder spielen dabei eine Rolle, aber auch die individuellen Präferenzen von Männern und Frauen und die in Paarhaushalten verabredete Arbeitsteilung. Da Männer noch immer häufig in besser bezahlten Berufen arbeiten, entscheiden sich Paare teilweise auch aus ökonomischen Gründen dafür, dass Frauen ihre Arbeitszeit verkürzen, falls das nötig ist, um eine hohes Volumen von Betreuungsarbeit leisten zu können. Zum Beispiel, wenn in einem Haushalt drei oder mehr kleine Kinder leben und sogar noch zusätzlich eine ältere Person gepflegt werden muss.

Wäre es nicht möglich, Care-Arbeit zu bezahlen?

Bei der häuslichen Pflege von Familienangehörigen mit einem hohen Pflegegrad gibt es eine finanzielle Unterstützung aus der Pflegeversicherung. Die Betreuungsarbeit von Kindern wird in Deutschland nicht bezahlt – aber auch in keinem anderen europäischen Land. Es ist aus meiner Sicht nachvollziehbar, dass man diese Forderung stellt. Von den Befürwortern dieser Idee müsste allerdings besser argumentiert werden, wie das konkret umsetzbar ist. Wird jemand, der zwei Kinder zu Hause betreut, besser bezahlt als jemand, der ein Kind betreut? Werden dafür in Deutschland die Steuern erhöht oder welche anderen Sozialleistungen entfallen dann? Eine realistische politische Forderung wäre, die Rentenansprüche von Frauen und Männern zu erhöhen, die aufgrund von großen häuslichen Betreuungsaufgaben ihre Arbeitszeit verringern oder sogar ihren Job aufgeben müssen.

Passen Sorgearbeit und Erwerbstätigkeit überhaupt zusammen?

Die Anforderungen in sehr vielen Berufen haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv erhöht. Dazu kommt eine Entgrenzung von Arbeitszeiten in den Feierabend und das Wochenende, die in den Überstundenstatistiken nicht wirklich erfasst werden. Das ökonomische Prinzip und das Prinzip Familie widersprechen sich also sehr stark und auch stärker als in der Vergangenheit. Man kann sich diesbezüglich etwas von den Niederlanden abschauen. Hier wurde vor einigen Jahren das Teilen von Arbeitsplätzen und die Einrichtung von Teilzeitjobs, die das Wahrnehmen von Betreuungsarbeit erleichtern, durch den Staat sehr gefördert.

Was muss politisch und gesellschaftlich geschehen, damit Care Work sich lohnt?

Lohnen tut sich Care-Arbeit immer, da man etwas für das soziale und gesundheitliche Wohlbefinden der eigenen Kinder oder von nahen Verwandten oder ggf. Freunden tut. Das wird meines Erachtens in dieser Art der Diskussion sehr wenig bedacht. Ich würde also nicht nur bei einer Entlohnung dieser Arbeit ansetzen, sondern über eine gesellschaftliche Anerkennung in einem weiteren Sinne nachdenken wollen. Eine Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen wäre ein Weg, ein weiterer Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten stünde an, Arbeitgeber müssten mehr auf die Bedürfnisse von Beschäftigten mit Kindern eingehen, die teilweise nicht in gleichem Maße produktiv sein können wie andere Beschäftigte. Betriebe, die familienfreundliche Politiken umsetzen, sollten ggf. finanziell dafür auch Unterstützung erhalten. Letztlich sollte man viel stärker die Einzelpersonen und Familien direkt einbeziehen, die viel Betreuungsarbeit leisten und dadurch teilweise stark belastet sind. Was brauchen diese Menschen, was müsste anders laufen? In der öffentlichen Debatte haben diese Personen im Grunde keine Stimme. Das wäre aus meiner Sicht ein erster Schritt in einem Prozess, der auf die Verbesserung der Lage von Care-Arbeiterinnen und -arbeitern abzielt.
 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2021 „Familie und Beruf“ (PDF).