Kennen Sie Elisabeth Hauptmann? Nicht? Und Bertolt Brecht? Sicher. Hauptmann war Brechts Geliebte; gleichzeitig war sie selbst Schriftstellerin, arbeitete für ihren berühmten Gefährten – und schrieb mit ihm gemeinsam die „Dreigroschenoper“. Kein ungewöhnliches Schicksal für eine schreibende Frau, die einen berühmten Literaten an ihrer Seite hatte oder hat. Mitunter verschafft die Beziehung ihr selbst etwas zusätzliches Prestige. Doch genau das offenbart das Problem, das solchen Beziehungen innewohnt, sagt Hannah Gerlach. „Sowohl Narrative paarweiser Arbeit wie geschlechterbezogene Rollenbilder sind in vieler Hinsicht weitgehend festgefahren“. Die Potsdamer Literaturwissenschaftlerin widmet sich im Kontrast dazu einer Tendenz, die sich gerade im 20. Jahrhundert und häufig speziell in Texten von Literatinnen zeigt, die einem sogenannten „schreibenden Paar“ angehören: Die Wahrnehmung von vermeintlichen Paaren wird verhandelt. Und das Ideal der Produktionsgemeinschaft wird nicht selten zum Spott- oder Kritikgegenstand.
Literarische Paare gegen den Strom lesen
Entsprechende Korrekturen des „Paar“-Ideals rückt Hannah Gerlach als Wechselspiel von Medien und Textformen in den Vordergrund: In ihrem Promotionsprojekt mit dem Arbeitstitel „Das ‚Paar‘ als Label. Paardiskurse im deutschsprachigen Literaturbetrieb des 20. und 21. Jahrhunderts“ nimmt sie Feuilletons, Forschungsartikel und die literarischen Werke einiger Frauen in den Blick, die selbst berühmte Partner hatten. Sie rückt dabei drei Schriftstellerinnen in den Vordergrund: die mit Brecht zeitweise liierte Marieluise Fleißer, Inge Müller, die mit Heiner Müller verheiratet war, und Friederike Mayröcker. Letztere war Partnerin Ernst Jandls. Texte aller drei Schriftstellerinnen gehen dem Narrativ des „schreibenden Paars“ auf ganz unterschiedliche Weise nach. „Auffallend oft werden in den Texten der Autorinnen allerdings paarweise Produktionsmodelle revidiert“, so Hannah Gerlach.
Und das oft entgegen der Rezeption der Schriftstellerinnen: In populärwissenschaftlichen Büchern wie Teilen der Literaturwissenschaft ist das „schreibende Paar“ bis heute ein geflügeltes Wort – und in der Regel steht dabei der Mann der angenommenen Konstellation im Zentrum. Nicht umsonst sind auch „Brechts Frauen“ diverse Artikel und Bücher gewidmet. „Die Bücher verkaufen sich so auch besser“, sagt Hannah Gerlach. „Brecht ist einfach jedem ein Begriff. Er hat sich einen Namen gemacht, im wahrsten Sinne des Wortes, und das zählt im Kunstbetrieb. Elisabeth Hauptmann oder selbst die mit eigenen Werken erfolgreichere Marieluise Fleißer werden dagegen gern als ‚Brechts Frauen‘ verhandelt.“ Und auch in Kritiken von Zeitgenossen werden die mit Schreibenden liierten Schriftstellerinnen oft als Partnerinnen von Männern rezipiert und rezensiert, wie das Schicksal von Elisabeth Hauptmann schonungslos offenlegt: „Bei ihr ging das so weit, dass ihr unterstellt wurde, sie habe einen unter ihrem Namen veröffentlichten Text gar nicht selbst geschrieben und unter anderem Brecht sei dafür verantwortlich. Die Literaturwissenschaftlerin Sabine Kebir hat das vor Jahren schon zum Thema gemacht.“ Entsprechender Vorbehalte – gerade im Zusammenhang mit Ideen des „schreibenden Paars“ – hat sich die Literaturwissenschaft partiell bereits angenommen, besonders aus feministischer Perspektive. Wie viele Texte von Autorinnen zum Thema existieren, werde allerdings weitgehend vernachlässigt, sagt Gerlach. Eine Forschungslücke, die die Literaturwissenschaftlerin schließen möchte. „Es wird oft gesagt, Texte zur künstlerischen Arbeits- als Geschlechtergemeinschaft stammten weitestgehend von Männern. Ich habe mir Texte der Frauen angeschaut und festgestellt: Das stimmt nicht. Sie schreiben allerdings teils in anderen Formaten als ihre Kollegen, eher in literarischen Texten als in theoretischen Abhandlungen, vielfach auch hintergründiger.“ Die Schriftstellerinnen beschäftigen sich, so Hannah Gerlach, oftmals speziell mit weiblichen Funktionsrollen, also jenen Aufgaben, die den Frauen in literarischen „Paaren“ angetragen wurden – als Kritikerinnen, als Beraterinnen, als Co-Autorinnen.
Selbstbewusste schreibende Frauen mit eigener Stimme
Dabei geht es Hannah Gerlach um Tendenzen, die sich vornehmlich, aber nicht ausschließlich in Texten von Schriftstellerinnen finden: „Ich hatte mal überlegt, auch Ernst Jandl in der Arbeit ausführlicher zu diskutieren, da er sich sehr gegen den Paardiskurs gewehrt hat. Er wetterte sowohl in Zeitungsartikeln wie bei seinen Verlegern gegen das Narrativ, das fand ich spannend. Aber es hätte den Rahmen gesprengt – zumal die meisten entsprechend gegenläufigen Texte tatsächlich von Autorinnen stammen.“ Friederike Mayröcker ist die Wissenschaftlerin in Wien persönlich begegnet. „Es war spannend, sie zu treffen und zu hören, was sie über meine Forschung denkt. Sie war begeistert von dem Thema. Das hat mich natürlich gefreut. Und es war sehr interessant, ihre Einschätzungen von Texten zu hören“, erzählt die Nachwuchsforscherin. Sie räumt allerdings ein, dass ein persönliches Treffen die literaturwissenschaftliche Arbeit auch erschweren könne. Einerseits seien die Eindrücke inspirierend, andererseits sei es eine Herausforderung, sie den Blick auf die Texte nicht fixieren zu lassen. Ein Reiz an Mayröckers Arbeiten, so Gerlach, sei, dass sie oft ironisch mit dem Thema „Paar“ umgingen. Sie lotsten den Leser absichtlich auf eine stereotype Fährte – etwa die der Verfasserin als bedauernswerte Autorengattin. Im Laufe der Lektüre werde aber auch die Ironie vieler Texte deutlich. „Auch des Austauschs über solche Schreibweisen wegen war das Gespräch mit Friederike Mayröcker spannend“, erzählt Hannah Gerlach. Marieluise Fleißers und Inge Müllers Texte seien im Vergleich dazu, trotz inhaltlicher Verbindungen, ganz anders konstruiert: „In Fleißers Werken spielt Ironie ebenfalls eine große Rolle, aber es wird auch oft dramatisch: Frauen an der Seite von Künstlern gehen da teils – im wahrsten Sinne des Wortes – zugrunde. Inge Müller verfasste vor allem Dramatik und Lyrik. Komik spielt eine deutlich geringere Rolle, als in den Werken der beiden anderen. Gleichzeitig sind viele Arbeiten statt der üblicheren biografischen Lesart als Repliken auf andere literarische Texte verständlich.“
„Was uns Frauen fehlt …“
Zu den Debatten um „schreibende Paare“ kam Hannah Gerlach unter anderem durch ihr Interesse an der Rezeption von Literatur, mit der sie sich schon länger beschäftigt. So hat sie zu Paul Zech gearbeitet, einem deutschen Autor, der von 1881 bis 1946 lebte. „Er war zu Lebzeiten vielfach mit Plagiatsvorwürfen und mit Vorwürfen sonstiger Betrügereien konfrontiert – zu Recht. Die daraus hervorgegangene Idee, Zech würde krankhaft lügen, ließ sein teils hochpolitisches und witziges Spiel mit Realitäten im Exilwerk gar nicht mehr erkennbar werden. Das fand ich bei ihm spannend. Es ist ein ganz anderes Beispiel dafür, wie die Lebensgeschichten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern die Wahrnehmung ihrer Texte beeinflussen können. Aber entsprechend vorgeprägte Rezeptionsweisen finden sich eben auch in vielen Fällen der sogenannten ‚schreibenden Paare‘.“ Ein Thema, das letztlich nicht nur literaturwissenschaftlich spannend ist, sondern auch heute noch vielen Frauen im Kultur- und Literaturbetrieb auf den Nägeln brennt: Denn wie schon die Lyrikerin Mascha Kaléko in einem Gedicht schrieb: „Was uns Frauen fehlt, ist des Künstlers Frau.“
Die Forscherin
Hannah Gerlach studierte Germanistik und Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie Neuere deutsche Literatur Kultur, Medien und Modern Languages an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der University of Oxford. Seit 2017 promoviert sie an der Universität Potsdam bei Prof. Dr. Fabian Lampart zu Paardiskursen im deutschsprachigen Literaturbetrieb des 20. und 21. Jahrhunderts.
E-Mail: hannah.gerlachuuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.