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„Die Fellows können neue Kontakte aufbauen und Netzwerke knüpfen“ – Claudia Rößling vom Welcome Center über die Philipp Schwartz-Initiative für gefährdete Forschende

Claudia Rößling leitet das Welcome Center, das auch die Fellows der Philipp Schwartz-Initiative betreut, die nach Potsdam kommen. | Foto: privat
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Claudia Rößling leitet das Welcome Center, das auch die Fellows der Philipp Schwartz-Initiative betreut, die nach Potsdam kommen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in ihrer Heimat nicht mehr arbeiten können, weil sie bedroht oder verfolgt werden, haben seit 2015 die Möglichkeit, ihre Arbeit an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen fortzusetzen – mit einem Stipendium der Philipp Schwartz-Initiative, die vom Auswärtigen Amt und der Alexander von Humboldt-Stiftung ins Leben gerufen wurde. Mittlerweile geht das Programm in die zehnte Runde. Bislang konnten sechs Fellows an die Universität Potsdam kommen. Die Beschäftigten des Welcome Center haben ihnen geholfen, in Potsdam anzukommen und alle Hürden zu bewältigen, die ein Neuanfang in einem fremden Land mit sich bringt. Matthias Zimmermann sprach mit Claudia Rößling, der Leiterin des Welcome Center, über den Wert der Initiative, die besonderen Herausforderungen, die sie für das Welcome Center mit sich bringt, und wie sich das Programm im Laufe der Jahre verändert.

Warum braucht es die Philipp Schwartz-Initiative (PSI) Ihrer Ansicht nach?

Leider beobachten wir in vielen Ländern, dass die Wissenschaftsfreiheit zunehmend eingeschränkt wird. Die aktuelle Datenauswertung des Academic Freedom Index zeigt, dass 80 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern lebt, in denen die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird. Gravierende Verschlechterungen wurden im vergangenen Jahr in Belarus, Hongkong, Sambia und Sri Lanka beobachtet.
Programme wie die Philipp Schwartz-Initiative in Deutschland, PAUSE in Frankreich oder die des International Education Scholar Rescue Funds (weltweit) sind daher immens wichtig, um den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Perspektive zu bieten, ihre Forschung in einer sicheren Umgebung fortzuführen. In Deutschland haben neben der Humboldt-Stiftung auch der DAAD, die Einstein-Stiftung, die Academy in Exile und regionale Initiativen ein wachsendes Unterstützungsangebot für gefährdete Forschende geschaffen.

Die Universität Potsdam hat in den vergangenen Jahren mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die PSI aufgenommen. Wie kam es dazu?

Bislang lief das an der UP vor allem über existierende Kontakte in Forschungskooperationen, auch über PSI-Fellows, die bereits hier waren. Es gibt aber auch die Möglichkeit, direkt über das SAR-Netzwerk nach fachlich geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten zu suchen und über diese Plattform den Erstkontakt mit den gefährdeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herzustellen. Die Auswahl der PSI-Fellows erfolgt dann durch ein zweistufiges Bewerbungsverfahren: Die Mentoren reichen zunächst eine Nominierung für ihre Kandidaten an der UP ein, dann entscheidet eine Auswahlkommission darüber, welche Anträge an die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) weitergeleitet werden. Die finale Entscheidung über die Auswahl trifft wiederum ein Expertengremium der AvH. Inzwischen ist das Verfahren etabliert, es finden zweimal pro Jahr Auswahlsitzungen und Nominierungen an der UP statt. Wir haben bislang zehn Kandidatinnen und Kandidaten nominiert, sechs davon haben bereits ein Stipendium erhalten. Von den sechs Stipendiaten sind bzw. waren vier an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät und zwei an der Philosophischen Fakultät. Das hängt vor allem mit dem Engagement einzelner Mentoren zusammen. Das Programm ist generell für alle Fachrichtungen offen.

Wie funktioniert die Betreuung der PSI-Fellows?

Die Fellows werden natürlich in erster Linie an den Lehrstühlen in den Instituten betreut. Hier findet vor allem die fachliche Betreuung statt, die Einbindung in Arbeitskreise, Kolloquien, die Organisation von Tagungen und Veranstaltungen. Als Welcome Center unterstützen wir hauptsächlich organisatorisch und insbesondere bei aufenthaltsrechtlichen Fragen. Diese sind hier sehr viel diffiziler als bei anderen internationalen Forschenden und häufig arbeiten wir in der Beratung auch mit Rechtsanwälten zusammen. Ansonsten fallen die Wohnungssuche, die Unterstützung der mitreisenden Familie, die administrativen Angelegenheiten und die Beratung zu weiterführenden Unterstützungsangeboten in unseren Bereich. Denn natürlich stehen den Fellows alle sonstigen Beratungsangebote der UP zur Verfügung – seien es die Sprachkurse des Zessko, Qualifizierungskurse über die PoGS oder die Beratung zur Forschungsförderung und Antragstellung durch das Dezernat 1.

Viele Fellows werden bedroht oder gar verfolgt und müssen besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Wirkt sich das auf die Arbeit des IO bei Ihrer Betreuung aus?

In der Kommunikation sind wir sehr vorsichtig, verwenden nur Namenskürzel, schicken Dokumente passwortgeschützt und fragen immer nach dem Einverständnis der Fellows, wenn wir Dritte in die Beratung/Kommunikation einbeziehen. Fellows mit Haft- und Fluchterfahrung brauchen häufig auch eine intensivere, sehr einfühlende Beratung.  

Wie können die PSI-Fellows langfristig von ihrem Aufenthalt in Potsdam bzw. ihren Fellowships profitieren?

Vor allem durch die sehr gute Forschungsinfrastruktur und die Einbindung in Arbeitsgruppen und laufende Projekte an der UP. Die Fellows lernen, wie das Wissenschaftssystem in Deutschland funktioniert, können neue Kontakte aufbauen und Netzwerke knüpfen. Auch wenn es einige Zeit braucht, in Deutschland Fuß zu fassen, ist das Stipendium ein wichtiger Schritt in ihrer Karriereentwicklung. Während einige Kandidaten in ihrer Heimat nur national publizieren konnten, haben sie hier durch international aufgestellte Forschungsgruppen die Möglichkeit, auch international zu publizieren und an Tagungen weltweit teilzunehmen. So wird der Grundstein gelegt, Anträge für ein eigenes Projekt zu stellen oder sogar eine eigene Stelle zu finden.

Wie geht es Ihrer Erfahrung nach für die PSI-Fellows nach dem Ende der Fellowships weiter?

Da die Stipendiaten ja bis zu drei Jahre hierbleiben, haben wir bislang erst einen Kandidaten, dessen Stipendium an der Uni Potsdam abgelaufen ist. Dieser hat sich für ein weiteres Forschungsstipendium beworben und hat jetzt eine Anbindung an eine Gastinstitution in Berlin.

Hat sich das Programm Ihrer Ansicht nach im Laufe der Jahre geändert? Wie?

In den ersten Jahren waren Fördervolumen und Ausschreibungsturnus unsicher, mittlerweile ist das Programm finanziell gut ausgestattet und verstetigt. Es gibt nun zweimal jährlich eine Ausschreibung für ca. 30 Stipendien deutschlandweit, man kann hier also viel verlässlicher planen.
Aber das Programm ist auch kompetitiver geworden. Während in den ersten Jahren der Antragsstellung die Erfolgschancen relativ hoch waren, gibt es inzwischen weniger Stipendien pro Antragsrunde, jedoch mehr Nominierungen. Des Weiteren hat die AvH in diesem Jahr das Programm umgestellt und bietet nun die Wahlmöglichkeit zwischen Stipendium oder Arbeitsvertrag. Dies ist für die Kandidaten eine wunderbare Option, bedeutet aber natürlich auch einen größeren administrativen Aufwand auf unserer Seite.

Vielen Dank!

 

Das Gespräch ist Teil einer Serie zur Philipp Schwartz-Initiative. Das Interview mit Prof. Dr. Jürgen Mackert finden Sie hier.