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Alter ohne Schwäche – Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler erforschen, wie das Zusammenspiel von Genen, Ernährung und Bewegung den Muskelabbau im Alter beeinflusst

Nachwuchswissenschaftler der Uni Potsdam und des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke erforschen, wie das Zusammenspiel von Genen, Ernährung und Bewegung den Muskelabbau im Alter beeinflusst. | Foto: AdobeStock/andreusK
Im Labor am DIfE | Foto: David Ausserhofer/DIfE
Übungsbeispiel | Foto: Dr. Tilman Engel
Photo : AdobeStock/andreusK
Nachwuchswissenschaftler der Uni Potsdam und des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke erforschen, wie das Zusammenspiel von Genen, Ernährung und Bewegung den Muskelabbau im Alter beeinflusst.
Photo : David Ausserhofer/DIfE
Im Labor am DIfE
Photo : Dr. Tilman Engel
Übungsbeispiel
Viele Menschen spüren schon ab 50, dass ihre Kraft allmählich nachlässt und Bewegungen immer schwieriger werden. Das ist normal, denn in dieser Lebensphase verliert jeder Mensch jährlich etwa ein bis zwei Prozent seiner Muskelmasse. Bei einigen Menschen ist dieser altersbedingte Muskelschwund jedoch besonders groß. Sie leiden unter einem Phänomen, das in der Medizin als Sarkopenie bekannt ist. Rund fünf bis zehn Prozent aller 60- bis 70-Jährigen und sogar bis zu 50 Prozent der über 80-Jährigen verlieren rapide an Muskelkraft und werden gebrechlich. Damit steigt auch die Gefahr, sich durch Stürze zu verletzen. Eine Nachwuchsforschungsgruppe untersucht, welche Auslöser bei Sarkopenie eine Rolle spielen und was dagegen helfen könnte.

Warum einige Menschen im Alter Muskeln schneller abbauen als andere, ist noch nicht vollkommen verstanden. „Sarkopenie ist eine sehr komplexe Erkrankung, bei der verschiedene Faktoren interagieren“, erklärt die Biologin Heike Vogel. Ernährung und Bewegung, aber auch genetische Veranlagung, Diabetes, Entzündungen im Körper und Übergewicht scheinen mit der Erkrankung verknüpft zu sein. Heike Vogel ist Wissenschaftlerin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) und leitet eine Nachwuchsforschungsgruppe, die aufklären will, wie genau die einzelnen Faktoren zusammenspielen, welche molekularen Ursachen der altersbedingte Muskelschwund hat und wie er sich mit Ernährung und Bewegung in Schach halten oder sogar verhindern lässt.

Was wir essen und wie wir uns bewegen – das sind die beiden Schlüsselelemente, die die Forschenden genauer untersuchen wollen. Am DIfE begibt sich Heike Vogel dafür auf die Ebene der Gene und Moleküle. In dem von ihr betreuten Promotionsprojekt soll mithilfe von Mäusen ermittelt werden, welche Gene bei der Sarkopenie besonders aktiv oder inaktiv sind und wie Bewegung und Ernährung die Aktivität dieser Gene beeinflussen können.

Masse allein ist nicht entscheidend

Zur gleichen Zeit untersucht der Doktorand Dominik Sonnenburg in der Hochschulambulanz der Universität Potsdam eine Gruppe von etwa 60 Probandinnen und Probanden. Alle sind zwischen 55 und 65 Jahren alt, haben Übergewicht, bewegen sich im Alltag wenig – und gelten damit als Risikopatienten für Sarkopenie. „Es sind Menschen, die noch voll im Berufsleben stehen, aber beispielsweise vor allem sitzende Tätigkeiten ausführen“, beschreibt Sonnenburg seine Klientel. Der Ernährungswissenschaftler möchte herausfinden, ob diese Menschen ihr Sarkopenierisiko senken können, wenn sie sich anders ernähren und ein spezielles Training absolvieren.

„Es geht dabei nicht nur um Muskelmasse“, betont Tilman Engel, der die Arbeit von Dominik Sonnenburg als wissenschaftlicher Tandempartner betreut. Denn der Verlust von Muskelmasse allein kann den Leistungsabfall von Sarkopeniepatienten nicht erklären. Heute gehen Medizin und Forschung davon aus, dass sich auch die Zusammensetzung der Muskulatur, das Zusammenspiel von Nerven und Muskelfasern und damit die Funktion von Muskeln bei Sarkopenie verändern.

Mit einem speziellen achtwöchigen Programm – dem sogenannten exzentrischen Training – setzen Engel und Sonnenburg an genau diesem Punkt an. Die Übungen adressieren jene Bewegungsphase, in der sich der Muskel gegen Widerstand auseinanderzieht und länger wird. Beim Bizepstraining etwa ist das Anheben einer Hantel die konzentrische Arbeitsphase, in der sich der Bizeps zusammenzieht. Wird die Hantel abgesenkt, ist der Muskel in der exzentrischen Phase. Exzentrisches Training zielt weniger auf den Muskelaufbau als auf eine verbesserte Muskelkraft und -funktion. In der Studie werden die Teilnehmenden beispielsweise mit einem Gewicht auf dem Rücken einbeinig in die Hocke gehen und sich mit beiden Beinen wieder in die Höhe drücken. „Es kommt hier vor allem auf neuromuskuläre Prozesse an – also das Zusammenspiel von Nerven und Muskeln“, erklärt Tilman Engel. Im Fokus des Trainings stehen Beinund Rückenmuskulatur. Denn diese Muskelgruppen sind besonders wichtig, um Stürze zu vermeiden und Stabilität zu geben. Neben dem Vergleich zu einem herkömmlichen Krafttraining dienen die Untersuchungen vor allem dazu, die Machbarkeit des Trainingsansatzes innerhalb der Risikogruppe zu testen.

Wie wirken Training und Diät?

Zusätzlich zu den Übungen erhalten die Teilnehmenden der Studie regelmäßig Ernährungsberatungen, die eine ausgewogene Nährstoffversorgung sicherstellen und den Risikofaktor Übergewicht reduzieren sollen. Das Ziel ist es, die Ernährungsgewohnheiten schrittweise zu verändern. „Aber immer so, dass es später auch für jeden nachhaltig, das heißt im Sinne einer Lebensstilanpassung, umsetzbar ist“, betont Dominik Sonnenburg. Ein striktes Verbot von Süßigkeiten etwa halte meist nur kurzzeitig an. Wer aber über seine Ernährung die Gesundheit beeinflussen möchte, muss länger am Ball bleiben.

Schließlich zeigen Ultraschall, MRT, Mobilitätstests und Kraftmessungen an Geräten, wie sich Muskelqualität, Kraftfähigkeit und Koordination der Probanden entwickelt haben. Zudem geben die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zu Beginn und am Ende der Studie Blutproben ab, die Auskünfte über den gesundheitlichen Status wie Fettstoffwechsel und Blutzuckerwerte liefern. Auch Entzündungsparameter sollen wertvolle Hinweise zu einem möglichen Sarkopenierisiko geben. „Im optimalen Fall haben wir am Ende ein Trainingskonzept, das Mobilität und Kraft der Risikogruppen positiv verändert und der Sarkopenie vorbeugt“, sagt Dominik Sonnenburg.

Bereits im Jahr 2015 lieferten Mäuse als Versuchstiere in den Laboren des DIfE ein weiteres wichtiges Puzzleteile für die ganzheitliche Erforschung von Sarkopenie. Damals fanden die Ernährungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler heraus, dass Mäuse, die kalorienreduziert ernährt wurden oder nur alle zwei Tage Futter bekamen, weniger Diabetes entwickelten. Das Intervallfasten schien die Krankheit besonders wirksam zu unterdrücken. In weiteren Tests trainierten Mäuse an fünf Tagen in der Woche für jeweils 30 bis 50 Minuten auf einem Laufband. Die Mäuse der Kontrollgruppe durften dagegen faul sein. Das Training reduzierte nicht nur die Fettreserven der Mäuse, sondern veränderte auch die Aktivität bestimmter Gene, die für den Muskelaufbau verantwortlich sind.

Gene gezielt aktivieren

Beide Ergebnisse können für die Erforschung der Sarkopenie, die eng mit Diabetes und Übergewicht verknüpft ist, wegweisend sein. So hofft Heike Vogel, unter den bisher als relevant identifizierten Genen ein sogenanntes „Kandidatengen“ zu finden, das eindeutig mit Sarkopenie und Diabetes assoziiert ist. Wenn das gelingt, können weitere Untersuchungen zeigen, ob sich dessen Aktivität – und damit die Entwicklung der Krankheit – gezielt durch Sport oder eine Diät verändern lässt. Damit wären die Grundlagen für eine zukünftige Therapie gelegt. Möglicherweise spüren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch noch weitere, bisher unentdeckte Regulationsfaktoren auf.

Übergewicht und Diabetes sind die bisher bekannten Risiken. Aber es ist unklar, was Henne und was Ei ist, ob der Muskelschwund im Alter Ursache oder Folge dieser Erkrankungen darstellt. „Es gibt auch noch keinen Biomarker, der uns zum Beispiel in Blutproben Aussagen darüber liefern kann, ob und in welchem Stadium der Patient Sarkopenie hat“, beschreibt Heike Vogel den Forschungsbedarf. Muskelmasse und -funktion sind bisher die entscheidenden Parameter für eine Diagnose. Deren Messung ist allerdings schwierig und aufwendig.

„Mit möglichst wenig Aufwand den größtmöglichen Erfolg erzielen“ – so umschreibt Heike Vogel das Ziel künftiger Therapien. Dafür müssen die Forschenden herausfinden, welche Stellschrauben die größten Effekte haben. „Was hilft wirklich gegen Sarkopenie?“, sei die zentrale Frage. Die Antwort darauf könnte darüber mitentscheiden, ob in Zukunft mehr Menschen als bisher auch in der zweiten Lebenshälfte gesund leben können.

Die Forschenden

Dr. Heike Vogel studierte Biologie an der Universität Potsdam. Seit 2015 forscht sie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) und leitet die Nachwuchsforschungsgruppe „Molekulare Mechanismen und klinische Interventionen Metabolischer Erkrankungen“.
E-Mail: heikevogeldifede

Dr. Tilman Engel studierte Sporttherapie und Prävention sowie Clinical Exercise Science an der Universität Potsdam und forscht seit 2014 in der Hochschulambulanz der Universität Potsdam.
E-Mail: tiengeluni-potsdamde

Dominik Sonnenburg studierte Ernährungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und schreibt derzeit an seiner Promotion an der Universität Potsdam.
E-Mail: sonnenburguni-potsdamde

Die Forschungsgruppe

Die Nachwuchsforschungsgruppe „Molekulare Mechanismen und klinische Interventionen Metabolischer Erkrankungen“ widmet sich in sieben Promotionsprojekten der Erforschung der Sarkopenie. Im Fokus steht die Frage, wie sich mit Bewegungs- und Ernährungsprogrammen die Krankheit beeinflussen lässt.

Beteiligt: Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam-Rehbrücke, Netzwerk Gesundheitswissenschaften der Universität Potsdam
Laufzeit: 2020–2023
 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.