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Mein Arbeitstag im Bermudadreieck – zwischen Homeoffice, Homeschooling und Homekita

(Sandy Bossier-Steuerwald, Pressereferentin in der PÖ)

Bermudadreieck Homeoffice | Foto: Sandy Bossier-Steuerwald
Photo : Sandy Bossier-Steuerwald
Bermudadreieck Homeoffice
Als Pressereferentin der Uni habe ich mometan 1.000 Verpflichtungen pro Tag, die mit 5.000 Unterbrechungen zu bewältigen sind. Eigentlich ist bei mir in jüngster Zeit nichts konkret Dramatisches vorgefallen. Wie alle Menschen in Deutschland durchlebe ich den zweiten (Teil-) Lockdown seit Beginn der Pandemie. In meinem Fall mit einer fünfköpfigen Familie, bestehend aus zwei Erwachsenen im Homeoffice, zwei Kindern im Homeschooling (Klasse drei und sechs) und einem Kleinkind in der Homekita. Eigentlich haben wir Glück gehabt - bislang mussten wir keine direkten Schicksalsschläge durch oder mit Corona erleiden. Eigentlich wähnen wir uns auch beruflich in einer sicheren Situation - mein Mann und ich müssen weder in Kurzarbeit noch Arbeitslosigkeit befürchten. Jammern wir also auf hohem Niveau? Sollten wir uns glücklich schätzen, so viel Zeit mit unseren Kindern zu verbringen? Jein, denn „Zeit haben“ steht nicht synonym für „qualitative Familienzeit“ oder „Freizeit“. Gefühlt habe ich momentan nämlich gar keine Zeit, sondern 1.000 Verpflichtungen pro Tag, die mit 5.000 Unterbrechungen zu bewältigen sind.

5 Uhr - Die Ruhe vor dem Sturm

Wenn alle Familienmitglieder noch schlafen, kann ich am effektivsten arbeiten, ohne gestört zu werden. Bei einer starken Tasse Kaffee verschaffe ich mir als erstes einen Überblick zum welt- und regionalpolitischen Geschehen. In der Pressestelle haben wir Tages- bzw. Wochenzeitungen im Print-Abonnement, im Homeoffice lese ich die wichtigsten Themen digital nach. Ich schreibe an Artikeln oder bereite etwas für die Online-Redaktion vor, außerdem steht die Personalia „Neu Ernannt“ für das erste Quartal 2021 an. Anschließend beantworte ich E-Mails und informiere mich im Onlinetool meistertask über die Projektplanung unserer Abteilung. Es ploppt, eine Pressemitteilung ist fällig. Während ich mich an die nächste Aufgabe der täglichen Pressearbeit mache, kommt um kurz vor Sieben noch der aktuelle Pressespiegel rein.

7 Uhr – Gewitter zieht auf

Nebenan versucht mein Mann drei Kinder im Alter von sechs bis elf aus dem Bett zu bekommen. Die Wände im Altbau sind bekanntlich hellhörig. Ich versuche nervende Schlummerfunktionen von Handyweckern, wütendes Türenschlagen, pfeifende Wasserkessel, piepsende Eierkocher, Zickerei einer Präpubertierenden und Heulerei eines Morgenmuffels sowie die Türklingel zu ignorieren (der Nachbar braucht Starthilfe, ein alter Volvo), um die Pressemitteilung noch vor acht Uhr an die Kollegen zu senden. Dann ist fliegender Wechsel, mein Mann muss an seinen Rechner, ich übernehme die Kinder.

8 Uhr – Fliegender Wechsel mit Frischluft

Die Küche liegt im Chaos, aber immerhin haben die Kinder schon gefrühstückt (im Gegensatz zu mir). Die Kleinste hat einen Schnupfen, was nun – Kinderarzt? Krankenhaus? Corona Test? Ich entscheide mich für Fiebermessen (nebenbei rasch ein Früchtemüsli für mich). Keine Temperatur, wir warten erstmal ab. Schließlich waren wir erst kürzlich im Krankenhaus zum Röntgen (Diagnose „Hand geprellt“ nach vier Stunden Notaufnahme, mein Sohn war auf der Kellertreppe ausgerutscht) und beim Kinderarzt wegen anhaltender Bauchkrämpfe (Diagnose „Akute Verstopfung aufgrund Bewegungsmangels“ nach 75 Minuten Wartezeit, Lockdown-sei-dank). Seitdem gehe ich täglich der Empfehlung nach, mich mit den Kindern sportlich an der frischen Luft zu betätigen: Ich profiliere mich morgens eine knappe Stunde als Fußball- oder Fitnesstrainerin, als Laufpartnerin, hin und wieder auch als Spielplatzaufsicht. Nicht, dass die Kinder es mir danken würden, im tiefsten Winter rausgehen zu „dürfen“, aber so freuen sie sich regelrecht auf die folgenden Mathe- und Deutschaufgaben im Warmen…

9 Uhr – Multitasking im Bermudadreieck

In meiner beruflichen Verpflichtung als Pressereferentin - die ich im Übrigen nicht nur als solche, sondern ganz grundsätzlich auch als Passion verstehe - bin ich momentan daheim auch noch Erzieherin, Pädagogin, fächerübergreifenden Grundschullehrerin, Kindergarten- und Horterzieherin sowie Hausaufgabenbetreuerin. Ich bin Motivationstrainerin, Streitschlichterin und Seelsorgerin, weswegen ich zwischen neun und elf Uhr nur reinkommende E-Mails mobil auf dem Handy lese.

11 Uhr – Im Haushalt lernst Du fürs Leben!

Meine Tochter hatte sich so auf die digitale Klassenkonferenz um 11 Uhr gefreut, aber die Schul-Cloud Brandenburg scheint (mal wieder) überlastet. Da mein Mann in der bereits dritten online Videokonferenz des Tages steckt, können wir technische Probleme des häuslichen WLANs ausschließen, immerhin. Unsere Tochter heult enttäuscht, ersatzweise darf sie mir nun beim Kochen zur Hand gehen. Ich sage: „Hier lernst Du fürs Leben!“ und klinge wie meine eigene Mutter. Während eine Lasagne im Ofen gart (Zutaten kurz vor Ladenschluss 21 Uhr am Vorabend ergattert), redigiere ich Texte für unser Forschungsmagazin, die „Portal Wissen“ (stehend in der Küche). Die räumliche Flexibilität, die mir der Laptop in den heimischen 110 Quadratmetern beschert, ist schon genial. Das Unimagazin ist kurz vor Drucklegung, mein Kollege wartet auf Rückmeldung. Parallel beginnen wir dieser Tage die redaktionelle Planung für die „Portal“-Jubiläumsausgabe, vom Homeoffice aus müssen Themen abgestimmt sowie Interviewpartner gefunden werden. Mein Bürotelefon ist vom Campus aufs Mobiltelefon umgeleitet (hoffentlich ruft jetzt keiner an, die Geschwister streiten gerade lauthals, wer den Tisch decken muss), Redaktionssitzungen finden per ZOOM statt, niedliche Kinder, die sich im Hintergrund in Szene setzen, sorgen für Erheiterung (bei allen, außer ihren Eltern selbst)

13 Uhr - Agile Mittagspause: Mahlzeit!

Nach dem Mittagessen dürfen sich die Kinder im digitalen Angebot der ZDF-Mediathek austoben (zugegeben: pädagogisch nicht 100 Prozent PC), aber es bleibt tatsächlich 62,5 Minuten lang ruhig. Welch wunderbare Gelegenheit, um Interviews mit Lehrenden und Wissenschaftlern per ZOOM zu führen oder an der montäglichen Dienstberatung der Pressestelle teilzunehmen und die Vorstellung vom häuslichen Frieden und der reibungslosen Funktionalität und effektiven Produktivität des Homeoffice aufrecht zu erhalten (wenn Sie sich schon immer gefragt haben, was Kollegen tun, die im Videocall Ton und Bild ausgeschaltet haben: Sie essen kalte Lasagne). Gleitzeit war gestern, flexible Arbeitszeiten mögen en vogue sein, das Zauberwort der Zukunft aber heißt: agiles arbeiten - auch in der Verwaltung. Meines Erachtens wird diese Arbeit oftmals unterschätzt, vielleicht, weil sie in ihrem gesamten Umfang nach außen wenig sichtbar ist.

14 Uhr – Feierabend auf Zeit

Bis etwa 20 Uhr habe ich eine Art vorübergehenden Feierabend, zumindest vom Homeoffice.
Jetzt wartet klassische Hausarbeit auf mich, von Wäschewaschen bis Putzen. Neu ist, dass ich auch noch Haare schneide… (Details erspare ich)

20 Uhr – Tsunamiwarnung per WhatsApp

Die Kinder sind in ihren Betten, ich öffne erneut Outlook, arbeite den E-Mail-Eingang des Nachmittags durch, korrespondiere mit der UP-Außenstelle in Brasilien, mit Illustratoren aus Berlin und dem ZIM… Nebenbei geht der abendliche Chat in diversen WhatsApp Gruppen los und ich bekomme eine kurzfristige Einladung zum Call um 21 Uhr zur „Digitalen Elternkonferenz der 6a“ , die Beschwerden zur Schul-Cloud Brandenburg haben sich gehäuft (aufgeheizte Müttergemüter wollen Dampf ablassen, um weitere Katastrophen im individuellen Bermudadreieck zu vermeiden). Nun, dann schreibe ich diesen Artikel „Mein Arbeitstag“ für das „Portal“-Magazin eben Samstag fertig - oder besser noch nächste Woche, da habe ich nämlich endlich Urlaub.


Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2021 „30 Jahre Uni Potsdam“ (PDF).