„Es geht letztlich darum, dass Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen z. B. nach einem Herzinfarkt in die kardiologische Reha kommen, in der in einem ganzheitlichen Behandlungsansatz erreicht werden soll, dass sie wieder am allgemeinen und sozialen Leben teilhaben können. Dabei spielt für sie insbesondere die berufliche Wiedereingliederung eine entscheidende Rolle. Jegliche Faktoren – auch personenbezogene – sollen dabei berücksichtigt werden“, erklärt Dr. Annett Salzwedel den Hintergrund ihres Projekts. „Wir untersuchen, welche Parameter die berufliche Wiedereingliederung vorhersagen können, denn etwa 30 Prozent der Patientinnen und Patienten schaffen sie nicht. Es gibt da ein ‚gap‘ – begründet bspw. durch Angst, Depression, Lebensqualität, Wahrnehmung der eigenen Situation und Gesundheit ...“
In der umfangreichen sozialwissenschaftlichen Analyse untersucht Salzwedel Parameter, die eine Rehabilitation zum Erfolg führen, und übersetzt ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in fundierte praktische Anregungen für die Arbeit des medizinischen Personals. „Ich selber habe in der Regel keinen direkten Patientenkontakt, sondern ersinne die Projekte: So recherchiere ich (im Prozess) zunächst in der Literatur zur Versorgungsforschung und schaue, wo es Bedarf gibt, etwa durch Rückmeldungen aus der Praxis, also Kliniken. Dann designe ich Studien, gucke, wie ich eine bestimmte Forschungsfrage formulieren kann, und helfe, ein mögliches Projekt finanziert zu bekommen.“ Da Salzwedel und ihr Team zur Durchführung der Forschung auf Kliniken angewiesen sind, steckt ebenfalls viel Arbeit in der Patientenaufklärung und Dokumentverifizierung – ohne einen bewilligten Ethikantrag dürfen Patientinnen- und Patientendaten in Deutschland in der Regel nicht erhoben oder evaluiert werden. Salzwedel begleitet das gesamte Spektrum der Studie von Studiendesign über Datenauswertung und -interpretation bis zur Veröffentlichung. Was ihr am meisten Spaß macht, bei der Forschung? „Der Komplex an sich mit all seinen befriedigenden Momenten“, sagt Salzwedel. „Eine Studie zu begleiten, bringt auch viel Unruhe mit sich – umso schöner ist es, auch die kleinen Erfolge zu feiern, wie Daten das erste Mal zu sehen. Manchmal gibt’s dabei spannende Zufallsbefunde, die neue Fragen aufwerfen. Ich finde diese Arbeit aufregend, gar kreativ, weil man nie so genau weiß, was am Ende rauskommt!“
Annett Salzwedel, 1973 in Rüdersdorf geboren und aufgewachsen, ist gebürtige Brandenburgerin. Als Pendlerin bewegte sie sich immer im Randgebiet von Berlin und Brandenburg, studierte bis 2001 zunächst Geologie an der TU Berlin; 2006 machte sie noch einen Abschluss als Gesundheits- und Sozial-Ökonomin an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Berlin. Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Versorgungsforschung an der Klinik am See, Rehabilitationszentrum für Innere Medizin, Rüdersdorf bei Berlin lernte sie den dortigen Ärztlicher Direktor Professor Dr. med. Heinz Völler kennen, ihren späteren Doktorvater und Förderer. 2012 kam sie an die Universität Potsdam, die sie selbst aus ihrer Kindheit nur dunkel als Pädagogische Hochschule erinnert: „Ich war zu jung, als dass ich die Uni zu Zeiten der DDR genau hätte zur Kenntnis nehmen können.“
Bei der Verleihung des Postdoc- Preises Anfang Dezember 2020 würdigte Wissenschaftsministerin Dr. Manja Schüle persönlich die herausragenden Forschungsleistungen von Salzwedel, die „Lösungen für aktuelle und gesellschaftlich hoch relevante Probleme“ bieten würden. „Um ehrlich zu sein, kannte ich den Preis bis zu diesem Jahr gar nicht und habe per Zufall von der Ausschreibung erfahren, dessen Bewerbungstermin aufgrund von Corona nach hinten verschoben war“, freut sich Annett Salzwedel überrascht und glücklich. „Preise wie dieser erhöhen natürlich die Sichtbarkeit des Themas, was ich als gesellschaftlich sehr wichtig erachte. So haben mich seit der Ehrung nicht nur Kolleginnen und Kollegen angesprochen, mit denen ich bislang nicht direkt zu tun hatte. Es gratulierten mir auch Menschen aus völlig anderen Kontexten, die in der Zeitung von der Preisverleihung gelesen hatten. Ich freue mich, wenn sich daraus Effekte und Möglichkeiten der Kooperationen für die Fakultät für Gesundheitswissenschaften ergeben würden, die es sonst so nicht gegeben hätte. “
Ihre aktuelle Bekanntheit möchte die bodenständig gebliebene, – in eigenen Worten – „authentische“ Brandenburgerin Salzwedel auch dafür nutzen, eines ihrer wichtigsten Anliegen voranzubringen: „Ich fände es sehr wünschenswert, mehr in die Versorgungsforschung unter Berücksichtigung der Rehabilitationsinfrastruktur zu investieren. Die Reha-Landschaft wird häufig als Kur-Landschaft wahrgenommen. Dabei halten Rehabilitationseinrichtungen Möglichkeiten vor, die auch für neue primär- und sekundärpräventive Versorgungsmodelle gerade in Brandenburg genutzt werden könnten.“ Gesundheitswissenschaften und Patientenversorgung seien dabei kein statisches Forschungsfeld, bei dem es noch klar definierbare „weiße Flecken“ gebe. Die Forschungsfragen hingen vielmehr immer davon ab, wie sich die Gesellschaft und Versorgungslage entwickele. „Jede neue Forschung wirft neue Fragen auf, insofern kann ich nur schwer vorwegnehmen, wo es für mich in Zukunft hingeht“, sagt Salzwedel und veranschaulicht dies am Beispiel der Altersstruktur. „Je älter die Gesellschaft wird, desto mehr kranke Menschen müssen auch versorgt werden – infrastrukturell gesehen muss hier in Brandenburg wie bundesweit noch viel geschehen.“