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Nicht alternativlos – Bioplastik aus Abfall ersetzt herkömmliche Kunststoffe

Bioreaktor zur Kultivierung von Mikroorganismen im Labor von innoFSPEC | Foto: Ernst Kazcysnki
Thomas Schiewe mit seinen Kollegen im Labor | Foto: privat
Photo : Ernst Kazcysnki
Bioreaktor zur Kultivierung von Mikroorganismen im Labor von innoFSPEC
Photo : privat
Thomas Schiewe mit seinen Kollegen im Labor
Kunststoff gehört ganz selbstverständlich zu unserem Alltag. Seit über 100 Jahren wird er aus Erdöl, Erdgas und Kohle hergestellt. Doch die negativen Folgen der Plastikflut sind inzwischen unübersehbar. Es gibt Bilder, die man eigentlich gar nichtsehen möchte: Plastik schwimmt tonnenweise wie gigantische Teppiche in den Meeren, Tiere verhungern mit vollem Magen. Der Biotechnologe Thomas Schiewe vom Potsdamer Zentrum für Innovationskompetenz innoFSPEC gehört zu jenen Wissenschaftlern, die sich damit nicht abfinden wollen. Ersucht gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Bioverfahrenstechnik von der TU Berlin nach Alternativen zu den herkömmlichen Kunststoffen.

Bakterien produzieren Bioplastik

Im innoFSPEC arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und Einrichtungen an der Herstellung von biologisch abbaubarem Plastik mit guten Produkteigenschaften. So gibt es schon Plastikgeschirr, das in zwei, drei Monaten verrottet, sich komplett auflöst und kompostierbar ist. Auf der Suche nach brauchbaren Rohstoffen für die Entwicklung neuer Stoffe wollten die Forschenden unbedingt auf Nahrungsmittel wie Mais oder Zuckerrohr, die derzeit immer wieder diskutiert werden, verzichten – und stießen dabei auf Abfallfette. Fündig wurden sie beispielsweise in der Landwirtschaft, in der Gastronomie oder bei der Weiterverarbeitung von Lebensmittelabfällen. Abfallprodukte sind Ressourcen, die in hochwertige Stoffe verwandelt werden können. Um die dafür notwendigen Prozesse in Gang zu setzen, nutzen die Forscher Knallgasbakterien, die im Boden und im Wasser vorkommen. Damit sie wachsen, werden die Bakterien in Mineralsalzlösungen gesetzt und mit Stickstoff, Sauerstoff, Phosphor und Kohlenstoff gefüttert. Dabei entstehen Polyhydroxyalkanoate, kurz PHA. Ziel ist es, dem relativ preiswertenherkömmlichen Plastik eine bezahlbare Alternative entgegenzustellen, also Bioplastik so günstig wie möglich zu produzieren.
Das für die Experimente benötigte Fett kommt von einer kleinen Firma aus Adlershof, die das Abfallprodukt nicht mehr anderweitig verwerten kann. Die innoFSPEC-Forscher befassen sich mit der Prozessüberwachung. Ihr Spezialgebiet sind sensorbasierte Inline-Messungen. „Bei einer Kultivierung möchten wir natürlich schon während des Prozesses jederzeit wissen, was passiert“, sagt Thomas Schiewe. Die Zellen wollen unter für sie „akzeptablen“ Bedingungenleben. Das heißt, sie brauchen Sauerstoff, Stickstoff, und der PH-Wert muss stimmen. Um diese Parameter jederzeit überprüfen zu können, sollten sie idealerweise digital mit dem Analysegerät direkt im Prozessgemessen werden. So können die Wissenschaftlerdiesen in Echtzeit verfolgen.

Eine ganz neue Messtechnik

 Es gibt bereits eine große Bandbreite an kommerziellen Methoden. Doch das Team von innoFSPEC hat viel Arbeit und Zeit investiert, um für die Messungen eine eigene Technologie, die sogenannte Photonendichtewellenspektroskopie(PDW) zu entwickeln. „Die Technik ist kommerziell durch eine Ausgründung der Universität Potsdam, PDW Analytics GmbH, verfügbar und weltweit einzigartig“, sagt Thomas Schiewe. Im Laufe des Kultivierungsprozesses entsteht dank der Fetttröpfchen eine trübe Flüssigkeit und es geht „chaotisch“ zu. „Im Vergleich zu den meisten anderen besteht die Stärke unserer Technik darin, dass sie auch bei extrem trüben Prozessen funktioniert“, sagt der Wissenschaftler. Mit dieser von den Forschenden von innoFSPEC erarbeiteten Methode erhält man Informationen nicht nur in Echtzeit, sondern auch bei sehr großen Konzentrationen. „Wir wollten eigentlich herausfinden, wie sich das Fett im Reaktor auflöst. Im Laufe der Untersuchungen haben wir aber gesehen, dass es etwas viel Interessanteres zu messen gibt. Denn einer der großen Vorteile unserer Technikbesteht darin, zwei Effekte voneinander trennen zu können: Lichtstreuung und Lichtabsorption“, sagt Thomas Schiewe. Dadurch konnten sie beobachten, dass die Absorption im Laufe des Prozesses ihr Maximum früher erreicht. Es zeigt sich, dass die Streuung an das Wachstum der Biomasse gekoppelt ist, weil der Zellstamm wächst, bis kein Stickstoff mehr vorhanden ist. Wird kein neuer Stickstoff zugeführt, verlegen die Bakterien ihren Fokus vollständig auf die Anreicherung des Bioplastiks im Zellinneren. Mithilfe ihrer Technologie können die Wissenschaftler die Plastikbildung über das Streulichtsignal verfolgen und somit erstmals in Echtzeit den richtigen Zeitpunkt für die Ernte bestimmen. Da aufgrund dieser Messtechnik der gesamte Prozess im Blick der Forscher ist, fungieren sie auch als Prozesstechniker und achten auf den Wirtschaftlichkeitsfaktor bei ihrer Arbeit. Sie setzen beispielsweise Energie nur dann ein, wenn sie wirklich benötigt wird. Damit wird die Plastikproduktion nicht nur umweltverträglich, sondern auch ressourcenschonend.

Der Wissenschaftler

Thomas Schiewe studierte Biotechnologe an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Derzeit promoviert er an der Technischen Universität Berlin und ist gleichzeitig wissenschaftlicher Mitarbeiter bei innoFSPEC.
E-Mail: tschieweuni-potsdamde

innoFSPEC ist ein Forschungs- und Innovationszentrum, das multidisziplinäre Forschung auf dem Gebiet der optischen Faserspektroskopie und -erfassung betreibt. Das Zentrum wurde gegründet als Joint Venture des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) und der Arbeitsgruppe Physikalische Chemie der Universität Potsdam (UP).

https://innofspec.de

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2020 „Energie“.