Zwar sind sie noch jung, aber unerfahren sind sie nicht. Tiana Vortmüller begann 2013 Englisch und Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde auf Lehramt zu studieren. Nebenbei arbeitete sie als Vertretungslehrerin an Schulen in Hennigsdorf, Falkensee und schließlich an der Voltaireschule in Potsdam. Seit dem Schuljahr 2019/20 ist sie dort Referendarin. Maximilian Schulze schließt gerade das Lehramtsstudium in Sport und Physik ab. Für ein knappes Jahr betreute er eine Homeschooling-Klasse auf Mallorca. „Das war cool – eine ganz kleine Klasse, die je nach Jahreszeit zwischen Mallorca und der Schweiz gependelt ist“, berichtet der 29-Jährige. „Ich konnte didaktisch völlig neue Methoden ausprobieren.“ Im Moment ist Schulze im Praxissemester an einer Potsdamer Gesamtschule, bei der er zuvor schon seit anderthalb Jahren als Vertretungslehrer gearbeitet hatte.
Der „Kaffeepottcast“ erscheint immer freitags – dann treffen sie sich bei Maximilian am Esstisch und nehmen mit zwei Laptops und zwei Mikrofonen auf. Ohne Redakteur, ohne Aufnahmeleitung, ganz intim. „Der Lehrerzimmerplausch findet zwar nicht im Lehrerzimmer statt, aber es fühlt sich so ähnlich an“, sagt Vortmüller. „Nach den ersten drei Minuten vergesse ich, dass wir gerade einen Podcast aufnehmen. Es macht richtig Spaß!“ Im November gestartet, bringen die beiden Lehrer wöchentlich eine Folge – und haben schon viele Hörerinnen und Hörer für ihre charmanten Gespräche gewinnen können, bei denen sie sich den Ball hin und her spielen wie beim Pingpong. Allein beim Streamingdienst Spotify liegen die Klickzahlen bei 1.000 pro Woche, aus 17 Ländern wurde der Podcast schon gehört.
Die Idee entstand im vergangenen Jahr. „Wir kennen uns aus dem Studium und haben immer viel über das Lehrersein gesprochen. Dann hat mir Max von seiner Idee erzählt, einen Podcast zu machen“, berichtet Vortmüller. Mit ihren unterschiedlichen Fächerkombinationen ergänzen sie sich gut, und Vortmüller bringt viel Wissen aus ihrer Zeit als Tutorin für Fachdidaktik an der Uni Potsdam mit. Tatsächlich ist Forschung im Podcast immer präsent, vor jeder Folge sehen sie sich die aktuelle Studienlage zum Thema an. Der Podcast hat deshalb auch einen großen Einfluss auf ihre eigene Arbeit an der Schule. „Seit unserer ‚Hausaufgaben‘-Folge gebe ich mit einem ganz neuen Gefühl Schularbeiten auf“, sagt der 29-Jährige. Das ist es auch, was sie sich für ihre Zuhörerinnen und Zuhörer wünschen. Sie wollen didaktische Methoden reflektieren, sich Meinungen bilden – den Austausch anregen. „In dem Job ist das ganz wichtig“, findet Vortmüller. „Wenn jeder nur sein Ding macht, wird Unterricht langweilig und tendenziell schlechter. Lehrerzimmerplausch, also sich mit Kollegen auszutauschen, ist bereichernd.“ Perfekte Lösungen für die Alltagsprobleme, die sie alle als Lehrer hätten, haben sie zwar ganz bewusst nicht im Angebot. „Aber wir können Ideen sammeln und jeder kann sich überlegen, wie er oder sie im Klassenzimmer etwas verändern kann“, so die Referendarin.
Zwar herrsche in Potsdam kaum Lehrermangel, weil es so viele Studierende gebe, die nach dem Abschluss bleiben wollen. „Ich glaube aber auch, dass der Lehrerberuf sehr attraktiv geworden ist, es kommen viele Junge nach. Für mich ist es der beste Job der Welt“, sagt Tiana Vortmüller. In ihrer 20. Podcast-Folge baten die beiden Nachwuchslehrer daher die Zuhörerinnen und Zuhörer, ihnen Geschichten darüber zu schicken, was sie an ihrer Arbeit schätzen – von Schülerinnen, die noch nach dem Unterricht zu Doppelkonsonanten weiterarbeiten wollen, bis zu solchen, die dem Lehrer Mut machen, wenn eine Hospitation ansteht. „Ich finde es total schön, im Klassenzimmer junge Leute sitzen zu haben, mit denen ich Projekte starten und gemeinsame Erfolgserlebnisse haben kann.“ Mit ihrer 11. Klasse bereitete sie kürzlich eine Debatte darüber vor, ob das Angebot der Schulcafeteria nur noch vegetarisch sein sollte. „Die Schüler haben so tolle Argumente gefunden und sich richtig reingehängt.“
Natürlich sind nicht alle Schülerinnen und Schüler motiviert. Und Störungen im Klassenzimmer sind auch im Podcast schon Thema gewesen. Da gibt es zum Beispiel Jugendliche, die bis zum Umfallen kippeln, mitten im Unterricht aufspringen oder „hä?“ rufen, bevor die Aufgabenstellung überhaupt erläutert wurde. „Man muss sich immer fragen, warum ein Schüler nicht motiviert ist“, sagt Schulze. Ist er über- oder unterfordert? Kann ich Arbeitsaufträge verändern? „Wenn man vier, fünf Stellschrauben ausmachen kann, an denen sich etwas ändern lässt, hat jeder Lehrer die Möglichkeit, den Schüler abzuholen – damit er nicht sofort ‚hä‘ ruft.“
Zwar haben beide ihr Studium schon fast hinter sich gelassen. Aber für die nachfolgende Generation haben sie dennoch einen Tipp. „Gerade in den Naturwissenschaften denkt man oft, dass man dieses und jenes gar nicht für den Unterricht brauchen wird“, sagt Schulze. „Nach dem Motto: Ich unterrichte ja nur bis Klasse X.“ Doch später wurde ihm klar, dass er in allen Belangen eine korrekte Antwort geben können und die Schüler nicht nur abspeisen möchte. Vortmüller geht es ähnlich. Im Studium habe sie sich gefragt: Brauche ich das später wirklich? Was hat das eigentlich mit der Praxis zu tun? Aber das wissenschaftliche Arbeiten, die Selbstorganisation und die fachlichen Inhalte, das alles sei relevant für das Lehrerinnensein. Studieren sei auch ein Privileg, findet die 26-Jährige. „Ich bin froh, dass ich hier studieren konnte. Das war eine richtig gute Zeit.“
Der Wechsel vom Vorlesungssaal ins Klassenzimmer fiel beiden zwar nicht allzu schwer. Dennoch lernen sie weiterhin ständig dazu. „Wir gehen immer davon aus, dass Schüler aus denselben Verhältnissen kommen wie wir selbst“, sagt Vortmüller. „Aber das ist definitiv nicht so. Ich habe an so unterschiedlichen Schulen gearbeitet, auch an einer Brennpunktschule, an der ich mich schon gefreut habe, wenn die Schülerinnen und Schüler überhaupt da waren. Zwischen dieser und meiner jetzigen Schule liegen Welten. Empathie mit jedem Einzelnen ist da enorm wichtig.“ Schulze war wiederum überrascht, dass einer seiner Schüler, der in Mathe nicht gut war, für sein eigenes Drohnenflugunternehmen sogar programmierte. „Als Lehrer muss man darauf achten, den ganzen Schüler im Blick zu haben.“ Viele hätten Interessen, die nicht unbedingt mit dem Rahmenlehrplan vereinbar seien. „Ich will Handlungsfreiheit schaffen und sie nicht ausbremsen.“
Schulze war auch überrascht, wie wichtig der Aspekt des Erziehens ist. Was mache ich zum Beispiel, wenn der Schüler immer wieder sein Sportzeug vergisst? Über solche Banalitäten hatte er sich im Studium gar keine Gedanken gemacht. „Eigentlich brauchen wir sehr viele Ausbildungen“, pflichtet Vortmüller bei. „Ich wäre gerne Erzieherin, Krankenschwester und Bürokauffrau zugleich.“ Schließlich gibt es auch viel Bürokratie zu erledigen. Und im Studium habe sie nicht gelernt, einen Förderplan zu schreiben oder einen Elternabend zu organisieren.
In Zukunft wollen die beiden auch mal den häuslichen Esstisch verlassen und von Tagungen, Workshops und Messen zum Fach berichten. Und sie möchten mehr mit Experten aus der Erziehungswissenschaft ins Gespräch kommen – vielleicht ja auch von der Uni Potsdam. Mit dem Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZeLB) sind sie jedenfalls schon in Kontakt.
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Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2020 „Bioökonomie“.