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Hinter den Zeichen – Prof. Dr. Eva Kimminich über die Internationale Woche der Semiotik

Prof. Dr. Eva Kimminich. | Foto: Thomas Roese.
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Prof. Dr. Eva Kimminich. | Foto: Thomas Roese.

Mit den Zeichensystemen in unserer Gesellschaft befasst sich die Veranstaltungsreihe „Zeichen unserer Zeit“, die vom 3. bis zum 7. Februar 2020 im Bildungsforum Potsdam sowie im Filmmuseum Potsdam stattfindet. Jana Scholz sprach mit der Initiatorin und Kultursemiotikerin Prof. Dr. Eva Kimminich über die „Semiotische Woche“ und die aktuellen Fragen, mit denen sich die Zeichentheorie beschäftigt.

Die Semiotik beschäftigt sich mit den Zeichensystemen in der Gesellschaft. Was ist ein Zeichen und welche Rolle spielen Zeichen für unsere Kultur?

Zeichen sind zunächst einmal wahrnehmbare Formen, mit denen wir unser Eindrücke und unsere Beobachtungen weitergeben, unsere Einstellung zur Welt und unser Selbstverständnis zum Ausdruck bringen. Mit Zeichen machen wir Welt- und Menschenbilder und das dazugehörige Wissen, aber auch Kritik an den jeweils vorherrschenden Welt- und Menschenbildern symbolisch sichtbar. Jede Gesellschaft hat und braucht also Zeichensysteme, um ihre Erkenntnisse festzuhalten und zu tradieren, ihr Zusammenleben zu ordnen. Mit Zeichensystemen werden aber immer auch Hierarchien und Wertungen erzeugt, daraus entstehen unter anderem auch Stereotype und Feindbilder, mit denen Wertsetzungen und Ordnungssysteme aller Art legitimiert werden. Die Gesamtheit der vielfältigen Erscheinungsformen von Zeichensystemen ist das, was wir Kultur nennen. Dazu gehört jede Art von Symbolen. Das sind Zeichen, die wir entworfen und hergestellt haben: Verkehrszeichen, religiöse oder politische Symbole wie Ikonen, Denkmäler, Gemälde oder Fahnen, aber ebenso Gesten und Rituale, Kleidungsstile, Markenzeichen, die wir mit einem bestimmten Sinn aufgeladen haben; dazu gehören natürlich auch die vielfältigen Ausdrucksformen der Streetart, die subversiven Zeichenmodifikationen des Adbusting usw. Aber auch Dinge, Lebewesen oder Pflanzen können zum Zeichen werden. Nehmen wir beispielsweise ein Kleeblatt, es ist ein Viehfutter, aber das dreiblättige Kleeblatt ist in der christlichen Kultur auch Symbol der Dreifaltigkeit; deshalb finden wir es als auch häufig als Dekor an Kirchen. Das vierblättrige Kleeblatt kennen wir alle als Glücksbringer. Beides sind willkürliche Bedeutungszuordnungen.

Warum brauchen wir Kultursemiotik? Was kann sie uns über unsere Gegenwart verraten?

Die Kultursemiotik befasst sich mit dem Zusammenwirken und der Veränderbarkeit all dieser Zeichensysteme, sie beobachtet ihre dynamische Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen Entwicklungen. Semiotikerinnen und Semiotiker betrachten die Zeichensysteme einer Kultur als ein komplexes Programm, das seit Jahrhunderten nicht nur Welt- und Menschenbilder kunstvoll inszeniert, sondern zentrale Konzepte hervorbringt, die den Umgang mit Umwelt, Mensch und Tier maßgeblich beeinflussen. Wir analysieren Zeichensysteme, um auf die tragenden kognitiven Konzepte aufmerksam zu machen. Sie sind tief im kollektiven Gedächtnis verankert, verstecken sich hinter Mythen oder Metaphern, verbergen sich in der glanzvollen Inszenierung des Selbstverständnisses einer Gesellschaft. Daher ist es leicht mit ihnen Ideologien zu zementieren, Feindbilder zu rechtfertigen und technologische Entwicklungen fortzusetzen, auch wider besseren Wissens. Mit kultursemiotischen Analysen kann hinter die bunte Schauseite der Zeichen geblickt und auf ein durchaus auch gefahrvolles Spiel mit Zeichen und Symbolen, Mythen und Metaphern aufmerksam gemacht werden.

Was ist das neu gegründete Zentrum für Kultursemiotik?

Es ist vorerst eine Internetplattform, die in verständlichen Formaten über semiotische Erkenntnisse und die Aktivitäten und Kompetenzen der Studierenden unseres neuen Masters „Angewandte Kulturwissenschaft und Kultursemiotik“ informiert. Sogenannte Legevideos erklären beispielsweise, wie sich nichtökologische Öko-Mode verkaufen lässt, was es mit Heldinnen und Helden so alles so auf hat oder wir eine Metapher funktioniert. Dann sind dort auch TV-Dokumentationen zu sehen, die unsere Studierenden in Kooperation mit dem Medieninnovationszentrum Babelsberg erarbeitet haben, zum Beispiel über das Kleingartentum. Dann haben wir auch Analysen aktueller kultureller Phänomene, wie beispielsweise des Slumtourismus. Wir haben erst drei Generationen dieses stark nachgefragten Studiengangs; die erste sitzt an ihren Abschlussarbeiten. Geplant ist eine Kontaktbörse. Die Absolventinnen und Absolventen werden dort ihre Profile einstellen – auf semiotische Art und Weise – und wir wünschen uns, dass Unternehmen und Kulturinstitutionen dort nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit neuen Kompetenzen suchen und uns auch Stellenausschreibungen zusenden. Wir wünschen uns natürlich für die Zukunft auch Sponsoren, durch die eine Stelle finanziert werden könnte, zur Pflege der Plattform, zum Ausbau der Vernetzung und zur Intensivierung des Austauschs zwischen Universität, Gesellschaft und Wirtschaft.

Bei der Veranstaltungsorganisation sind auch Studierende des Masters „Angewandte Kulturwissenschaft und Kultursemiotik“ involviert. Welche Aufgaben übernehmen sie genau?

Die Studierenden der ersten beiden Jahrgänge werden vor allem am Dienstag aktiv werden. Sie haben in Kooperation mit dem Haus der Kulturen der Welt interaktive Konzepte der Kulturvermittlung entworfen und erprobt, die sie den anwesenden Praxisexpertinnen vorstellen und mit ihnen diskutieren werden. Der dritte Jahrgang hat im Oktober 2019 angefangen, sie haben Erklärvideos zu semiotischen Grundkonzepten erarbeitet und werden die Ergebnisse der Diskussionsrunden und Barcamps festhalten, mit Graphic Recording und in Form eines Podcasts. Sie betreiben eine Social-Media-Kampagne und haben Flyer, Plakate und vieles mehr entworfen. Studierende aus allen drei Jahrgängen sind auch Mitdiskutierende der Podien oder gestalten die Barcamps mit.

Was erwartet die Öffentlichkeit bei der Semiotischen Woche?

Wir starten am Montag mit der interaktiven Ausstellung „Zeichenwelten“. Studierende führen durch die aus Seminaren hervorgegangene Posterausstellung, die anschaulich erläutert, wie Zeichensysteme funktionieren, wie Metaphern unsere Wahrnehmung verändern und Stereotypen unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung prägen. In einer gemütlichen Sitzecke stehen die von den Studierenden angefertigten, unterhaltsamen Erklärvideos zur Verfügung, die einzelne semiotische Konzepte an konkreten Beispielen veranschaulichen. Dann haben wir als Begleitprogramm das „Brainfood“,  jeweils mittags und abends werden Einblicke in aktuelle semiotische Forschungsbereiche gegeben, so zum Beispiel in die Symbolik des Essens oder zu unserem Sprachgebrauch.

Am Dienstag steht die Kulturvermittlung und Ausstellungsgestaltung im Mittelpunkt. Dr. Beatrice Miersch und Andreas Köstler, Professor für Kunstgeschichte an der Uni Potsdam, führen in die Thematik ein und diskutieren mit Expertinnen und Vertretern aus Berliner Museen über Grenzen und Möglichkeiten des Kuratierens aus semiotischer Perspektive. Am Nachmittag finden sich Künstlerinnen und Künstler wie Stefan Krüskemper, Kristina Leko oder Rocco und seine Brüder zusammen, um aus semiotischer Perspektive die Gestaltung öffentlicher Räume kritisch zu beleuchten.

Dem Marketing ist der Mittwoch gewidmet. Der Semiotiker Prof. Dr. Hartmut Stöckl aus Salzburg führt mit seiner Keynote in die kulturelle Alchemie der Werbung ein. Am Nachmittag treten Studierende mit Pecha Kuchas und Vertreterinnen und Vertretern der Partnerfirmen der Universität Potsdam miteinander ins Gespräch; dabei sind die Allianz Beratungs- und Vertriebs AG, AWIN AG, Hüffermann Transportsysteme GmbH, Kulturprojekte Berlin, Land Brandenburg Lotto GmbH, Mittelbrandenburgische Sparkasse (MBS), MBS Potsdam, SAP Innovation Center.
Am Donnerstagvormittag liegt der Fokus auf den Medien und ihren WortBildWelten sowie auf den großen Wirkungen kleiner Geschichten. Jan Skudlarek, Philosoph und Autor des Buches „Wahrheit und Verschwörung“, haben wir für die Keynote gewinnen können. Kritisch beleuchtet werden der Informationsgehalt viraler Videos, die informativen und aufklärenden Potentiale des Comics und der komplexen Comic-Reportage, um nach Möglichkeiten zu suchen. Am Nachmittag setzen sich die Semiotiker*innen Prof. Dr. Jan-Oliver Decker, Dr. Martin Hennig, Dr. Marie Schröer und Matthias Harbeck mit den Wirkungen von (Super)Heldinnen für Fremd- und Selbstzuschreibungen auseinander. Wir freuen uns, dass die Diskussionen von der Graphic Recorderin Sheree Domingo im Wortsinn aufgezeichnet werden und wir ihr dabei mit Live Streaming über die Schulter schauen können. Im Abendvortrag wird Prof. Dr. Jan-Oliver Decker abschließend einen analytischen Einblick in das Sendeformat „Germanys Next Top Modell“ geben.

Das Filmmuseum öffnet am Freitag seine Räume. Dort findet der vierte und letzte Themenschwerpunkt der semiotischen Woche statt: „Migration – Fakten und Fiktionen.“ Filme sind komplexe Zeichensysteme, die Realitäten und Fiktionen wechselseitig ineinander übergehen lassen. Zum Ausklang der Semiotischen Woche wird der Film „Lemonade“ (2018) von der rumänischen Regisseurin Ioana Uricaru gezeigt.

Das gesamte Programm finden Sie unter: https://www.uni-potsdam.de/de/kultursemiotik/die-zeichen-unserer-zeit/programmuebersicht.html

Text: Antje Horn-Conrad
Online gestellt: Sabine Schwarz
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde