Von Potsdam bis zur Kern-Mantel-Grenze sind es etwa 3000 Kilometer – senkrecht nach unten. Entlang dieser Strecke erhöhen sich der Druck von einem auf eine Million etwa bar und die Temperatur von null auf etwa 3000 Grad Celsius. Zum Vergleich: Die tiefste Bohrung der Welt reicht bis in zwölf Kilometer Tiefe. Das entspricht in etwa der Entfernung zwischen Babelsberg und Berlin-Dahlem.
Dort, in Dahlem steht „Lise“ – derzeit die Nummer 5 auf der Liste der schnellsten Computer Deutschlands. „Lise“ gehört zum Norddeutschen Verbund für Hoch- und Höchstleistungsrechner (HLRN) und wird betrieben vom Zuse-Institut in Berlin. Im November 2019 hat „Lise“ ihren Vorgänger „Konrad“ abgelöst und ist seitdem weltweit auf Platz 40 unter den Top-500 der schnellsten Computer. Was haben nun „Lise“ in Berlin, das Material des Erdmantels und Studierende der Geowissenschaften an der Universität Potsdam miteinander zu tun? Mit allen dreien beschäftigt sich Dr. Georg Spiekermann vom Institut für Geowissenschaften der Universität Potsdam.
In der Arbeitsgruppe Mineralogie in Golm wird an den Eigenschaften des Materials im Erdmantel geforscht. Immerhin bestimmen diese die Eigenschaften und die Entwicklung der Erde bis an ihre Oberfläche. Chemische Zusammensetzung, Dichte, Elastizität und Schmelztemperatur sind nur einige der Eigenschaften von Materialien, die man auch unter denjenigen Bedingungen, wie sie im Erdmantel herrschen, kennen möchte. Im Hochdrucklabor der Arbeitsgruppe Mineralogie werden mit sogenannten Diamantstempelpressen und einer Laserheizung Drücke und Temperaturen erzeugt, wie sie im Erdmantel herrschen. Das ist die Voraussetzung dafür, um Material mit genau den Strukturen zu erzeugen, wie sie in 3000 Kilometer Tiefe vorkommen. Doch wie sehen diese Strukturen aus?
Von Schmelzen und Gläsern im Erdmantel
Der Erdmantel besteht aus kristallisiertem Material. Während in ihrer Frühphase die Erde bis in große Tiefen einem kochend heißen Magma-Ozean glich, sind heute nur Vulkanausbrüche sichtbarer Beweis dafür, dass es schon in relativ geringen Erdtiefen sogenannte Schmelzen gibt. Hinweise darauf, dass ganze Regionen des Erdmantels zum Teil aufgeschmolzen sind, gibt es bis hinunter an die Kern-Mantel-Grenze. Wie diese Schmelzen zusammengesetzt sind, ob sie ständig neu gebildet werden und ob es eine Verbindung zur Erdoberfläche über aufsteigende Magma-Kanäle gibt, ist Gegenstand aktueller Forschung an der Uni Potsdam.
Die Arbeitsgruppe unter Leitung von Professor Max Wilke ist unter anderem spezialisiert auf die Untersuchung von Schmelzen und Gläsern, wie durch Abkühlung erstarrte Schmelzen genannt werden, unter hohem Druck. Schmelzen und Gläser sind sich strukturell sehr ähnlich, unterscheiden sich aber deutlich von Kristallen – und zwar durch die Unregelmäßigkeit ihrer Struktur auf atomarer Ebene. Die regelmäßige Anordnung von Atomen im Kristallgitter ist die Grundlage für wichtige Messmethoden, die deshalb auf Schmelzen und Gläser kaum angewendet werden können. Daher ist die Untersuchung der Struktur von ungeordneten Systemen, insbesondere bei hohem Druck, eine spezielle Angelegenheit.
Aufwendige Simulationsprogramme, die auf Supercomputern laufen, können zusätzlich Einblicke in die Struktur und Eigenschaften von Schmelzen und Gläsern und hohem Druck geben. Den Computersimulationen liegt ein theoretischer Rahmen zugrunde, der die chemischen Bindungen zwischen den Atomen in dem modellierten Material beschreibt, indem die elektronische Struktur, die die Atomrümpfe umgibt, quantenmechanisch berechnet wird. Derselbe theoretische Rahmen wird an der Universität Potsdam auch in der Physik und Chemie, beispielsweise in der Arbeitsgruppe Computerchemie, eingesetzt.
Exzellente Forschung dank guter Vernetzung
Dr. Georg Spiekermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe, berechnet Eigenschaften von geschmolzenen Mineralen. Unterstützt wird er dabei von der Universität Potsdam, die ihm durch eine KoUP-Förderung die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in den USA ermöglichte. Kleinere Modellierungen führt er am Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum durch, wo ihm aufgrund der engen Zusammenarbeit der Universität Potsdam und des GFZ Zugang zum Computing Cluster ermöglicht wird. Zudem kann Spiekermann aufgrund einer großzügigen Rechenzeit-Zuteilung umfangreichere, komplexe Berechnungen auf dem Supercomputer „Lise“ durchführen.
Das Wichtigste ist für Georg Spiekermann dabei aber die Zusammenarbeit mit Studierenden. Spiekermann ermöglicht ihnen durch intensive Betreuung einen motivierenden Einstieg in die Modellierung. Mit Erfolg: Sein letzter Masterstudent wurde im September auf einer renommierten Mineralogie-Fachkonferenz für seine Forschungsergebnisse zur modellierenden Strukturvorhersage von Schmelzen mit dem Paul-Ramdohr-Preis ausgezeichnet. Spiekermann meint dazu: „Wer einen geowissenschaftlichen Hintergrund mitbringt und hier seine Abschlussarbeit mit quantenmechanischen Computersimulationen macht, der übt dabei nicht nur Programmieren in modernen Skriptsprachen, sondern der/dem stehen die Türen für eine akademische Laufbahn weit offen.“ Die Statistik gibt ihm recht: Alle seiner Masterstudenten standen bereits vor der Fertigstellung ihrer Masterarbeit für eine Doktorarbeit unter Vertrag.
Spiekermann sieht auch in Zukunft großes Potential für die quantenmechanische Simulation in der Mineralogie an der Universität Potsdam: „Es gibt viele unbeantwortete Fragen im Zusammenhang mit den Schmelzen im Erdmantel. Labor-Experimente an Schmelzen und Gläsern unter hohem Druck und hoher Temperatur sind extrem aufwändig. Da gibt es viele Möglichkeiten für spannende Einblicke – wenn man die richtigen Fragen an die Computersimulationen stellt.“
Text: Dr. Simon Schneider/Dr. Georg Spiekermann
Online gestellt: Sabine Schwarz
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