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Alle für einen – Christoph Lippert erklärt, wie mit Daten von Millionen dem einzelnen Patienten geholfen werden kann

Prof. Dr. Christoph Lippert. Foto: HPI/Kay Herschelmann
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Prof. Dr. Christoph Lippert. Foto: HPI/Kay Herschelmann

Die Assistentin schaut besorgt in den Kalender: „Das Meeting verzögert sich“, sagt sie. „Und der nächste Termin beginnt schon in einer Stunde.“ Dazwischen, eng getaktet, Zeit für ein Interview? Christoph Lippert kommt die Treppe heruntergesprungen, ein kurzer Gruß, der Blick fliehend, den letzten Gedanken noch nicht zu Ende gedacht. Wenn er in diesen Wochen durch die Flure des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) eilt, wird er schon mal für einen Doktoranden gehalten. Tatsächlich aber ist er Professor. Einer der jungen Neuberufenen an der gemeinsamen Digital Engineering Fakultät von HPI und Universität. Im September erst war er vom Berliner Max-Delbrück-Centrum nach Potsdam gewechselt, an das von Erwin Böttinger geleitete Digital Health Center.

Christoph Lippert führt in sein Büro, das noch keines ist. Die Umzugskisten stehen unausgepackt am Boden, leere Regale warten auf die schweren Anatomiewälzer, die sich in der Ecke türmen. Forscht hier ein Mediziner? Weit gefehlt. Lippert ist Bioinformatiker, hat in München studiert und in Tübingen über genomassoziierte Studien promoviert. Er gilt als Spezialist für Machine Learning, arbeitete in den USA bei Microsoft Research, später bei Human Longevity, Inc., einem Unternehmen, das sich anschickte, die weltweit umfassendste Datenbank von Geno- und Phänotypen des Menschen aufzubauen und diese dem Maschinellen Lernen zu unterziehen, um auf neue Weise altersbedingte Krankheiten zu bekämpfen. Doch nach drei Jahren ununterbrochener Genomsequenzierung zog es Lippert zurück in die Forschung. Und nach Deutschland. Nur kurz leitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin die Arbeitsgruppe „Statistical Genomics“, bevor er den Ruf nach Potsdam annahm.

Muster von Krankheitsbildern entdecken

Das Angebot, in die Tiefen des Maschinellen Lernens vorzudringen und das theoretische Wissen auf medizinische Fragen anzuwenden, begreift er als große Chance. „Hier ist so viel im Aufbruch, nicht nur am HPI, sondern auch an der Universität“, sagt Lippert. Mit der neuen Fakultät für Gesundheitswissenschaften würden sich noch einmal ganz andere Querverbindungen zu Kliniken ergeben, meint der Informatiker, der für seine Arbeit nichts dringender benötigt als große Mengen patientenbezogener Daten. Bislang nutzt er Ergebnisse aus der UK-Biobank-Studie, in der 500.000 Briten medizinisch, genetisch und mit bildgebenden Verfahren untersucht werden. Auch die Nationale Kohorte, die sogenannte NAKO-Studie, mit bundesweit 200.000 beteiligten Deutschen, liefert ihm wichtige Daten. Sie sind das geistige Futter, mit dem er „seine“ Maschinen zum Lernen bringt. Je mehr Fakten, desto klüger wird das System. Es begreift, wie Krankheiten entstehen, welche Risikofaktoren es gibt, was genetisch bedingt ist und welche Symptome eine Erkrankung frühzeitig erkennen lassen. Das gesammelte Experten- und Erfahrungswissen von Ärzten spielt hier eine ebenso wichtige Rolle wie statistische Erhebungen, MRT-Bilder, Laborwerte, Genanalysen und sensorische Messergebnisse. Lippert entwickelt Algorithmen, um mithilfe all dieser Daten Muster von Krankheitsbildern zu erkennen und auf großen Datenmengen statisch zu beschreiben. Das geht über herkömmliche Expertensysteme hinaus. Hier werden statistische Modelle in neuronale Netze übertragen, die – ähnlich dem menschlichen Gehirn – in der Lage sind, Verknüpfungen herzustellen. Je mehr Informationen sie aufnehmen, desto optimaler können sie diese miteinander verbinden. Ein selbstlernendes System, das unbegrenzt Daten in höchster Geschwindigkeit verarbeiten und selbstständig Schlüsse ziehen kann.

Schneller und präziser diagnostizieren

Wenn Ärzte weltweit darauf zugreifen können, müssen sie künftig nicht mehr nur eigenes Wissen anhäufen und allein Patientendaten sammeln. Sie können den gemeinschaftlichen globalen Daten- und Erfahrungsschatz nutzen, um Krankheiten schnell und präzise zu diagnostizieren. Während der Computer mit Künstlicher Intelligenz Symptome einordnet, Messdaten vergleicht, Querverbindungen herstellt und Wahrscheinlichkeiten berechnet, bieten sich den Ärzten die Freiräume, die sie benötigen, um sich auf die Interpretation der Ergebnisse zu konzentrieren und mehr als bisher auf die Bedürfnisse und Besonderheiten des einzelnen Patienten einzugehen. „Die Maschinen werden die Ärzte nicht ersetzen“, meint Lippert, „aber sie werden ihren Berufsalltag verändern.“ Ärzte müssten lernen, mit großen Datenmengen umzugehen. Und es gehöre in das Curriculum des Medizinstudiums, sich mit Fragen des Datenschutzes und ethischen Problemen der Digitalisierung auseinanderzusetzen, ist der Informatiker überzeugt.
In der neuen Gesundheitswissenschaftlichen Fakultät, die die Universität Potsdam derzeit mit der Medizinischen Hochschule Brandenburg und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg aufbaut, wird es für ethische Aspekte einer digitalisierten Medizin eine ausgewiesene Professur geben. Christoph Lippert unterstreicht deren Notwendigkeit: „Wir brauchen für die Forschung personenbezogene Daten. Absolute Sicherheit und Anonymität aber ist nicht möglich.“ Das werfe Fragen auf, die sorgfältig beantwortet werden müssten. Derzeit überwiege hier eine emotional geführte Diskussion, in der es an faktenbasierten Argumentationen mangele.

Krankheiten früh erkennen und gezielt vorbeugen

Christoph Lippert sieht die großen Möglichkeiten, die der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin eröffnet: Es gehe nicht mehr zuvorderst um das Heilen, sondern um Prävention. Aus Daten generierte Muster würden Krankheiten im frühesten Stadium erkennen lassen. Risiken ließen sich minimieren, genetische Dispositionen berücksichtigen. Rechtzeitig und gezielt vorbeugen oder behandeln zu können, spare natürlich auch die hohen Kosten von Operationen, Intensivmedizin und langwierigen Therapien, so der Wissenschaftler.
Lippert hofft, hier in Potsdam mit seiner Forschung, aber vor allem auch in der Lehre zum gesellschaftlichen Umdenken beitragen zu können. Gerade startete der erste Masterstudiengang „Digital Health“ mit 30 hoch motivierten Studierenden aus aller Welt. „Die eine Hälfte hat einen IT-Hintergrund, die andere kommt aus der Biologie und der Medizin. Eine interessante Mischung“, sagt der junge Professor, der sich auf den internationalen Austausch freut. „Wir haben Tandems mit je zwei Studierenden gebildet, sodass sie voneinander lernen können.“ In den kommenden zwei Jahren werden sich die Studierenden intensiv mit der Analyse, Konzeption und Implementierung komplexer und sicherer IT-Systeme im Gesundheitswesen befassen und dabei auch ethische und rechtliche Probleme diskutieren. Diese Nähe zur Praxis, der unternehmerische Geist am HPI, andererseits wissenschaftlichen Nachwuchs heranzuziehen, mit Doktoranden zu forschen und langfristige Projekte anzugehen – das alles reizt Christoph Lippert sehr. In dieser einzigartigen Konstellation scheint Potsdam deshalb für ihn genau der richtige Ort zur richtigen Zeit zu sein.

Der Wissenschaftler

Prof. Dr. Christoph Lippert studierte Bioinformatik in München und promovierte in Tübingen. Seit 2018 ist er Professor für Digital Health – Machine Learning an der gemeinsamen Digital Engineering Fakultät von Hasso-Plattner-Institut und Universität Potsdam.

Digital Health Center

Mit dem Aufbau eines Digital Health Centers bündelt das Hasso-Plattner-Institut Forschung und Lehre und bringt Wissenschaftler sowie Akteure aus den Bereichen Medizin und IT zusammen. Gründungsdirektor Prof. Dr. Erwin Böttinger befasst sich mit der personalisierten Medizin. Diese nutzt Ansätze der Genomik und Bioinformatik, um molekulare Krankheitsmechanismen zu bestimmen, dadurch Vorbeugung, Diagnose und Therapie zu verbessern und gleichzeitig das Gesundheitswesen effizienter zu machen. Im Fachgebiet „Machine Learning“ erforschen Prof. Dr. Christoph Lippert und sein Team die Theorie des Maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz – und gehen der Frage nach, wie sich diese auf medizinische Daten anwenden lassen. Das Fachgebiet „Connected Healthcare“, das von Prof. Dr. Bert Arnrich geleitet wird, beschäftigt sich mit dem Erfassen und der Analyse von gesundheitsrelevanten Daten aus dem täglichen Leben. Ziel ist es, ein Gesundheitswesen mitzugestalten, in dessen Mittelpunkt die Erhaltung einer gesunden Lebensweise steht.
https://hpi.de/digital-health-center/home.html

Text: Antje Horn-Conrad
Online gestellt: Sabine Schwarz
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde