Katharina Schultebraucks will Menschen, die traumatische Erlebnisse hatten, mit einer telemedizinischen App begleiten. Über Videobilder vom Smartphone soll die Anwendung das psychische Wohlbefinden einschätzen. Für die Idee gewann die Psychologin im letzten Jahr den ersten GAIN Start-up-Pitch, der auf der Talentmesse GAIN in Boston verliehen wurde. Gestiftet hatte den Preis für die beste Start-up-Idee die Universität Potsdam – als Gewinn erhielt Schultebraucks eine maßgeschneiderte Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Geschäftsidee von Potsdam Transfer.
GAIN: Katharina, du bist auf der GAIN18 mit dem GAIN Award für die beste Start-up-Idee ausgezeichnet worden. Erzähl uns, worum es bei deiner Idee geht.
FACADE steht für FACial Affect Detection. Es verwendet maschinelles Lernen, um das psychische Wohlbefinden von Überlebenden nach traumatischen Ereignissen im Langzeitverlauf einzuschätzen. Wir nutzen Informationen zu mikromuskulären Gesichtsausdrücken von Emotionen und kombinieren sie mit Merkmalen der Stimme und anderen Informationen wie z.B. Topic Modelling unter Verwendung von Natural Language Processing. FACADE kann als ein Monitoring-Tool zum Symptomverlauf bei z.B. posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt werden. Es nutzt die technische Entwicklung von Smartphone-Kameras, die mit einer zunehmend höheren Auflösung ausgestattet sind. Wir verwenden Daten-getriebenes Deep Learning, aber die Idee wurde angestoßen durch Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung über Gesichtsmikroexpression, Stimmprosodie und Sprachinhalte.
GAIN: Der GAIN Award 2018 war dotiert mit einer Woche intensives Start-up-Coaching an einer deutschen Hochschule. Ausgerichtet wurde deine Mentorenwoche von der Universität Potsdam. Wie sah dein individuelles Wochenprogramm aus?
Es war wirklich eine spannende und sehr hilfreiche Woche. Momentan lebe ich in New York, aber die Start-up Coaching-Woche an der Universität Potsdam hat mit sehr geholfen, Kontakte zur Berlin-Brandenburger Gründerszene zu knüpfen und mich noch besser in Deutschland zu vernetzen. Insgesamt wird mit den Angeboten von Potsdam Transfer die Idee nun mehr und mehr in die Realisierungsphase gebracht. Zusätzlich zu der rein wissenschaftlichen Rationale, ist für ein erfolgreiches und werthaltiges Start-Up vieles zu bedenken, das über den klassischen Aufgabenbereich einer klinischen Wissenschaftlerin hinausgeht. Das empfinde ich als sehr bereichernd. Konkret hatte ich Gelegenheit, mich mit Herrn Oliver Latt (Landeshauptstadt Potsdam, Wirtschaftsförderung, Projektmanager Gesundheitswirtschaft) auszutauschen, aber auch mit Professoren der Universität Potsdam und des Hasso-Plattner-Instituts. Ganz besonders dankbar bin ich Herrn Prof. Dr. Günther (Präsident der Universität Potsdam) für die Zeit, die er sich genommen hat. Außerdem habe ich an „der Startrampe“ teilgenommen, einem Gründungsintensivworkshop zur Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Geschäftsidee unter Berücksichtigung der Gründerpersönlichkeit und Teamkonstellation.
GAIN: Deine Start-up-Idee der telemedizinischen App FACADE ist in einem Team entstanden. Gab es wichtige Punkte, die deine Start-up Kolleginnen und Kollegen erfahren wollten? Was haben sie dir mit auf den Weg nach Deutschland gegeben?
Wichtig war für uns alle, Informationen über den deutschen Markt zu bekommen, und zu eruieren, ob Interesse an der Entwicklung einer App wie FACADE für den deutschen Markt besteht und welche Förderungsmöglichkeiten es gibt.
GAIN: Das Coaching-Programm hatte zum Ziel, deine Start-up-Idee zu überprüfen und auszubauen. Gab es Überraschungen? Welche wichtigen Impulse hast du für FACADE erhalten?
Ja, ich war wirklich überrascht, welche Fördermöglichkeiten inzwischen in Deutschland und besonders Brandenburg gerade für Data Science Start-Ups entstanden sind. Da FACADE eine Start-up Idee aus der Forschung ist, war es auch sehr hilfreich, persönliche Kontakte im Bereich des Technologietransfers in Deutschland zu knüpfen. Wichtige Impulse habe ich insbesondere zum Businessplan bekommen aber auch Einblicke erhalten, welche Schlüsselpartner ich aktivieren kann, für die nächsten Schritte auf dem Weg bis der Prototyp in Deutschland getestet werden kann.
GAIN: Konnten Maßnahmen zur Umsetzung deiner Start-up Idee formuliert werden? Was sind die nächsten Schritte, die du und dein Team jetzt gehen werden?
Ja, definitiv. Wir haben konkrete nächste Schritte definiert, die wir jetzt versuchen werden umzusetzen. Als ein erster wichtiger Schritt steht aber die Entscheidung, ob ich die Start-up Idee in Deutschland umsetzen werde oder in den USA. Falls in Deutschland, so ist der erste wichtige Schritt, ein Team in Deutschland aufzubauen, wobei mir Potsdam Transfer helfen will.
GAIN: Für die GAIN19 in San Francisco, möchte GAIN wieder einen Start-up-Pitch anbieten. Was empfiehlst du Interessierten aus der GAIN Community, die ebenfalls eine Start-up-Idee haben?
Insgesamt kann ich die Erfahrung nur jedem weiterempfehlen. Es ist durchaus eine interessante und wichtige Entwicklung, dass Wissenschaftlerinnen professionelle Unterstützung erhalten, um ihre innovativen Forschungsideen auch selbst praktisch und unternehmerisch umsetzten zu können. So kann die Werthaltigkeit und Produktivität der Forschung gesteigert werden. Natürlich sollte der Kernbereich der Wissenschaft allein durch fachspezifische Gütekriterien, freien Zugang, Offenheit und Transparenz bestimmt werden, aber für bestimmte Ideen und Bereiche kann auch unternehmerisches Denken eine sinnvolle Ergänzung bieten. Insgesamt glaube ich, dass sowohl Wirtschaft als auch Wissenschaft durch eine enge Zusammenarbeit voneinander profitieren und sich gegenseitig inspirieren können. GAIN bietet eine tolle Möglichkeit insbesondere auch für Juniorwissenschaftler, die vielleicht noch nicht die etablierte Beziehung zur Wirtschaft haben. Die Mentoring- und Coaching-Woche bietet hier viele Möglichkeiten, eine Start-Up-Idee zu schärfen, aber auch Kontakte zu möglichen Investoren herzustellen.
Link zum Interview auf den Seiten von GAIN
Text: GAIN
Online gestellt: Jana Scholz
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