Mehr als 1.000 Schülerinnen und Schüler an 14 Sekundarschulen in ganz Berlin haben Rebecca Lazarides und Charlott Rubach in ihrer Erhebung befragt, und das über anderthalb Jahre. Von Hohenschönhausen bis Steglitz, von Kreuzberg bis Schöneberg, von Wedding bis Köpenick. Vom Gymnasium zur Integrierten Sekundarschule. Und nicht nur die Jugendlichen, auch deren Eltern und Lehrkräfte nahmen an der Fragebogenstudie teil. Dabei hatten die beiden Bildungsforscherinnen ein Ziel: Sie wollten herausfinden, wie motiviert Jugendliche im Unterricht sind und was die Motivation der Lehrperson, die Unterrichtsqualität und die Kooperationsbereitschaft der Eltern damit zu tun haben. Ein Schwerpunkt lag auf dem Mathematikunterricht.
„Für die Beschäftigung mit Mathematik bin ich auch bereit, meine Freizeit zu opfern.“ Ein Satz, den wohl nur wenige Eltern von ihren Kindern hören. So könnte man jedenfalls meinen. Doch Rebecca Lazarides und Charlott Rubach haben in ihrer Studie andere Erfahrungen gemacht. Sie baten 9.-, 10.- und 11.-Klässler anzugeben, ob solche Aussagen zutreffen. „Unser Eindruck war, dass die meisten Schülerinnen und Schüler neugierig und motiviert sind“, sagt die Juniorprofessorin für Schulpädagogik, Rebecca Lazarides. „Die Jugendlichen, aber auch ihre Lehrkräfte, haben mehrheitlich Spaß im Unterricht.“
Im Mathematikunterricht gilt allerdings nach wie vor: Mädchen sind tendenziell weniger am Fach interessiert und entwickeln hier weniger Lernfreude. „Die Geschlechterdifferenz hat sich bislang leider nicht aufgelöst“, sagt Lazarides. Das setzt sich später in der Karriere fort. In den naturwissenschaftlichen Studiengängen sind weniger Frauen anzutreffen und in Berufen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (den sogenannten MINT-Berufen), die häufig gut bezahlt sind, arbeiten ebenfalls mehr Männer. Lazarides und Rubach glauben, dass diese Entwicklung im schulischen Unterricht ihren Anfang nimmt. Lehrerinnen und Lehrer stehen vor der herausfordernden Aufgabe, Mädchen und Jungen gleichermaßen für Naturwissenschaften zu begeistern.
Lazarides und Rubach interessieren sich besonders für die motivationale Entwicklung: wenn die Mädchen und Jungen zum Selbstzweck und von sich aus Wissen erlangen wollen und Freude am Lernen entwickeln. Wenn es nicht nur darum geht, besser zu sein als die Mitschüler oder gute Noten für den Abschluss zu bekommen. Dieses Interesse befördern Lehrerinnen und Lehrer, indem sie auch in heterogenen Klassen auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler eingehen. Zudem wirke sich der Alltagsbezug besonders positiv auf die Lernmotivation aus, das haben die beiden Forscherinnen in ihrer Studie eruiert. „Steigt die Lehrerin mit einem Beispiel aus dem täglichen Leben in die Stunde ein, ist die Chance größer, die Motivation der Lernenden zu wecken.“
Die Forscherinnen widmen sich dem Thema aus guten Gründen. „Motivation lenkt unser Handeln“, sagt Lazarides. „Sie treibt unsere Entscheidungen an.“ Daher sei sie ein Schlüsselfaktor für den Schulerfolg, wie Rubach ergänzt. Und die Lehrkräfte haben einen immensen Einfluss auf die Motivation ihrer Klasse. „Wenn Lehrerinnen und Lehrer enthusiastisch sind, wenn sie Spaß am Unterrichten haben und selbstbewusst mit ihren Fähigkeiten umgehen, wirkt sich das positiv auf die Jugendlichen aus“, das konnten die Wissenschaftlerinnen zeigen. „‘Teacher motivation matters’, so lautet ein zentrales Ergebnis unserer Studie.“
Anderthalb Jahre waren die Forscherinnen an Berliner Schulen unterwegs
Telefonieren, telefonieren und nochmals telefonieren. Das gehörte zum Job der beiden Wissenschaftlerinnen, als sie im Sommer 2015 begannen, die Erhebung vorzubereiten. Damals waren Lazarides und Rubach noch an der Technischen Universität Berlin beschäftigt. Zur Seite stand ihnen ein kleines Team von studentischen Hilfskräften und Hospitierenden. Zahlreiche Schulen mit Sekundarstufe in Berlin hat das Team angerufen: zuerst die Schulleitung, die dann das Lehrerkollegium fragte, ob Interesse an der Teilnahme bestünde. Und tatsächlich fanden sich viele Lehrkräfte, die gerne über die Motivation ihrer Klasse Bescheid wissen wollten – um dabei auch etwas über den eigenen Unterricht zu erfahren.
Die Forscherinnen holten danach das Einverständnis der meist 15- bis 16-Jährigen und ihrer Eltern ein. Anschließend besuchte das Team die teilnehmenden Klassen mit ganzen Paketen von Fragebögen. Sie stellten sich und ihr Projekt vor und gaben den Befragten rund 30 Minuten Zeit zum Ausfüllen. Natürlich anonymisiert. Die Fragebögen für die Schülerinnen und Schüler richteten sich auf schul- und mathematikbezogene Interessen, Überzeugungen und Aktivitäten, aber auch auf ihre Karrierepläne. Von den Lehrkräften wollte das Team insbesondere wissen, wie diese ihre eigene Motivation und ihren Enthusiasmus einschätzen. Besonders interessant: Die Antworten von Lehrern und Schülern deckten sich weitgehend. Schätzte sich die Lehrperson als motiviert ein, gaben auch die Schüler an, dass ihr Lehrer in der Lage war, guten Unterricht zu machen.
Die Forscherinnen wollen städtische und ländliche Schulen vergleichen
„Wichtig war uns die ausgewogene Mischung von Schulen, um eine repräsentative Stichprobe für Berlin zu gewinnen“, sagt Lazarides. „Hier interessierte uns gerade die soziale Diversität der Jugendlichen und ihrer Familien.“ Das sozioökonomische Gefälle ist in der Hauptstadt vergleichsweise groß und viele Jugendliche haben einen Migrationshintergrund. „Junge Lehrkräfte treffen in Schulen häufig auf Klassen unterschiedlichster Zusammensetzung – auch in Bezug auf das soziale Milieu.“ Darauf sind angehende Lehrerinnen und Lehrer nicht unbedingt vorbereitet. Und die Studie zeigt, dass die Schüler gerade in solchen heterogenen Klassen eine Lehrperson schätzen, die sie individuell fördert.
Die Ergebnisse aus der Großstadt wollen Lazarides und ihr Team am liebsten in einem großen Folgeprojekt dem ländlichen Raum gegenüberstellen. „Wir würden die Erhebung gerne auf Brandenburg ausweiten und beantragen derzeit eine Förderung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft“, berichtet Lazarides. „Es wäre toll, diese beiden unterschiedlichen Regionen vergleichen zu können.“ Dafür haben sie auch den Professor für Pädagogische Psychologie der Universität Potsdam, Ulrich Schiefele, ins Boot geholt.
Das Interesse der Eltern beeinflusst das Lernverhalten ihrer Kinder
Die Doktorandin Charlott Rubach befasst sich in ihrem Dissertationsprojekt insbesondere mit dem Einfluss der Eltern auf die Motivation von Jugendlichen. „Finden die Eltern Schule wichtig, überträgt sich das auf ihre Kinder“, sagt die Bildungsforscherin. Die Wissenschaftlerin spricht hier von „Rollenüberzeugungen“. Wenn die Eltern Interesse an den schulischen Leistungen zeigen und sich beispielsweise bei der Lehrperson erkundigen, wie sie ihre Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen können, wirkt sich das positiv auf die Lernbereitschaft der Schülerinnen und Schüler aus. Allerdings müsse der Kontakt persönlich stattfinden und nicht nur schriftlich über Emails. Elternabende und Lerngespräche seien dabei ein wichtiges Instrument. Ob die Eltern vor allem bei Problemen in die Schule kommen oder auch sonst Interesse an der Ausbildung ihrer Kinder zeigen, ist aber auch eine Frage des spezifischen schulischen Angebots. „Jede Schule hat eine andere Kultur, was die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Lehrpersonal und Eltern angeht“, sagt Rubach.
Das Besondere an der Studie ist, dass die Forscherinnen die gesamte Kette motivationaler Entwicklung in den Blick nehmen: die Motivation der Lehrperson und wie sich diese auf den Unterricht auswirkt; wie dieser zusammen mit der Einstellung der Eltern wiederum das Interesse der Jugendlichen bestimmt und wie all diese Faktoren letztlich die Berufs- und Studienfachwahl beeinflussen können. „Wir gehen davon aus, dass das Motivationsprofil von Jugendlichen sie bis ins Erwachsenenalter prägt“, sagt Lazarides. Der Unterricht entscheidet also nicht selten über den Lebensweg – lange über die Schule hinaus.
Das Projekt
Von 2015 bis 2017 befragte ein Forscherteam im Projekt „MOVE – Motivation Jugendlicher in der Schule“ mehr als 1.000 Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern und Lehrkräfte zu ihren schul- und mathematikbezogenen Interessen, Überzeugungen und Berufsvorstellungen. Ziel war es, unterrichtsbezogene und familiäre Wirkfaktoren auf die Lernprozesse sowie Karrierepläne von Schülern in der Sekundarstufe I festzustellen. Derzeit beantragt das Team die Förderung eines Folgeprojekts an Berliner und Brandenburger Schulen.
Die Wissenschaftlerinnen
Prof. Dr. Rebecca Lazarides studierte Erziehungswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Seit April 2016 hat sie die Juniorprofessur für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Schul- und Unterrichtsentwicklung an der Universität Potsdam inne.
E-Mail: rebecca.lazaridesuuni-potsdampde
Charlott Rubach studierte Bildungswissenschaften an der Universität Rostock. Seit 2016 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich für Schulpädagogik der Universität Potsdam.
E-Mail: rubachuuni-potsdampde
Text: Jana Scholz
Online gestellt: Alina Grünky
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde