Salim Seyfried ist Professor für Zoophysiologie an der Universität Potsdam. Er und seine Arbeitsgruppe sind Teil des europaweiten Forschungskonsortiums „V.A.Cure“, das sich – dank EU-Förderung – gebildet hat, um Grundlagenforschung und Therapieentwicklung für seltene Gefäßerkrankungen zusammenzubringen. Matthias Zimmermann sprach mit ihm über die Ziele und die Arbeit von „V.A.Cure“.
Lieber Herr Prof. Seyfried, Sie sind am unlängst ins Leben gerufenen Projekt „V.A.Cure“ beteiligt. Was sind die Ziele?
Präzisionsmedizin und personalisierte Medizin sind wichtige neue Themenfelder der Gesundheitsforschung. Das Projekt mit dem Acronym „V.A.Cure“ ist ein internationales Doktorandenprogramm, das im Rahmen der Marie Skłodowska-Curie Förderung der EU mit insgesamt 14 Doktorandenstellen ausgestattet wird. In ihren Forschungsprojekten werden sich die Doktoranden mit Erkrankungen der Blut- oder Lymphgefäße beschäftigen. Insbesondere geht es hierbei um solche Erkrankungen, die zu Verwachsungen oder morphologischen Anomalien führen. Oft sind solche Erkrankungen für die Betroffenen mit chronischen Schmerzen und einer massiven Einschränkung ihrer Lebensqualität verbunden.
Unser Konsortium hat sich einige Ziele gesetzt, die wir gemeinsam angehen wollen. Als Erstes ist geplant, einige Erkrankungen durch stark interdisziplinäre Ansätze besser verstehen zu lernen. Dazu wollen wir genetische Tiermodelle einsetzen, um die Funktion der implizierten Gene zu untersuchen. Darüber hinaus werden wir Zellkulturen mit menschlichen Zellen etablieren (zum Teil werden dies Zellen von Patienten sein). Daran sollen molekulare und zellulare Veränderungen untersucht werden und pharmakologische Wirkstoffe getestet werden.
An dem Vorhaben sind Arbeitsgruppen aus sieben Ländern und zwei Firmen beteiligt. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Dieses Projekt funktioniert nur aufgrund seiner Interdisziplinarität zwischen exzellenten molekularbiologischen oder medizinischen Partnerlaboren sowie Unternehmen aus dem Bereich der biomedizinischen und pharmazeutischen Industrie, die sich hier zusammengefunden haben. Bei der Erforschung von Krankheiten stößt jede einzelne Gruppe und jedes Unternehmen sehr bald an seine Grenzen. Den Grundlagenforschern fehlt der konkrete Patientenbezug. Oftmals sprechen die Forscher nicht direkt mit Ärzten oder Patienten und übersehen ganz entscheidende Informationen, die zu einem besseren Verständnis der Krankheit beitragen. Ein konkretes Beispiel: In meiner Arbeitsgruppe haben wir bereits einige Jahre lang eine erbliche Blutgefäßeerkrankung studiert, die im Patienten zu Schlaganfällen führen kann. Wir sind dann mit einigen Mitarbeitern ans Universitätskrankenhaus in Essen gefahren, wo eine Gruppe von Neurochirurgen mit einer ausgewiesenen Expertise für diese Erkrankung arbeitet. Erst im Gespräch mit den Medizinern und bei der Ansicht von Fallbeispielen konnten wir uns eine Vorstellung davon machen, womit wir es hier eigentlich zu tun haben. Dies waren zum Teil Informationen, die in keiner Publikation nachzulesen sind und die für die Mediziner so offensichtlich waren, dass diese nicht weiterkommunziert wurden. Für uns waren einige der Informationen jedoch so überraschend, dass wir komplett umdenken mussten und eine neue wissenschaftlichen Hypothese formuliert haben, die wir dann auch in der Forschung bestätigen konnten. Zum Beispiel hatten wir gar nicht erwartet, mit welcher Häufigkeit solche Verwachsungen von Blutgefäßen im Gehirn einzelner Patienten tatsächlich auftreten können.
Umgekehrt ist es für Mediziner oft nicht möglich, bestimmte Hypthesen oder Vermutungen in wissenschaftlichen Experimenten zu bestätigen, da ihnen die molekularen Forschungsmethoden nicht zur Verfügung stehen. Außerdem haben Grundenlagenforscher und Mediziner eine mitunter sehr unterschiedliche Denkweisen bei der Betrachtung eines medizinischen Problems. Für die biomedizische und pharmazeutische Industrie gelten wiederum ganz andere Einschränkungen. Hier sind es häufig wirtschaftliche Aspekte, die dazu führen, dass viele „seltenen Erkrankungen“ eher stiefmütterlich behandelt werden.
Im Rahmen von „V.A.Cure“ werden die verschiedenen Partnergruppen und Unternehmen sehr eng miteinander verwoben. Davon werden insbesondere auch die Studenten profitieren, die neben ihrem „Heimatlabor“ einige Aufenthalte in kollaborierenden Laboren durchführen werden. Ganz konkret ist geplant, dass die beiden Doktoranden aus unserem Labor für einige Monate komplementäre Untersuchungen durchführen werden. Einer der Doktoranden wird z.B. in Belgien und Finnland primäres Patientenmaterial mit modernen molekularbiologischen Methoden untersuchen. Bei uns wird er seine Erkenntnisse dann in umfangreichen Studien vertiefen können. Umgekehrt werden einige Studenten aus anderen Laboren bei uns zu Gast sein und unsere wissenschaftlichen Methodenkenntnisse auf ihre Forschungsfragen anwenden. In monatlichen Abständen werden wir zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen Tele-Konferenzen einrichten, auf denen die Studenten ihre Ergebnisse besprechen.
Darüber hinaus werden die PhD-Studenten zusätzliche Weiterbildungsangebote wahrnehmen können. Jedes Jahr gibt es an einem der Partnerstandorte (Brüssel, Grenoble, Oulu, Stockholm, Potsdam) eine mehrtägige Weiterbildungsveranstaltung, auf der die Doktoranden zusammenkommen und ihre Erfahrungen untereinander austauschen können. In Potsdam werden wir gemeinsam mit der UP Transfer eine Veranstaltung zum Schutz des geistigen Eigentums und zum Patentrecht durchführen. Außerdem bieten wir einen Technologieworkshop an. Die Bayer Schering AG in Berlin-Wedding wird dann im Rahmen dieses Workshops eine Einführungsveranstaltung in die pharmakologische Forschung geben.
Welche Expertise bringen Sie in das Projekt ein – und woran werden Sie konkret forschen?
Wir haben uns einige Ziele gesetzt, die im Rahmen eines vierjährigen Projektes auch umsetzbar sind. Dazu gehört es, die Funktionsweise von zwei Signalmolekülen besser zu verstehen, die bei Patienten besonders aktiv sind. Obwohl diese bereits bekannt sind, verstehen wir eigentlich noch gar nicht, wie sie sich auf die Ausbildung des Krankheitsbildes auswirken. Es ist wie eine „Black Box“, die wir nun öffnen wollen, um die molekularen und zellulären Veränderungen genau zu beschreiben. Am Patienten ist eine solche Forschung natürlich nicht umsetzbar. Mit modernsten Methoden wie der Einzel-Zell-Genomsequenzierung und mit aufwendigen Mikroskopieverfahren wie der Lichtblatt-Mikroskopie oder der superhochauflösenden Konfokalmikroskopie werden wir an Eiern des Zebrafisches forschen und hoffentlich umfangreiche neue Einblicke in die Entstehung dieser Erkrankungen gewinnen können. In vier Jahren werde ich Ihnen dann genauer berichten können, was wir bei diesen Untersuchungen gelernt haben.
Vielen Dank!
Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter: https://www.uni-potsdam.de/en/ibb-zoophysiologie/index.html
Text: Matthias Zimmermann/Prof. Dr. Salim Seyfried
Online gestellt: Matthias Zimmermann
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