Das letzte Wort haben die Schüler. Am Ende seiner abschließenden Unterrichtsstunde im Praxissemester dürfen die Mädchen und Jungen ihren Lehrer bewerten. Auf einem Feedbackbogen geben sie an, wie ihnen der Unterricht in Politischer Bildung bei Toni Ansperger gefallen hat. Er erhält Bestnoten – wie zuvor schon in seinem zweiten Fach, Chemie. Dabei hatte Ansperger diesen Studienabschnitt durchaus mit gemischten Gefühlen angetreten. Würde das, was er sich an der Universität angeeignet hatte, ausreichen, um am renommierten Potsdamer Humboldt-Gymnasium zu bestehen? Die Zweifel waren nicht ganz unberechtigt, findet der 28-Jährige. Beim Lehramtsstudium an der Universität Potsdam gebe es noch Luft nach oben.
„Er hat das toll gemacht“, sagt Kurt Gabler, Anspergers schulischer Mentor. „Das Feeling für den Beruf ist da.“ Viel mehr Lob geht eigentlich nicht. Aber die Fragen bleiben: Wie funktioniert guter Unterricht? Und was tut die Universität dafür, dass ihn Studierende praktizieren können?
Ein Mittwochnachmittag am Potsdamer Humboldt-Gymnasium, Raum A 1.03. Es ist Februar. Draußen ist es trotzdem hell. Der Blick fällt auf ein Hofareal, das zu einem Anbau der Schule gehört. Weiter hinten ein Zaun, der die Flache abgrenzt. Etwas verloren wirkt ein einsames Fahrrad. Drinnen sitzen junge Menschen der Klassenstufe 11, die den Grundkurs Politische Bildung absolvieren. Das Thema heute: die Europäische Union. An der Tafel stehen Schlagworte wie „Von der EG zur EU“ und „Verträge der EU“. Auf der Leinwand links daneben erscheint eine Übersicht über die wichtigen Säulen der Europäischen Gemeinschaft. Jetzt ist Toni Ansperger in seinem Element. „Wie viele Mitgliedsstaaten hat die EU?“, fragt er die Schuler. Nach einigem Überlegen antwortet jemand. Die Kommunikation ist eröffnet. Irgendwann müssen sich die Jungen und Mädchen in Gruppen mit einem Arbeitspapier beschäftigen, zu dem später Kurzvorträge gehalten werden.
Toni Ansperger hat die Doppelstunde minutiös geplant. Der Student bewältigt sie ohne Probleme, anders als zu Beginn seiner Zeit am „Humboldt“, als er den Unterricht noch überfrachtete und den Stoff nicht immer schaffte. Nun geht er gelassen durch die Reihen, fragt nach, schaut genau hin. Später, bei den Referaten, wird der junge Mann ergänzen, korrigieren. Dass die Elftklässler ihm am Schluss des Praxissemesters ein gutes „Zeugnis“ ausstellen, freut ihn sehr. 14 Wochen hat der Studienabschnitt, der auch universitäre Begleitseminare enthalt, gedauert.
„In Chemie fand ich mich fachlich gut aufgestellt, in Politischer Bildung mit Abstrichen auch“, konstatiert Ansperger. Ganz anders sehe das in den Bildungswissenschaften aus. „Weil ich nicht wirklich gelernt habe, mit Unterrichtsstrategien umzugehen. Das wird quasi der Selbsterfahrung überlassen.“ Ansperger wirkt ruhig, irgendwie geerdet. Jetzt, nach dem Praktikum, würde er am liebsten noch einmal zwei Uni-Semester dranhängen, in Pädagogik und Didaktik. Das Lehramtsstudium sei zu stark forschungsorientiert, zu wenig in der Praxis verhaftet, kritisiert er „Die Uni ist nicht nah genug an den Problemen der Studierenden dran.“
Prof. Dr. Andreas Borowski, Physikdidaktiker und Direktor des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung an der Universität, kennt den Vorwurf. Das ist ein Zwiespalt, der nicht aufzuheben ist, erläutert er. Nichtsdestotrotz könne man die Situation verbessern. Universitäre Aufgabe sei es nun mal, den Studierenden eine umfassende theoretische Grundlage zu vermitteln. „Diese müssen sie haben.“ Zu wissen, nach welchen Strukturierungsmethoden in der Theorie Unterricht gelingen kann, besitze Priorität. Er selbst bleibe dabei als Lehrender allerdings niemals auf einer Metaebene stehen, sondern demonstriere das „Modell“ an einer möglichen konkreten Umsetzung in der Schule. Warum das jedoch offensichtlich nur bedingt hilft, erklärt der Physik-Professor so: „Der selbst erlebte Unterricht dient zu oft als Blaupause. Das macht unflexibel für neue Aufgaben.“ Gebe es Schwierigkeiten im Unterricht, müsse sich Hilfe in Theorien geholt werden.
Der Dreischritt im Lehramtsstudium – Bachelor-Master-Referendariat – wird also auch künftig den Studierenden einiges abverlangen. Es gibt zwar bundesweit Gedankenspiele, alle Bildungsabschnitte in die universitäre Phase zu verlegen, doch aktuell ist dies nicht in Sicht. Für die am Lehramtsstudium beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heißt das: weiter Modelle vermitteln, ohne den Blick in die Schule zu vernachlässigen. „Wir müssen unsere Aufgaben erledigen, aber auch schauen, wo die Grenzen sind“, fasst Borowski zusammen.
Das Lehramtsstudium an der Uni befindet sich in einem ständigen Wandel. Künftig soll es noch internationaler werden. Man wolle mehr schauen, wie Unterricht in anderen Ländern funktioniere und prüfen, ob einzelne Elemente übertragbar sind, so Borowski. Ganz besonders liegt ihm am Herzen, fachliche und fachdidaktische Anteile im Studium stärker zu verzahnen. Er selbst geht dabei mit gutem Beispiel voran. So kommen bei den schulpraktischen Studien Kollegen aus den Bildungswissenschaften in seine Reflexionsveranstaltungen, um gemeinsam mit ihm aufgezeichnete Unterrichtsstunden auszuwerten. Eine Kooperation existiert auch mit dem Bereich Deutsch als Fremdsprache, bei der Bildungssprache im Mittelpunkt steht.
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Text: Petra Görlich
Online gestellt: Jana Scholz
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