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Schau mir in die Augen!? – Eine sozialpsychologische Studie geht dem berühmten ersten Eindruck auf den Grund

Elektroden messen die Bewegungen der Gesichtsmuskulatur. Foto: Thomas Roese.
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Elektroden messen die Bewegungen der Gesichtsmuskulatur. Foto: Thomas Roese.

Ein kurzer Blick genügt: In Bruchteilen von Sekunden haben wir einen ersten Eindruck von einer Person – finden sie sympathisch oder unsympathisch, attraktiv oder unattraktiv, angenehm oder unangenehm. Dieser erste Eindruck kann täuschen, er kann sich aber auch bestätigen, wenn wir uns besser kennenlernen. Was er mit Geschlecht, Ethnizität und der Farbe Rot zu tun hat, erforscht eine Studie am Department für Psychologie der Universität Potsdam. Jana Scholz hat im „Selbstversuch“ daran teilgenommen und mit den Forschern über die Studie gesprochen.


Im sozialpsychologischen Labor in Golm bin ich die 50. Teilnehmerin der Studie, die Nadine Wenzel unter Leitung der Sozialpsychologin Prof. Dr. Daniela Niesta Kayser durchführt. 80 bis 100 Probandinnen sollen es am Ende sein, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten. Wider Erwarten treffe ich im Labor jedoch nicht auf Personen, sondern auf einen Computer: Auf dem Bildschirm bekomme ich 96 Schwarz-Weiß-Porträts von 48 Personen zu sehen. Genauer gesagt: 24 Frauen und 24 Männer verschiedener Ethnizität. Jede Person ist dabei zweimal zu sehen, einmal vor einem roten und einmal vor einem weißen Hintergrund. Ich gebe 96 mal – auf einer Skala von eins bis neun – an, wie attraktiv ich die gezeigte Person finde. Außerdem, wie vertrauenswürdig und wie dominant ich sie einschätze.

Aber entsteht nicht der erste Eindruck von einer Person auch durch ihre Gestik, Körperhaltung und ihre Stimme – und nicht nur durch ein Foto von ihrem Gesicht? „Bei der zwischenmenschlichen Annäherung hat der erste Eindruck mehr Einfluss als wir glauben“, sagt Niesta Kayser. „Schon ein Foto prägt die Wahrnehmung unseres Gegenübers nachhaltig.“ Dating-Apps wie Tinder beruhen nicht ohne Grund auf diesem ersten Eindruck, den nur ein Foto vermittelt. Gefällt uns das Foto nicht, wischen wir einfach zum nächsten Bild.
Das mache ich genauso im Golmer Labor und klicke, klicke, klicke und klicke. Rund 25 Minuten lang. Zwar habe ich nicht den Eindruck, beim Anblick der Gesichter auf dem Bildschirm vor mir jemals gelächelt oder die Stirn gerunzelt zu haben. Aber die Experimentalleiterin Nadine Wenzel erstellt ein Elektromyogramm (EMG): Sie zeichnet die Aktivität meiner Gesichtsmuskeln auf. Insgesamt sechs Elektroden an der Stirn, über den Augenbrauen und an der Wange nehmen kleinste Bewegungen wahr. Genauer gesagt geht es um Kontraktionen des Corrugator supercilii – dem sogenannten Stirnrunzler – und des Zygomaticus major, dem sogenannten Lachmuskel, der die Mundwinkel nach oben und hinten zieht. Es dauert nur 90 bis 400 Millisekunden, bis diese Muskeln auf ein Bild reagieren. Durch die physiologische Messung meiner Emotionen hat die angehende Diplom-Psychologin also ein genaues Bild davon, wann meine Mundwinkel und Augenbrauen sich nach oben bewegt haben. Dieses Verfahren zielt darauf, automatisch ablaufende psychologische Prozesse aufzudecken und emotionale Reaktionen auf die betrachteten Gesichter zu bestimmen.

Nachdem ich fast 50 Menschen nur nach dem ersten Eindruck beurteilt habe, fülle ich einen Fragebogen aus. Dabei tauchen einige der Gesichter, die ich inzwischen kenne, wieder auf dem Bildschirm auf. Ich bewerte nun ausführlicher: ob sie auf mich „manipulativ“, „egoistisch“, „gutaussehend“ oder auch „penetrant“ gewirkt haben und wie hoch ihr „Status“ meines Erachtens ist. Außerdem vermerke ich zu jedem Bild, welche Stimmung ich habe, wie hoch meine innere Erregung und mein Selbstwertgefühl gerade sind. Während mir manche Personen auf den Fotos tatsächlich ziemlich manipulativ erscheinen, andere dagegen sehr vertrauenswürdig, tut sich bei meiner Stimmung nicht viel. Was ich nicht bemerkt habe: Jedes zweite Porträtfoto war rot gerahmt.

Den Effekt der Farbe Rot erforscht die Psychologin Daniela Niesta Kayser seit drei Jahren im DFG-Projekt „Der Einfluss der Farbe Rot auf Wahrnehmung und soziale Austauschprozesse“. Beteiligt sind neben der Uni Potsdam auch die Universitäten Wuppertal, München und Wien.
Die Potsdamer Studie untersucht, wie der erste Eindruck entsteht – und zwar in Bezug auf Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und die Farbe Rot. Das EMG und die abgefragten Selbstbeschreibungen sollen die Emotionen der Probandinnen erfassen. Da heterosexuelle Konstellationen im Vordergrund stehen, erfragt die Studie vorab die sexuelle Orientierung und den Beziehungsstatus. „Wenn wir in einer festen Beziehung sind, bewerten wir eine attraktive Person des anderen Geschlechts als weniger attraktiv“, erklärt Niesta Kayser. „Wir schützen damit indirekt unsere Partnerschaft, um nicht auf ‚dumme‘ Gedanken zu kommen.“
In Zusammenarbeit mit der Universität Wien hat Niesta Kayser im Rahmen des DFG-Projekts bereits untersucht, welche Rolle die Ethnizität für den ersten Eindruck einer Person spielt. Sie nahm speziell die Emotionen männlicher Probanden in den Blick. Erfreulich sind die Ergebnisse nicht – denn sie bestätigen die Wirksamkeit von Stereotypen und Diskriminierung. „Ohne weitere Informationen zu haben, waren die Probanden weniger bereit, Personen ihrer eigenen ethnischen Gruppe kennenzulernen als Personen anderer ethnischer Gruppen. Und wenn sie Personen derselben Ethnizität vor einem roten im Gegensatz zu einem grünen Hintergrund sahen, waren Gehirnareale aktiviert, die für negative Emotionen, Bedrohung und Rivalität verantwortlich sind“, erklärt Niesta Kayser. Wenn es um den Wettstreit um Ressourcen geht, sahen die Teilnehmer also Männer derselben ethnischen Zugehörigkeit eher als Konkurrenz an. Sowohl was berufliche Chancen als auch die Wahl einer Partnerin betrifft, ist die Rivalität innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe größer. Die Psychologin vermutet, dass anderen Ethnien ein niedrigerer sozioökonomischer Status und damit ein schlechterer Zugang zu sozialen und finanziellen Ressourcen zugesprochen wird.
Was Geschlechterfragen betrifft, zeigen frühere Forschungen der Psychologin den erstaunlichen Effekt der Farbe Rot. Sie verstärkt unseren ersten Eindruck in Bezug auf gleichgeschlechtliche Rivalität sowie gegengeschlechtliche Attraktivität. Betrachten Männer andere Männer, kann Rot einerseits einen negativen Effekt haben: Es lässt sie bedrohlich wirken. Dies erklärt Niesta Kayser zum einen evolutionsbiologisch. Ein erhöhter Testosterongehalt im Blut bewirke eine stärker gerötete Gesichtshaut. Daran lässt sich unbewusst das Aggressionsniveau einer Person ablesen. Zum anderen erklärt die Psychologin den statuserhöhenden Effekt der Farbe kulturgeschichtlich. Über Jahrhunderte hinweg wurde die Textilfarbe aus der Purpurschnecke gewonnen. „Ein extrem aufwendiges und teures Verfahren“, so Niesta Kayser. Vor allem Adelige oder Geistliche konnten sich rote Kleidung leisten – also Menschen mit hohem sozialen Status.
Die Farbe besitzt im heterosexuellen Beziehungskontext außerdem einen „Romantikeffekt“: Rot lässt das andere Geschlecht attraktiver wirken. Dies erklärt die Psychologin aus biologischer Perspektive. Während des weiblichen Eisprungs sei die Haut im Gesicht und Dekolletee gerötet. Frauen schätzten sich in dieser Phase des Zyklus’ selbst attraktiver ein und würden auch so wahrgenommen. Roter Nagellack, Lippenstift oder Kleider verstärken diese Wirkung. „Evolutionsbiologische und sozialisationshistorische Argumente schließen sich nicht aus“, sagt Niesta Kayser. „Wir gehen davon aus, dass sich Kultur dessen bedient, was biologisch angelegt ist.“
Von der aktuellen Studie erhoffen sich die Forscher eine Antwort auf die Frage, ob Personen anderer Ethnizität durch den roten Rahmen noch negativer – also statusniedriger und weniger attraktiv – bewertet werden.

Ich verlasse das Labor mit einer beunruhigenden Erkenntnis: Mitunter diskriminieren wir unser Gegenüber in Sekundenschnelle, ohne dass es uns bewusst wäre. Meinen ersten Eindruck von Porträtfotos auf Facebook oder Instagram werde ich mit diesem Wissen stärker reflektieren. Und mich in Zukunft hoffentlich öfter auf einen zweiten Eindruck einlassen.

Das Projekt
Die sozialpsychologische Studie ist Teil des DFG-Projekts „Der Einfluss der Farbe Rot auf Wahrnehmung und soziale Austauschprozesse“ an der Universität Potsdam. Die Forscherinnen untersuchen den Einfluss von Ethnizität, Geschlecht und der Farbe Rot auf den ersten Eindruck.


Die Wissenschaftlerinnen
PD Dr. Daniela Niesta Kayser studierte Politische Wissenschaften und Sozialpsychologie an der Ludwig- Maximilians-Universität München. Seit 2014 leitet sie das DFG-Projekt „Der Einfluss der Farbe Rot auf Wahrnehmung und soziale Austauschprozesse“ an der Universität Potsdam.

Universität Potsdam
Strukturbereich Kognitionswissenschaften
Karl-Liebknecht-Str. 24–25
14476 Potsdam
E-Mail: niestauni-potsdamde

Nadine Wenzel studiert Psychologie an der Universität Potsdam. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit führt sie das Experiment zum ersten Eindruck durch.
E-Mail: nwenzeluni-potsdamde

Text: Jana Scholz
Online gestellt von: Alina Grünky
Kontakt zur Online Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde